Kurz vor Weihnachten hatte ich meine X100 T verkauft, einfach, weil sie denselben Boden beackert wie meine Leica Q, die ich mir da neu zugelegt hatte. Seither erfüllte die Q die Aufgaben, die ich vorher der X100 zugeordnet hatte, und noch einiges darüber hinaus. Das hat man ja in den einigen Blog-Beiträgen gesehen.

Aber eine gewisse Leere blieb zurück, als ich mich von der X100 trennte. Sie war etwas kleiner, etwas flacher als die Q, die man definitiv (by any stretch of imagination) nicht in die Tasche stecken kann. Die X100 beulte etwas, aber man bekam sie in eine Manteltasche.

Es gibt Gelegenheiten, da möchte man nicht mit einer Kamera um den Hals erscheinen, aber doch in der Lage sein, schnell mal ein Foto zu machen, das:

  • Qualitativ hochwertig ist
  • und nicht von einem Smartphone stammt.

Es ist klar, dass es eine Menge guter, geradezu winziger Kameras gibt, die in jeder Tasche verschwinden, diverse Sonys, Panasonics etc. Aber ich hatte irgendwie nie Lust auf kleinere Sensoren als APS-C, sei das auch noch so irrational.

Die logische Wahl für eine Kamera, die meinen Kriterien entspricht, war natürlich die exzellente Ricoh GR II. Nur, dass ich zu der Zeit eben immer eine X100 hatte, die mir, sagen wir mal, klein genug war.

Jetzt fehlte mir also dieser Taschenfaktor. Auftritt: Die Fuji X70. Neben der Ricoh GR und einer Nikon Coolpix A (die nicht mehr vertrieben wird, aber hier bei Mario Heide ist ein brandneuer Blog-Beitrag über sie), die einzige Kamera in der Größe mit APS-C Sensor, seit Januar 2016 im Handel. Vor ein paar Wochen traf ich zufällig einen Freund, der sie mir in die Hand drückte. Für jemanden wie mich, der seit der originalen X100 und der X Pro-1 mit diversen Fuji X-Kameras vertraut ist, war sie sofort eine bekannte Größe. Die Fuji X70 hat genau wie die Ricoh die 28mm Kleinbildäquivalent-Brennweite, mit der ich sehr gut zurecht komme (wie jeder weiß, der ab und zu hier liest). Alle Kontrollen sind auf einen Blick zu erfassen, und sie ist wirklich klein. Deutlich kleiner als die X100, und doch mit vielen attraktiven Attributen dieser Kamera, bis auf eins: Den Sucher. Davon später.

 f/5.6 1/300sec ISO 400 Classic Chrome  Silver Efex TMax100 Filmsimulation  Camera Monochrom Rotfilter

Drei verschiedene Bearbeitungsmöglichkeiten, reine Geschmacksache: Classic Chrome Filmsimulation der Kamera, Silver Efex mit TMax100 Filmsimulation, Kamera Monochrom mit Rotfilter.

Daher ist der einzige Grund, warum ich nicht die ausgezeichnete Ricoh GR wählte, meine „Fujiphilie„. Wer die GR hat, braucht die X70 nicht. Period. Was die Fuji der GR voraus hat: Das Klappdisplay (sehr praktisch, wenn man schon auf den Sucher verzichten muss) und die manuellen Kontrollen, die mit einem Blick zu erfassen sind. Andere Dinge, z.B. der invariante Sensor (davon später) oder die kamerainternen Filmsimulationen sind ebenfalls eine nette Zugabe von Fuji.Fujifilm X70 Rückseite

Ich habe die X70 erst seit wenigen Tagen, darum ist dies auch ein „Hands On“, kein Review, von denen es schon eine Reihe gibt. Zwei Empfehlenswerte sind bei Sean Reid und bei MirrorLessons zu finden.

Am letzten Samstag kam sie an, das „Unboxing-Erlebnis“ nicht überwältigend, aber angemessen und vor allem nicht „billig“, wie man das so oft bei Sony findet (ich bin zu verwöhnt). Man kann sich schon mal innerlich darauf vorbereiten, dass ich eine Menge Gutes über die Kamera zu sagen habe, aber eins vorneweg: Liebe Fuji-Leute, was habt ihr euch dabei gedacht, das Ding ohne Ladegerät zu liefern? Warum sollte ich wohl eine Kamera stundenlang an die Steckdose hängen? (Schimpf!)

In Kenntnis dieser traurigen Tatsache kaufte ich gleich ein Ladegerät nebst zwei Fremdakkus für 27 Euro mit. Aber das sollte nicht nötig sein.

Wie zu erwarten, brauchte ich als Kenner der Fuji X100T keinen Blick in die Bedienungsanleitung zu werfen, zumindest nicht, um meine bevorzugten Einstellungen im Menü vorzunehmen. Die Hauptpunkte sind:

  • Ein Fokuspunkt mit Touch-AF (aber ohne Auslösen)
  • Nur Raw, keine JPG (die Fuji-JPG’s sind bekanntermassen sehr gut, aber ich bin ein RAW-Shooter. Die verschiedenen Filmsimulationen kann ich auch später in Lightroom anwählen, denn die sind ausgezeichnet)
  • Auto-ISO bis 6400
  • Normaler und elektronischer Verschluss
  • Alle „gefakten“ Geräusche werden abgestellt
  • DR Auto (Das ändere ich allerdings oft abhängig von den Lichtbedingungen)

Zum Verständnis der DR-Funktion muss gesagt werden, dass diese aus einer besonderen Eigenschaft des Sensors der X70 resultiert. Wie auch bei den anderen X-Kameras ist der Sensor „Invariant“, d.h., er wird trotz steigender ISO immer gleich angesteuert und bei höheren ISO-Werten von der Kamera-Software „hochgezogen“. Stellt man die DR-Funktion an, bedeutet das, die Kamera belichtet eine (DR200) oder zwei (DR400) Blendendstufen unter, um die Highlights zu schonen. Die Raw-Datei wird von der Kamera korrigiert, das bedeutet aber auch, dass sich die ISO verdoppelt bzw. vervierfacht. Über das Thema Invarianz habe ich ein Tutorial geschrieben.

Der mitgelieferte Akku wies einen ausreichenden Ladezustand auf, so war ich keine halbe Stunde nach Eintreffen der Kamera mit dem Rennrad unterwegs, denn die X70 passt wunderbar in eine der Rückentaschen des Trikots. Im Gegensatz zum Mountainbike belaste ich mich beim Rennrad fahren nur ungern mit einem Rucksack, der sonst ohne Probleme selbst die M oder die Q fasst. Aber ohne… die beste Kamera ist eben immer die, die man dabei hat. Und die Hemmschwelle, die X70 mitzunehmen, ist definitiv noch deutlich niedriger als bei der X100.

Fuji X70
Fuji X70 mit Leica Spiegelsucher Foto: Leica M240 mit 90mm Apo-Macro Elmar

Unterwegs sammelte ich erste Eindrücke vom Handling der Kamera. Ich habe vergleichsweise kleine Hände und komme mit den Dimensionen gut zurecht, kann die Kamera gut mit der Rechten greifen, dabei den Finger am Auslöser, Daumen greift sicher am „Thumbrest“ auf der Rückseite, während die Linke vielleicht den Fokuspunkt aussucht oder das Klappdisplay einstellt. Welch Letzteres auch ein Segen ist, wenn man schon darüber die Bildkomposition machen muss. Es ermöglich eine gute Kontrolle bei Fotos „aus der Hüfte“ oder über dem Kopf. Das war jetzt bei der Radtour weniger wichtig, ich machte ein paar Landschaftsaufnahmen. Mehrmals erwischte ich mich dabei, dass ich die Kamera ans Auge hob, um durch einen nichtexistenten Sucher zu schauen. Die Macht der Gewohnheit. Sean Reid, dessen Review ich gelesen hatte, sprach über einen externen Sucher von Fuji, den VF-X21, der ein ziemlich dicker Klotz für die X70 sein soll. Er empfiehlt den von Ricoh (GV-2), der wenigstens in den Dimensionen passt. Mir fiel etwas ganz anderes ein: Ich habe nämlich aus M9-Zeiten noch den Leica-Spiegelsucher 21mm, der rein zufällig auch die Rahmenlinien für 28mm enthält. Der sieht absolut cool aus auf der X70! Besser als der von Fuji, kein Vergleich mit der Plastikpille von Ricoh. Nur… etwas unwirtschaftlich. Wenn ich ihn nicht schon hätte, würde ich ihn wohl kaum für die Fuji anschaffen, er kostet genausoviel wie die Kamera…

Das Arbeiten mit dem externen Sucher hat natürlich den Nachteil, dass man keine Fokusbestätigung hat. Ich halte es so, dass ich bei kritischem Fokus, wenn es schnell gehen muss, das Display benutze. Wenn ich mehr Zeit habe und das Motiv statisch ist, fokussiere ich erst, halte dann den Auslöser halb gedrückt, um mit dem optischen Sucher zu komponieren.

Fujifilm X70 Fujinon 18,5mm f/8.0 1/1250sec ISO 400 Provia (Standard) Fujifilm X70 Fujinon 18,5mm f/8.0 1/1250sec ISO 400 Silver Efex Gelbfilter Fujifilm X70 Fujinon 18,5mm f/8.0 1/1250sec ISO 400 Camera Monochrom Rotfilter

Gradierwerk in Bad Salzuflen. Noch ein Vergleich: Farbbild ist Kamerainternes Provia,  Silver Efex mit Gelbfilter, Kamera-Monochrom mit Rotfilter. Mir fällt auf, dass die Kamerainternen Filter sehr schwach sind. Eigentlich sollte der Wolkenkontrast bei Rotfilter stärker sein. Von den Filmsimulationen kann ich nur „Velvia“ nichts abgewinnen, ich finde sie furchtbar übersättigt und der Schwarzpunkt „ersäuft“ unrettbar im linken Rand des Histogramms, damit auch alle Schatten.

Wenn wir schon beim Zubehör sind: Die Gegenlichtblende (LH-X100 von JCC), die ich noch von der Fuji X100 habe, passt ebenso gut auf die X70 und sieht gut aus, wenn sie auch die Taschenfähigkeit der Kamera beeinträchtigt. Ausserdem ist daran ein Filtergewinde.

Ich brachte die ersten Probefotos mit nach Hause und erlebte keine negativen Überraschungen. Gewohnt exzellente Bildqualität, wie von der X100s oder T. Das klingt jetzt wenig leidenschaftlich, aber die Bilddateien aus den X-Kameras sind immer hervorragend gewesen, und ich hatte nicht weniger erwartet. Ein Bonus der Kamera sind übrigens auch die ausgezeichneten Filmsimulationen (ausser Velvia, s.o.), die in die Raw-Dateien eingebettet sind und in Lightroom nach Geschmack angewählt werden können (man kann natürlich die Kamera-JPG’s entsprechend einstellen).

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Die ersten Fotos, gemacht während einer „Runde“ mit dem Rennrad, alle Provia, in LR entwickelte Raw.

Das X70-Objektiv ist in seinen Eigenschaften dem 23mm Fujinon der X100 Modelle sehr ähnlich, wenn man davon absieht, dass es statt f/2.0 als größte Öffnung f/2.8 hat. Es hat einen Mindestabstand von 10cm, erreicht seine beste Performance zwischen f/4.0 und f/8.0, ist bei f/2.8 und f/16 in den Ecken etwas weich, bei f/2.8 gibt es ein durchaus angenehmes Bokeh und bei f/16 muss man sich darüber im Klaren sein, dass Diffraktion die Auflösung negativ beeinflusst. Alles erwartungsgemäß, damit kann man arbeiten.

Fuji X70
Fujifilm X70 Fujinon 18,5mm f/2.8 1/3500sec ISO 200 Provia (Standard)

Zeichnung des Objektiv bei Offenblende: Durchaus nett anzusehen. Ich will jetzt nicht unfair sein und das gleiche Foto aus der Leica Q zeigen… aber der Unterschied ist natürlich nicht 3000 Euro wert.

Wie es der Zufall wollte, war am nächsten Tag eine Familienfeier, eine Konfirmation. Eigentlich wollte ich alles mit der Leica Q begleiten (und die war auch dabei), aber es bot sich auch die ideale Gelegenheit, die X70 im Ernstfall zu testen. Vor allem im Gewusel nach dem Gottesdienst vor der Kirche kam das Klappdisplay zur Geltung. Hält man die Kamera über Kopf, hat man perfekte Sicht auf das Motiv. Aber auch die Perspektive aus Hüfthöhe hat etwas für sich und erweitert die Möglichkeiten, unauffällig Fotos zu machen, wenn man die Kamera einfach vor sich hält und auf das Display herabschaut.

Fujifilm X70 Fujinon 18,5mm f/5.6 1/550sec ISO 400 Classic Chrome

Im Gewimmel vor der Kirche, Filmsimulation Classic Chrome

Bei der Gelegenheit fand ich es gut, den Fokuspunkt durch Tippen auf’s Display zu bestimmen, dieser Modus lässt sich leicht am rechten Rand einstellen. Dabei gleich auszulösen, ist bei Schnappschüssen auch nicht schlecht, ich bevorzuge aber den Auslöser.

Unten: Porträt aus der Hüfte, Classic Chrome

Fujifilm X70 Fujinon 18,5mm f/5.0 1/280sec ISO 400 Classic Chrome

Nach der Kirche ist es üblich, die ganze Verwandtschaft zum Essen einzuladen. Das Wetter war sonnig und warm, die Lichtverhältnisse am Restaurant sehr extrem. Ich hatte die X70 immer neben mir, ich muss sagen, sie kam mit dem Licht sehr gut klar. Bei DR 200 ist nirgendwo etwas ausgebrannt, an den Schatten kann man ziehen ohne Ende (muss aber rechtzeitig aufhören, sonst hat man einen HDR-Look, was ich mittlerweile als ziemlich abstossend empfinde). Alle Bilder in diesem Blogbeitrag sind ausnahmslos in Lightroom aus Raw-Dateien entwickelt. Dabei sind nur die Tonwerte nach Bedarf korrigiert worden, also Helligkeit, Highlights, Tiefen, Weiss- und Schwarzpunkt. Keine Änderungen an Klarheit oder Dynamik, keine Rauschunterdrückung. Die Filmsimulationen wurden im entsprechenden Drop-Down-Menü ausgewählt, dann die Bilder als JPG exportiert.

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Die Low-Light Eigenschaften habe ich noch nicht gross getestet, aber ich bin überzeugt, dass sie denen der Fuji X100T gleichkommen, wenn man von der etwas kleineren Blendenöffnung (f/2.8) absieht. Um es noch einmal zu sagen: Dies ist kein Review, ich erwähne hier nur die Dinge, die für mich bei der Kamera wichtig sind. Beispielsweise werde ich kaum die manuellen Fokushilfen in Anspruch nehmen, da der Autofokus schnell und exakt arbeitet. Immerhin bietet die Kamera einige Optionen, wenn es nötig wird. Die Video-Funktion ist mir ebenfalls ziemlich gleichgültig. Vor Scene-Modes möge mich der heilige Barnack behüten. Ich habe ebenfalls nicht vor, mich durch ständig wechselnde Belegung der Knöpfe zu verwirren. Die angebotene Belichtungsreihe wie immer bei den X Kameras schwachsinnig, weil man höchstens ein EV Abstand wählen kann. Wenn man schon HDR machen will, braucht man wenigstens zwei EV. Spielereien wie Doppelbelichtungen oder „Erweiterte Filter“ (Lochkamera, etc.) sind eher nicht für mich. Panoramafunktion… naja. In-Kamera Raw-Verarbeitung? Nett, aber mache ich doch lieber selbst. Ebenso wie die 50, oder 35mm digitale Vergrösserungsfunktion für JPG’s, die nur ohne Raw funktioniert. Inwieweit man etwas wie Gesichtserkennung nutzt, ist wohl auch Geschmacksache. Selfie Modus: Ach du Sch…!

Fujifilm X70 Fujinon 18,5mm f/2.8 1/2000sec ISO 200 Provia (Standard)

Dieser Artikel ist auch in englischer Sprache auf Macfilos erschienen.

Hands-On zu Ende.  Um Monty Python zu zitieren: And now… something completely different. Aus den Untiefen meines Bewusstseins ist ein neuer Kamera-Antropomorphismus entstiegen. Wer „Pang of Jealousie“ aus dem Blog „In-Q-biert“ albern fand, sollte hier auf keinen Fall weiterlesen. Um die Grausamkeit zu steigern, hat das Machwerk mehrere Kapitel… und wird noch fortgesetzt. Keine Sorge, es ist kein Roman! Hier die ersten zwei Kapitel:

Falsches Spiel in Camera-City

Eine Hommage an Raymond Chandler

1.

Es war ein grauer, lichtloser Tag in Camera-City. Der Himmel wirkte wie eine riesige Soft-Box, ein Tag, um schon mit 3200 ISO aufzuwachen.

Ich sah aus dem Fenster meines kleinen Büros. Durch die Staubschicht der Scheibe wirkten die Straßenschluchten unten wie eine alte Daguerrotypie. Kameras aller Marken und Arten gingen ihren täglichen Geschäften nach, wimmelten die Straßen entlang wie auf Förderbändern in einer verrückt gewordenen Fabrik. Ein feiner Regen fiel, die nicht wettergeschützten Modelle hasteten von einem Hauseingang zum Nächsten.

Ich drehte mich seufzend zum Schreibtisch um, zog die unterste Schublade auf und nahm eine Flasche Entwickler heraus, die ich prüfend gegen das Licht hielt. Ein Bodensatz war noch darin, der letzte Rest von dem guten Amaloco. Ich nannte ihn Frühstück und goss ihn in das fleckige Glas, das in einem angetrockneten Ring neben dem Telefon stand. Die rote Lampe des Anrufbeantworters blinkte ebenso beharrlich wie die Ladeleuchte eines überforderten Kamerapuffers. Ich wusste, was es war. Die Hausagentur wegen der drei ausstehenden Monatsmieten.

Das Geschäft lief schlecht, meine letzten Akkuladungen hatte ich für eine neue Speicherkarte verballert, nachdem meine sich nicht mehr formatieren ließ. Ich nippte am Glas und grübelte, ob die Entscheidung, das Police-Department zu verlassen, richtig gewesen war. Der Captain hatte mich zurückhalten wollen, aber ich konnte es nicht mehr mit meinem Prozessor vereinbaren, mit einem korrupten Typen wie Distrikt-Staatsanwalt Nick On zusammenzuarbeiten.

Auf die Milchglastür fiel ein Schatten. Es klopfte, und ich kippte den Rest Amaloco hastig in den Papierkorb, die Flasche feuerte ich wieder in die Schublade

»Herein!«, keuchte ich und wischte mir schnell noch etwas Staub von der Frontlinse. Der feuchte Traum eines Kamera-Designers trat ein. Sie war klein, kompakt, aber schlank und elegant, perfekte Proportionen. Sie war in einem geschmackvollen schwarzen Kostüm gekleidet, oben in Chrom abgesetzt. Statt eines Suchers trug sie als einzigen Schmuck eine neckische Blitzeinheit. Mir war klar, dass ich an ihrem wohlgeformten Hinterteil vermutlich eines dieser neuartigen Klappdisplays mit Touchscreen finden würde. Ich wechselte nervös zwischen den Belichtungs-Messmethoden. Sie hatte manuelle Kontrollen auf der Deckplatte, die keine Wünsche offenließen. Allein der Gedanke, daran mal herum zu spielen, jagte mein Histogramm in den Burn-out-Bereich.

In ihrem Objektiv lag eine sinnliche Tiefe, feine Blendenlamellen gingen auf und zu, mit schnellem Autofokus erfasste sie jedes Detail des Raumes. Sie hatte Klasse, eine Festbrennweite. Oh mein Gott, ich stand auf Festbrennweiten… ich versuchte, mir nicht ihren Sensor vorzustellen…

»Sind Sie Mr. Leica?« Sie fixierte mich jetzt cool mit kleiner Blende. Ich kämpfte, meine Standardwerte wiederzuerlangen, und räusperte mich.

»Als ich das letzte Mal auf meiner Deckplatte nachsah, stand es da noch. Quentin Leica, zu Ihren Diensten.« Ich zwinkerte mit meinem Sucher in einem spöttischen Salut. »Mit wem habe ich das Vergnügen?«

»Sie sind mir empfohlen worden«, sagte sie ausweichend und in einem Ton, als bereute sie jetzt schon, sich in mein schäbiges Büro verirrt zu haben. Dabei studierte sie das Diplom von DxO, das in dem Rahmen an der Wand verrutscht war. »Man sagte mir, Sie seien diskret.« Sie wandte sich wieder um und sah mir direkt in die Linse.

»Diskretion ist mein zweiter Vorname«, versicherte ich und hasste mich für den lahmen Spruch.

»Erzählen Sie mir, wie ein vielversprechender junger Detective des CCPD hier landen kann.« Sie wies auf das abgewrackte Interieur. Offenbar wusste sie mehr über mich als umgekehrt.

Ich stellte meine JPG’s auf ›hart‹. »Die Polizeiarbeit sagte mir nicht zu.«

»Oder eher die Arbeit von Distrikt-Staatsanwalt Nick On?« Ihr AF-Hilflicht glühte abwartend.

»Sagen wir mal, ich teilte seine Rechtsauffassung nicht.«

»Und die wäre?«

»Nun, wenn Sie in eine krumme Sache verwickelt werden und das Unglück haben, weder Spiegel noch Tiefpassfilter zu besitzen, sind Sie für Mr. On schon der Schuldige. So einfach ist das.«

»Ich habe beides nicht«, bekannte sie und ließ weiter das Hilflicht flackern, auf das ich geradezu manisch fokussieren musste. »Willkommen im Club!«, stieß ich mit einem gefakten Verschlussgeräusch hervor, das ich irgendwo in meiner Software gefunden hatte. »Was kann ich für Sie tun, Lady?«

Sie klappte wortlos eine kleine Bereitschaftstasche auf und warf eine Bedienungsanleitung auf den Schreibtisch. Ich sah angewidert darauf. »Ich steh nicht so auf Pornografie!«

»Es ist meine«, verkündete sie trocken. Ich griff danach, sie schnappte sie so schnell weg, dass meine Nachverfolgung versagte.

»Ich habe sie… zu privaten Zwecken anfertigen lassen, nun stelle ich fest, dass sie unter der Hand verbreitet wird.«

»Mein Sensor blutet, Baby«, sagte ich sarkastisch. »Als Nächstes werden Sie mir vermutlich sagen: ›Ich war jung, ich brauchte das Geld!‹« Ich erntete ein böses Fokussieren. »Ich will, dass Sie dem ein Ende setzen!«

»Geben Sie mir etwas, womit ich arbeiten kann.« Ich stellte auf ›Continuous‹ und zählte auf: Erstens, wer hat die… Bedienungsanleitung erstellt, zweitens, wer hat sie noch bekommen und drittens… brauche ich das Teil.« Ich richtete meine 50mm Rahmenlinie auf das umfangreiche Booklet, das sie fest an ihr Gehäuse drückte. »Außerdem kostet Sie das 5 Akkuladungen am Tag plus Spesen!«

Sie riss die Blende auf. »Sie sind nicht so billig, wie Ihr Büro aussieht.«

»Hey, von irgendwas muss der Akku vollwerden.« Ich klickerte selbstsicher mit den Verschlusslamellen. Sie reichte mir seufzend die Anleitung. »Ein enger Freund der Familie hat sie zusammengestellt. Als das Ding plötzlich in der Öffentlichkeit auftauchte, war er völlig dejustiert. Er machte sich selbst auf die Suche nach der Quelle, jetzt ist er vom Erdboden verschwunden. Sie müssen ihn finden!«

»Wie ist sein Name und wann haben sie zuletzt von ihm gehört?«

»Er heißt Rick Oh’Geearr. Alles was ich kann, habe ich von ihm gelernt. Mein Privatlehrer. Er hat sich vor zwei Wochen zum Letzten mal gemeldet.« Sie nahm ein Mikrofasertuch aus der Tasche und polierte an einem nicht existierenden Fleck auf der Frontlinse.

»Erfahre ich jetzt womöglich auch noch Ihren Namen, Schätzchen? Sie scheinen ja aus einer ziemlich elitären Familie zu kommen.« Ihre Blitzeinheit zuckte kurz auf. »Look, who’s talking! Der Leica-Clan ist auch nicht gerade Low-Profile! Also… mein Name ist Xandrine Seventy.« Mein Hauptprozessor wurde warm, als sich plötzlich eine Menge Daten zusammenfügten. Natürlich, sie war ein X-Modell. Ein kurzer Blick in die Bedienungsanleitung enthüllte beeindruckende technische Details. Rattenscharf. Wieso hatte ich noch nie von ihr gehört?

»Ich bin neu in der Stadt«, fügte sie hinzu, als hätte ich die Frage ausgesprochen. »Rick Oh’Geearr’s letzte Nachricht kam von hier. Er sagte, er habe eine Spur, die zu einem gewissen Sonny Alfaseven führt. Haben Sie von dem jemals gehört?« Ich fror kurz ein und musste mich neu starten. Sonny Alfaseven! Meine alte Nemesis! Meine ISO war auf 25 000 geschnellt.

Ich brachte sie mit Mühe wieder in normalen Bereich und sagte so ruhig wie möglich: »Alfaseven ist der örtliche Nr.1-Mobster. Er hat seine Lamellen überall drin. Gepanschter Entwickler, gefälschte Objektivadapter, frisierte Firmware, miese Speicherkarten, photoshopping… der Handel mit Bedienungsanleitungen ist genau seine Brennweite. Er hat mehr krumme Geschäfte laufen als frei belegbare Knöpfe an seinem Gehäuse, und das heißt einiges. Was war Rick Oh’Geearr’s letzte Adresse?«

»Keine Ahnung, er sagte, er sei irgendwo im Analog-Quarter.«

»Das ist die übelste Gegend der Stadt. Laden Sie ein Foto von ihm auf meine Speicherkarte, ich muss ein paar Erkundigungen einziehen. Wo kann ich Sie erreichen?«

»Ich wohne im Cartier-Bresson.« Sie schloss würdevoll ihre Blende um zwei Stufen.

»Sie haben Stil, Kleine. Ich gebe Bescheid, wenn ich was erfahre.«

»Ich hoffe, Sie haben keinen Shutter-Lag. Ich lege Wert auf Geschwindigkeit.«

»Seh ich aus wie ’ne verdammte Spiegelreflex?«

»Im Gegenteil… Sie sehen zum Anbeißen aus.« Sie drehte sich um und stolzierte zur Tür. Wie vermutet, schwenkte sie ein niedliches Klappdisplay mit Touchscreen. Meine Fokussiermechanik fühlte sich trocken an. Wenn ich ihr jetzt öfter begegnete, müsste mein Techniker bald einen CLA-Job bei mir durchführen.

2.

Es war nicht schwierig, Rick Oh’Geearr aufzuspüren. Er sollte sich in einer heruntergekommenen Absteige mitten im verrufenen Analog-Quarter aufhalten. Als ich dort ankam, wankte eine grellbunt lackierte Kamera mit rissigem Plastikgehäuse auf mich zu. Sie hatte sich den Filmtransporthebel von irgendeinem Scharlatan entfernen lassen, ein grauenvoller Job, auf ihrem Hinterteil klebte ein gefakter Monitor. Sie war so digital wie eine assyrische Keilschrifttafel.

»Hey, Handsome«, rasselte sie mühsam, »Lust auf etwas Abwechslung? Ich hab zuhause ’nen Entwickler, der pusht 100 ASA auf 3200!«

»Heute nicht, Süße«, entgegnete ich und drückte ihr einen Ladungsdollar in die Hand. Hast du diesen Typen hier irgendwo gesehen? Ich zeigte das Bild von Oh’Geearr auf dem Monitor.

Ihre Fokussiermechanik übertönte die Strassengeräusche. »Wohnt hier«, schnüffelte sie und steckte den Dollar in ein Fach, das ehemals eine Knopfzelle für die Belichtungsmessung beherbergt hatte. »Genau so’n Asket wie du.« Sie wies auf den Eingang des Hotels, über dem eine verblasste Leuchtreklame hing.

Das ›Kodachrome-Inn‹ hatte schon bessere Zeiten gesehen. Im Halbdunkel des Eingangsbereiches, der nach altem Fixierer stank, entdeckte ich hinter der wurmstichigen Rezeption etwas, was ich zunächst für die sterblichen Überreste eines Hoover-Klopfsaugers hielt. Als sich der Schrotthaufen bewegte, identifizierte ich ihn als steinzeitliche Agfa-Laufbodenkamera. Sie drehte ruckweise ihren Entfernungsring und machte mehrere Versuche, den Verschluss zu spannen, nachdem sie meiner gewahr wurde.

»Äh, Tag, Mr. …«, ich sah auf sein Typenschild, »…Prontor. Ich will zu Rick Oh’Geearr. Welche Zimmernummer hat er?«

Der Pförtner schnarrte mürrisch mit seinem Vorlaufwerk. »Wenn der Kerl jetzt Konferenzen auf dem Zimmer abhält, muss er extra zahlen. Was glaubt der, wo er wohnt? Im ›Vier Belichtungszeiten?‹«

Ich stutzte. »Was soll das heißen? Ist noch wer bei ihm?«

»Vorhin kam schon ’ne breitschultrige Spiegelreflex ohne Typbezeichnung. Schwarz wie die Nacht und unhöflich wie ’n Rudel Paparrazzi.« Er zuckte gehässig mit dem Faltenbalg. Auf meinem Display leuchteten gleichzeitig alle Warnhinweise, die in meiner Firmware habhaft waren. Ich packte die 6X9-Kamera am Winkelsucher und schüttelte. »Die Zimmernummer! Dalli! In sechs Frames per Second!«

Ein paar Verschlusszeiten später raste ich die Treppe hoch, weil der Uralt-Fahrstuhl so langsam war, dass man ihn Langzeit-Belichten müsste, um Bewegung festzustellen. Der Pförtner würde nun ohne Zweifel die Cops rufen, und das war erwünscht. Die Tür von Zimmer 3-0-4 war nur angelehnt. Ich stieß sie langsam auf und scannte den Raum. Die Jalousien des winzigen Fensters waren geschlossen, durch die Schlitze fiel wenig Licht auf die graugrüne Tapete und die schäbigen Plastik-Furnier-Möbel. Der Typ, der vermutlich irgendwann zu Nicéphor Niépces Zeiten die Farben dieses Raumes ausgesucht hatte, konnte damals noch nicht ahnen, was er meinem Weissabgleich damit antat.

Aber ein Accessoire war zu der Zeit nicht drin gewesen: Rick Oh’Geearr, flach auf dem Rücken auf dem Bett ausgestreckt, mit den Tragegurtösen am Bettgestell gefesselt. Er bot kein schönes Motiv. Seine Frontlinse war zertrümmert bis in die tiefen Linsengruppen, der Verschluss hing, selbst der Sensor war zersplittert. Das Gehäuse zeigte eine Vielzahl an Rissen, das Display, auf dem er lag, konnte nicht viel besser aussehen. Eine Dampfwalze hätte weniger Schaden angerichtet. Irgendjemand hatte ihn hochnotpeinlich befragt und war mit den Antworten gar nicht zufrieden gewesen. Sein Batteriefach stand offen, der Akku war brutal falsch herum hineingetrieben worden. Das musste weh getan haben. Der Schlitz für die Speicherkarte war leer.Rick Oh'Geearr, his mortal remains

Ich hatte als Cop eine Menge übler Sachen gesehen, aber dieser Anblick sinnloser Gewalt liess mich fast bereuen, dass ich nicht vorhin den Entwickler der Bordsteinschwalbe getestet hatte. Ich hätte jetzt einen Schluck davon vertragen können. Ich biss die Blende zusammen und untersuchte den Haufen Glasscherben und Schaltkreise, der mal Rick Oh’Geearr war. Mit einem Mini-USB-Kabel, das ich immer dabei hatte, horchte ich in ein elektronisches Nirwana. Dort war nichts zu retten. Aber in seinem Pufferspeicher war eine Restsignatur, die ich herunterlud. Das hatte sein Peiniger übersehen.

Plötzlich ging meine Belichtungszeit hoch, ein Schatten war auf mich gefallen. Noch bevor ich mich umdrehen konnte, krachte etwas Schweres auf meine Hinterwand, meine Software stürzte ab. In den Millisekunden davor hatte ich noch Zeit zu fluchen. Warum hatte ich mich wie ein verdammter Anfänger benommen und nicht vorher sichergestellt, dass der Killer nicht noch in der Nähe war? Dann wurde alles schwarz.

Ende des 2. Kapitels. Wie wird es weitergehen, wenn Quentin Leica’s Hauptprozessor wieder startet? Versäumen sie nicht die Begegnung mit Captain Lou Mix und Comissioner Malcolm Leica vom CCPD. Kommt es zum Showdown mit Sonny Alfaseven und seinen Leuten? To be continued…

3 Kommentare

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