Natürlich ist der Titel provokativ gemeint, denn wer würde schon ernsthaft anzweifeln, ob Autofokus sinnvoll ist?  Bestimmte Bereiche der Fotografie ohne Kameras mit schnellem Autofokus wären gar nicht möglich. Doch stelle ich immer wieder fest, dass es eine Menge Leute gibt, die sich gar nicht vorstellen können, wie man mit einer Kamera mit manuellem Fokus etwas anderes als Blümchen, Kirchen, oder steif in die Kamera grinsende, zu Salzsäulen erstarrte Personen ablichten kann. Selbstverständlich geht Tierfotografie, aber nur, wenn die Viecher zuvor fachgerecht ausgestopft wurden.

Echt jetzt? Wie haben denn die Reporter das nur früher hingekriegt, wenn die Leute einfach nicht stillhalten wollten? Sandten sie dem Chefredakteur eine Depeche: „Sorry, wir lagen im Schützengraben unter Vietkong-Beschuss, die Kerle wollten sich einfach nicht zum Gruppenfoto aufstellen!“

Um den schwarzen Humor nicht ausufern zu lassen: Selbstverständlich hat jeder Leica-M-Fotograf seine Tricks und Kniffe, auch beweglich Motive zu fokussieren, ohne gleich bei 35mm-Objektiv Blende f/16 einzustellen und den Entfernungsring zu vergessen (was natürlich auch eine Möglichkeit ist). Im Lauf der Jahre habe ich meine Techniken entwickelt, mit deren Hilfe ich moderat bewegte Motive hinlänglich exakt fokussieren kann. Und schliesslich – wenn’s gar nicht mehr manuell geht – wozu habe ich die Leica Q?

Speed auf dem Sandplatz – Leica M10 mit 50mm Summicron  f/2.0  1/4000 sec  ISO 100

Aber die hatte ich letztes Wochenende mal wieder bewusst zuhause gelassen (keine Sorge, kleine Q, dein Einsatz kommt auch bald wieder!), als ich mich aufmachte, um eine Reportage vom „kleinen Turnier“ des Reitvereins „Fredericus Rex“ auf dem Hof Rethemeier bei Vlotho zu machen. Ostwestfalen ist eine absolute Reitergegend. Dazu kommt, dass die drei Frauen, die mein Leben im allgemeinen bestimmen (wörtlich zu nehmen), allesamt Pferdenärrinnen sind. Ich selbst bin in den 90er Jahren regelmässig geritten, orientierte mich dann zu Radsport um. Das lag daran, dass ich so an unserem damaligen Pferd hing, dass ich aus Trauer das Reiten ganz liess, als es wegen einer schweren Krankheit eingeschläfert werden musste.

Abschreiten des Parkours. M10 mit 75mm Apo-Summicron bei f/2.0  1/125 sec  ISO 500

Ich will hier auf keinen Fall eine Diskussion über Reitsport lostreten – es ist wie immer – wenn es extrem wird, wird es abartig – aber bei so einem „kleinen Turnier“ ist die Welt für Pferde in Ordnung. Die Bedingungen am Wochenende waren ideal: Mildes, trockenes Wetter, Sonnenschein – Frühling lag in der Luft. Am Samstag waren hauptsächlich Dressurprüfungen, am Sonntag ging es um’s Springen. Ich kam an beiden Tagen Mittags an (die Vormittage hatte ich in der Praxis verbracht, Notdienst), da war alles immer schon in vollem Gang. Ich hatte also die M10 mit, das 50mm Summicron davor. Zur Vorsicht hatte ich 90mm, 75mm und 35mm dabei, stellte aber hinterher (wie so oft) fest, dass ich zu 90% mit meiner in Erwartung der Anforderungen getroffenen Erstauswahl klarkam. Das war also mal nicht mein sonst favorisiertes 28- oder 35mm-Objektiv, denn will man damit Pferde im Parkours fotografieren, muss man schon drinnen stehen (beim Weihnachtsreiten, das ich mit der Q fotografiert habe, war das kein Problem), aber das kommt beim Turnier nicht so gut.

Turnier

Über dem Hindernis „eingefroren“: M10 mit 50mm Summicron  1/500 sec bei f/2.0  ISO 1250

Da wir bei Brennweiten sind: Als ich am Sonntag in die Halle kam, fiel mir sofort ein Fotograf mit einer Canon 7D auf. Er hatte etwas vor seiner Kamera montiert, dass man an der norddeutschen Küste vermutlich als Seezeichen zur terrestrischen Navigation nutzen könnte. Ein 150-600mm Zoom von Sigma. Er schien nicht glücklich. Ich konnte nicht widerstehen und sprach ihn an. Wie sich herausstellte, war er polnischer Mitbürger und verdiente sich ein bisschen Geld, indem er auf den Turnieren in unserer Gegend Fotos machte und sie den Abgelichteten zum Verkauf anbot. Ein fairer Handel, Reiter sind verrückt nach solchen Turnierfotos. Nur musste er jetzt feststellen, dass er mit dem Teil in der immer etwas schummrigen Halle nicht klar kam, weil dessen grösste Blende f/5.0 ist. Dabei war es schon heller als sonst, weil durch die Oberlichter helles Sonnenlicht einfiel. Das wiederum stellte höchste Anforderungen an die Sensordynamik, weil Reiter und Pferde teils vom Lichtkegel getroffen wurden und so ganze Bildanteile schnell ausbrennen, vor allem, wenn man in höheren ISO-Gefilden schwebt. Und die 7D konnte mit dem Teil davor nur mit ISO 3200 bis ISO 6400 operieren, dabei war die Belichtungszeit noch mit 1/200 Sekunde viel zu lang für springende Pferde. Die Bildstabilisierung war völlig nutzlos dabei, weil die natürlich nur das „Wackeln“ dämpft, und nichts bewirkt, wenn ein geölter Blitz quer durchs Bild schiesst. Die Ergebnisse waren dem entsprechend.

  

Zweimal verweigert, M10 mit 90mm Macro-Elmar 1/750 sec  ISO 12500

Wir unterhielten uns ganz angeregt über das Problem, ich war insgeheim froh, dass er Leica gar nicht kannte und mich somit nicht von vornherein als arroganten Fatzke einstufte. Und wenn ich diese Begebenheit erzähle, ist auch das letzte, was ich will, mich als unerträglicher Besserwisser zu präsentieren. Aber ich finde es bemerkenswert, dass er ohne Reflexion immer weiter versuchte, mit dieser Linse zu fotografieren, bis ich ihm nahelegte, ob er denn nicht noch etwas anderes in seinem riesigen Fotorucksack habe, was ein bisschen mehr Öffnung hätte, zumal er keine 600mm, nicht mal 150mm brauche (höchstens, um die Schwalbennester in den Ecken zu fotografieren). Ich hatte bereits festgestellt, das 50mm völlig ausreichten, eigentlich ideal waren. Aber er hatte keine Festbrennweite dabei. Im Verlauf des Turniers sah ich, dass er dann ein kleineres Zoom benutzte, das vermutlich wenigsten f/3.5 oder f/4 hatte.

Zwischendurch musste ich mich mal fragen, ob ich nicht vielleicht bei einer Life-Action-Role-Play Veranstaltung von „Bibi + Tina“-Enthusiasten gelandet war…  M10 mit 50mm Summicron  1/1500 sec  ISO 100

Am Samstag bei den Dressurprüfungen reichte 1/200 Sekunde aus, bei Blende f/2 kam ich nur selten bis ISO 1000 (Auto-ISO aktiviert), am Sonntag beim Springen ging ich auf Nummer Sicher und stellte 1/750 Sekunde ein, aber auch da war ich im allgemeinen unter ISO 2500. Jedenfalls konnte ich mit den Werten die Bewegung zuverlässig „einfrieren“. Im Gegensatz dazu gab es natürlich noch die mitgezogenen Aufnahmen, für die ich meist 1/90 Sekunde benutzte. Bei Aufnahmen draussen bei Sonnenlicht brauchte ich mir darüber gar keine Gedanken machen und stellte auf Belichtungsautomatik, sehr schön, dass man bei voller Öffnung mit einer Basis-ISO von 100 mit 1/4000 Sekunde auskommt. Will sagen, der ND-Filter wird überflüssig.

Der Gruß. M10 mit 75mm Apo-Summicron bei f/2.0 1250 sec  ISO 500

Fokussieren

So, aber jetzt zum Fokussieren. Natürlich habe ich nicht das Rad plötzlich neu erfunden, routinierte Messsucherfotografen werden dezent das Gähnen unterdrücken, wenn ich folgende Weisheiten von mir gebe:

  • Eingangs schon erwähnt, das hyperfokale Fokussieren, kurze Belichtungszeit erforderlich. Man stellt eine kleine Blende ein (f8 – f/22), Distanzring auf hyperfokale Entfernung und hofft das Beste. Für mich keine Option, wenn ich es irgendwie vermeiden kann. Bei schlechtem Licht nicht durchführbar.
  • Ein „antizipierter Fokuspunkt“. Man stellt mit ausreichend kurzer Belichtungszeit auf eine Stelle ein, die das (bewegte) Motiv passiert und drückt im richtigen Moment ab. Einfache und todsichere Methode, mit der ich die Fotos der Pferde über dem Sprung gemacht habe.
  • Aber was, wenn man nicht weiss, wohin das Motiv denn strebt? Antwort: Nachverfolgung, und das ist höheres Level bei einem Messsucher. Das Motiv wird anvisiert, dann wird der Distanzring ruckweise vor- oder zurückgedreht (je nachdem, ob es auf einen zukommt oder nicht), das Motiv passiert dabei jedesmal den Fokuspunkt. Diesen Moment muss man auch bewusst registrieren, sonst hat man verloren! Eigentlich könnte man an dem Punkt immer auslösen, im Allgemeinen warte ich, bis es nah genug ist, denn in den meisten Fällen kommt das Motiv auf mich zu. Notwendig: Man muss wissen, wie herum man den Distanzring für näher/weiter dreht. Das erfordert Übung und muss in Fleisch und Blut übergehen, darüber Nachdenken darf man nicht. Gute Augen leider auch Grundvoraussetzung.

Nachführung des Fokuspunktes: Wer die Exif-Daten dieser drei Fotos ansieht, wird feststellen, dass sie innerhalb von 4 Sekunden entstanden sind. Also in der Zeit dreimal fokussiert und ausgelöst, Einzelbildfunktion, nicht Serienbilder. M10 mit 90mm Summarit bei f/2.5  1/200 sec   ISO 1000

Fokus hin- oder her, wenn man Bewegung nicht immer einfrieren will, gibt es noch die Möglichkeit der mitgezogenen Aufnahme. Man stellt bei gegebener Blende eine der Geschwindigkeit des Motivs angepasste Belichtungszeit ein, die zum „einfrieren“ eigentlich deutlich zu lang ist. Das Motiv muss „verfolgt“ werden, wenn es sich querab meiner Postion befindet, löst man aus. Das Ergebnis sollte ein hinlänglich scharfes Bild des Motivs mit (unabhängig von der Blende) verwischtem Hintergrund sein. Bei bestimmten Gangarten bei Pferden (z.B. Leichttraben) ist die Nachverfolgung nicht zu empfehlen, weil dann durch das auf und ab eine vertikale Bewegungskomponente, die die horizontale überlagert, für zuviel Unschärfe sorgt. Je gestreckter der Galopp, desto besser. Auf dem Nürburgring bei Rennwagen hatte ich dieses Problem nicht.

Wenn es klappt, hat man den schönen Effekt, dass sich die Geschwindigkeit im Foto mit darstellt. Als sich mein Blog noch in der Jungsteinzeit befand, habe ich darüber mal geschrieben, im Grundsatz hat sich nichts verändert.

Turnier

Mitgezogene Aufnahme (siehe auch Beitragsbild ganz oben): In der Abreitehalle, M10 mit 50mm Summicron F/2.0  1/90 sec  ISO 100

Am Samstag achtete ich mal auf den Akku der M10. Ich war ca. drei Stunden da, hatte die Kamera fast pausenlos an, aber fotografierte nur über den Messsucher, gelegentlich mal eine Bildrückschau. Die Ladung war bei ca 240 Bildern noch zu 45% erhalten. Mit der Kapazität kann ich wirklich gut leben. Der zweite Akku, den ich immer dabei habe, wird wohl selten zum Einsatz kommen.

Zum Postprocessing: Wie immer in letzter Zeit DNG in LR nach S/W konvertiert, nur Tonwertkontrolle, Gradationskurve starker Kontrast, Profilkorrekturen deaktiviert und keine Rauschunterdrückung. Hier und da habe ich eine schwache Vignette zugefügt, Geschmacksache.

M10 mit 50mm Summicron 1/750 sec  ISO 5000

Zu guter Letzt muss noch gesagt werden, dass ich eigentlich nur mit der Intention zum Turnier gegangen war, einige Impressionen davon nach Hause zu bringen, daher sind auch genügend „Standbilder“ dabei. Aber gerade das Einfangen der „Action“ macht viel Spass, man hat mit einer manuellen Kamera das eigenartige Gefühl, mehr für’s Bild getan zu haben, tiefer involviert zu sein, und das scheint irgendwie die Serotonin-Ausschüttung in Gang zu setzen. Stattdessen könnte man auch Schokolade essen, aber das wird irgendwann ungesund.

Der Hof Rethemeier. M10 mit 35mm Summilux  1/1000 sec bei f/4.0  ISO 100

3 Kommentare

  1. Sowohl das Mischbild der Leica M, der Schnittbildindikator einer SLR oder der zentrale Kreuzfeldsensor einer DSLR sind im Sucher mittig angeordnet, sodaß der Fotograf immer bewußt die Kamera zur Entfernungsmessung genau ausrichten und nach der erfolgten Messung die Komposition ganzheitlich vornehmen könnte.
    Wer jedoch über eine AF-DSLR mit großem Sensor verfügt, kann die Autofokusfunktion ausschalten und an jedem Punkt der Mattscheibe von Hand die Schärfe nach Augenmaß nachführen.
    Meine DSLR erlaubt ein manuelles fokussieren bis Blende 2,8 an der auswechselbaren Standard Einstellscheibe. Da das Okular über einen Dioptrienregler verfügt, überprüfe ich die Okulareinstellung anhand der aufgedruckten Markierungen der Mattscheibe so, das sie gerade scharf zu erkennen sind. Dann lassen sich auch WW Brennweiten mit etwas Übung sicher nachführen. Für das manuelle Auge/Hand Scharfstellen von höher geöffneten Objektiven wählt man eine dafür geeignete Einstellscheibe des Herstellers aus.
    Der Fotojournalist James Nachtwey bewegte sich mit seiner EOS und dem EF 1,4/35 USM am Auge durch die bewegte Szenerie und justierte dabei den Fokus sowie die Belichtung anhand der Sucheranzeige von Hand nach …

  2. Lieber Claus
    Zuerst dies: auch ein Fahrrad hat einen Sattel 🙂

    Nun dies: ich bin zwar nicht gerade der grosse Reitsportfan, aber deine Bilder und die Erleuterungen dazu gefallen mir sehr gut. Macht es doch Lust, selber mal bei einem kleinen Turnier dabei sein zu dürfen.
    So zu fokusieren und solche Resultate zu bekommen, auch wenn es einiges an Übung und Praxis braucht, ist doch sehr befriedigend. Eben echtes Handwerk noch. Diese Bilder halten mir aber auch deutlich vor Augen, dass diese Kamera, wie die Q, genau zu mir passt. Hatte ich doch beim Testen in Bern mit der M10 ein fahrendes Tram ebenfalls mit Nachführen scharf bekommen.

    Ich selber habe die Lowlightqualitäten der Q, nach einem deftigen Mittagsmahl im Restaurant au Château in der zapperdusteren katholischen Kirche in Estavayer-le-Lac getestet. Einige Bilder sind bereits online. Über ISO 3200 ist sie bei diesen Bildern nie gegangen.

  3. Bei langsamen Sportarten bis etwa 25 km/h genügen in Abhängigkeit von der Bewegungsrichtung (|, X, ) bei einem Abstand der Kamera von 5 m Verschlußzeiten im Bereich von 1/125 s bis 1/500 s. Beispielsweise bietet eine 50 mm KB-Optik bei Blende 4 ein Schärfentiefe Intervall von zweieinhalb Metern bei einer Distanz von 5 m (Bildfeld ca. 2,4 m x 3,6 m). Bei sonnigem Wetter (LW=14) könnte mit 1/1000 sek. und f4 @ ISO 100 eine Reiterin fotografiert werden, ohne – die vorher in Ruhe manuell fokussierte Kamera – mitziehen zu müssen. Im Vergleich zu einer Spiegelreflex- oder EVF-Kamera gelingt das Belichten zum Kulminationspunkt der Bewegung sicherlich eher, wegen der sehr viel kürzen Auslöseverzögerung einer Leica M (M6 < 20 ms). Mit einer schnellen APS-C DSLR und dem 1,4/35 mm könnte man alternativ mit Blende 4 (ISO 100) im AE und AF-C Modus eine Serie schießen und später am Monitor das beste Bild auswählen …

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