Albert Einstein sagte einmal: “Everything should be made as simple as possible, but not simpler.” Bezieht man diesen Rat auf die Kamerawelt, kann man die meisten auf dem Markt befindlichen Geräte als spektakuläre Fehlschläge bezeichnen, schon was die erste Hälfte des Zitats betrifft.
Im Juni 2015 hatte Leica die Q vorgestellt. Was Einsteins “Doktrin” betrifft: Nach einem Jahr mit dem Apparat kann ich bestätigen, das die Q die erste und die zweite Hälfte des Zitats erfüllt. Damit könnte ich den Beitrag schon abschliessen, es ist alles gesagt…
…naja, nicht ganz. Denken wir mal zurück, wie es im Juni 2015 war, als die Q vorgestellt wurde. Anders als zuvor bei der X-Vario (als ein virtueller Lynchmob mit Fackeln, Mistgabeln und Dreschflegeln auf Wetzlar marschiert war), wurde sie von der “Leica-Community” recht wohlwollend empfangen, nahmen sich doch ihre technischen Daten auf dem Papier recht gut aus. Entsprechend fielen die Reviews der “Großen” aus (z.B. Jono Slack, Ming Thein, Kristian Dowling, Sean Reid etc.). Das direkte Konkurrenzprodukt war damals die Sony RX1RI, im Oktober 2015 stellte Sony dann die RX1RII vor, die die Q in den Staub treten sollte. Aber tat sie das?
Es gibt keinen Zweifel, dass die RX1RII ein exzellenter Apparat ist, aber bei Einstein fällt er durch. Nehmen wir noch den Bauhaus-Grundsatz “form follows function” dazu, ist die Sony im Vergleich weit abgeschlagen. Wohlgemerkt, wir reden hier nicht von Sensordynamik oder Rauschverhalten, da müsste die Sony besser sein. Bleibt nur die Frage, wie sich das “im wahren Leben” auswirkt? Ich erinnere mich in dem Zusammenhang immer wieder an die Leica M9, die im DxO-Sensorranking eine absolut unterirdische Bewertung hatte. Was also sagt so etwas über eine Kamera aus? Null!
Die Q sprach mich sofort an. Selbst die 28mm-Brennweite, die für manche ein “no go” war, machte sie mir gerade attraktiv. Aber ich kaufte sie nicht sofort, sondern wartete noch ab, denn damals verdichteten sich die Gerüchte über eine neue Systemkamera von Leica, auf die ich schon schielte. Als die SL jedoch herauskam, war klar, dass sie nicht für mich in Frage kam, viel zu groß (nichts gegen die SL, aber ich bin da einfach in der falschen Zielgruppe). Das andere war, dass ich mich nur ungern von der Fuji X100T trennen wollte (die ich nach wie vor für eine großartige Kamera halte), die durch die Q überflüssig werden würde.

Sonnenaufgang am Burgplatz – Das Summilux-Objektiv der Q beweist seine guten Eigenschaften bei Gegenlicht
Anfang Dezember 2015 wurde ich endgültig schwach und holte sie mir. Es war die Zeit der Weihnachtsmärkte. Die Kamera lieferte mir DNG-Dateien, die meiner M240 um nichts nachstanden. Im Gegenteil, Dynamik und Farbe sind eindeutig besser. Schon nach einer Woche schrieb ich ein “Hands on“, in dem ich meine ersten Eindrücke schilderte und heute, nach einem Jahr, muss ich nichts davon zurücknehmen. Au contraire, ich bin mir nicht sicher, ob nicht mittlerweile die Q zu meiner Hauptkamera geworden ist, während ich die M240 nur für bestimmte Gelegenheiten nutze.

Weihnachtsmarkt in Minden
Um die Weihnachtszeit gab es viele Möglichkeiten, die Low-Light-Performance der Kamera zu testen. Sehr bald war ich von der Brauchbarkeit der Bildstabilisierung überzeugt und die Schnelligkeit des Autofokus toppte alles, was ich bisher bei Kompaktkameras erlebt hatte. Beim Weihnachtsreiten unseres Reitvereins fand ein Mächtigkeitsspringen statt, die Kamera nagelte ein ums andere Mal die Pferde mitten im Flug über dem Hindernis fest. Kurze Zeit später, im Skiurlaub, bewies sie das wieder, als ich Skifahrer beim Springen mit der Serienbildfunktion fotografierte.
Dort im Gebirge und bei Sonnenschein kam ausserdem der elektronische Verschluss zur Geltung, der den ND-Filter bei großen Blendenöffnungen überflüssig macht. Wieder Schrauberei gespart.
Aber diese Dinge für sich allein waren für mich nicht so wichtig, mich überzeugten vielmehr die Eigenschaften der Q in der Summe. Die Einfachheit der Bedienung, die sofortige Verfügbarkeit manueller Kontrollen durch das clevere Design und nicht zuletzt die exorbitante Bildqualität, die der Sensor gepaart mit dem Objektiv immer wieder ablieferte. Hmm… Fanboy-Gequatsche? Vielleicht, aber nach einem Jahr revidiere ich mein Urteil immer noch nicht und kenne auch keine Kompaktkamera, die das gleiche “Fotoerlebnis” oder mehr bietet.

Magnolienbaum – Viel Bokeh für so eine kurze Brennweite dank f/1.7
Im Verlauf des Frühjahrs 2016 merkte ich plötzlich, dass sie nicht mehr einfach eine “Zweitkamera” zur M240 war, sondern praktisch gleichberechtigt, oft sogar bevorzugt. Mein Vertrauen in ihre Leistungsfähigkeit war inzwischen soweit gefestigt, dass ich die M240 zuhause liess, als im März die Lasershow “Der Hermann leuchtet” stattfand. Die kleine Kamera lieferte “a hell of a job”, alles aus der Hand, ohne Stativ. Das war eigentlich die Feuertaufe für die Unabhängigkeit der Q, fortan liess ich die M240 oft zuhause, vor allem bei Wanderungen oder Radtouren, im Urlaub und im familiären Bereich. Schon vorher hatte ich oft die M240 einfach nur mit einem Objektiv (meist 28 oder 35mm) mitgenommen, wenn ich keine Lust hatte, mich mit einer Kameratasche mit Wechselobjektiven zusätzlich zu belasten.
Bei dieser Neigung zur Minimierung der Ausrüstung war die Q genau das Richtige.
An der Ardèche kam mir das sehr entgegen, im Gewimmel eines französischen Wochenmarktes ist eine kleine, leichte und eher unauffällige Kamera (gegenüber den DSLR’s) sehr vorteilhaft, in der Tropfsteinhöhle Aven d’Orgnac konnte ich wieder über die Bildstabilisierung staunen, mit der man mit einer 1/4 Sekunde aus der Hand noch gestochen scharfe Bilder macht (zugegeben: Ich habe berufsbedingt auch ruhige Hände). An diese Sache habe ich mich inzwischen so gewöhnt, dass ich bei schlechtem Licht und unbewegtem Motiv sofort manuell eine Belichtungszeit von wenigstens einer 1/15 oder 1/8 Sekunde wähle.

In der Aven d’Orgnac, Foto aus der Hand mit einer 1/4 Sekunde Belichtungszeit. Die Bildstabilisierung ist von ungeheurem Nutzen.
Während ich all diese Erfahrungen machte und mir die Q (obwohl nur ein toter Gegenstand) immer mehr ans Herz wuchs, gab es zur gleichen Zeit eine Menge Stimmen, die sie aus verschiedenen Gründen niedermachten. Dazu war ein Review auf Dpreview erschienen, dessen Bewertungskriterien äusserst zweifelhaft waren und der Kamera unrecht tat. Das kritisierte damals schon David Taylor-Hughes. Insgesamt ärgerte mich das alles auch, man kann sagen, ich war ziemlich angepisst! In der Folge schrieb ich ein sehr emotional angehauchtes “Statement zur Leica Q“, um die Welt für mich wieder gerade zu rücken. Offenbar hatte ich damit den Nerv vieler anderer getroffen, vor allem einiger Blogger-Kollegen, die sich über die klärenden Worte freuten.

Freizeit an der Ardèche

Klettern, Mountainbiken oder Wandern – die Q macht alles mit
Dennoch war mir klar, dass die Q nicht alles bietet, was ich zuvor mit einer Systemkamera gewohnt war. Die M240 war keinesfalls abgeschrieben, es wäre ignorant, auf die Zeichnung oder Bildwirkung des 50er oder 35er Summilux, oder auch des 75er Apo-Summicron etc. zu verzichten. Bei einigen ziemlich dicht aufeinanderfolgenden Events entdeckte ich, wie gut sich beide Kameras ergänzen. Angefangen hatte das, als ich Anfang März eine Reportage von einem Konzert in einem Flüchtlingsheim machte. Dann kamen das Jahreskonzert der Musikschule Porta und das Varieté der Stufe Q1.
Mit der M alleine hatte ich immer heftig mit Objektiven jongliert, jetzt hatte ich einfach beide Kameras um und war so in der Lage, in Sekundenbruchteilen zwischen Brennweiten zu wechseln. Das man sich so weniger Staub auf dem Sensor einfängt, ist ein willkommener Nebeneffekt. Beim Varieté wurde ich auch in die Rolle eines Videographers gedrängt (eigentlich nicht mein Ding), jedenfalls entstand eine Menge Footage mit der Leica Q. Eins ist sicher: Entgegen anderslautenden Behauptungen ist die Videofunktion der Q mehr als zufriedenstellend. Das sie professionellen Ansprüchen nicht genügt ist klar, dafür ist die Bedienung narrensicher. Ich hatte einen kurzes Video zur Demo auf Youtube eingestellt.

Dieses Foto ist mit ISO 10 000 aufgenommen. Keine Spur von Banding.
In der ersten Jahreshälfte hatte sich daher die Rolle, die die Q bei mir spielt, so weit gefestigt, das ich vor dem Sommerurlaub ernsthaft vor der Frage stand, ob ich die M240 überhaupt mitnehmen sollte. Diesen nahezu blasphemischen Gedanken verwarf ich wieder, das war auch gut so, denn die M hat nach wie vor ein paar Tricks im Ärmel, die für die Q unerreichbar sind. Ich wusste mittlerweile sehr genau, was die Q kann, aber auch, was sie nicht kann. Dabei komme ich mit den Grenzen gut klar und finde mich damit ab.

Unterwegs mit dem Mountainbike zum Beispiel habe ich konsequent nur die Q dabei gehabt, dabei gibt an sich genug Gründe, auch mal längere Brennweiten einzusetzen. Oft genug hatte ich in der Vergangenheit die M9 oder M240 und ein, zwei Wechselobjektiven mit (und das war schon gegenüber DSLR-Zeiten eine Erleichterung), aber ich stelle eben fest, dass mir für meine Bedürfnisse und meine persönliche Erinnerung die Möglichkeiten mit 28mm reichen, auf den Rest kann ich gut verzichten.

Meine bevorzugten Einstellungen bei der Leica Q:
- Blende wähle ich selbst je nach Gegebenheiten, selten kleiner als f/5.6. Gemeint ist die physische Blendenöffnung, also f/8 ist kleiner als f75.6! Z.B. meist etwa f/4 oder f/5.6 für Landschaft, bei Porträt oder ähnlichem bleibe ich oft bei f/1.7-f/2.8. Würde die “A”-Stellung nur wählen, wenn ich die Kamera verleihe…
- Zeitwahlrad steht meist auf Automatik, kürzeste Bel.-Zeit bei “A” auf 1/30 sec begrenzt. Bei absolut statischen Motiven manuell bis zu 1/4 sec, bei bewegten Motiven je nach Geschwindigkeit 1/250, 1/500, 1/1000 sec u.s.w.
- ISO steht normalerweise auf Auto, begrenzt auf 6400
- Der automatische Weissabgleich der Kamera ist sehr gut (besser als der der M240), kein Grund, daran etwas zu verstellen
- Bildstabilisierung habe ich meist an. Vorsicht! Bei bewegten Motiven ausschalten!
- Schärfeeinstellung: Ein-Punkt-Fokus
- Belichtungsmessung: Mittenbetont (habe mich von der M daran gewöhnt)
- Dateiformat: DNG (daher gibt es bei mir keine besonderen JPG-Einstellungen)
- Alle akustischen Signale aus, keine automatische Wiedergabe der Fotos, das hält nur auf. “Chimpen” nur bei Bedarf.
- Displayeinstellung auf EVF-Erweitert
- Wasserwaage,Clipping und Histogramm lasse ich im Sucher anzeigen.

Die Photokina kam und ging ohne die erwartete Ankündigung auf ein Upgrade der M oder eine Variante der Leica Q mit längerer Brennweite, auf die viele jetzt noch hoffen. Was das betrifft, habe ich ernsthafte Zweifel, ob z.B. eine 50mm Q technisch durchführbar ist, wenn sie ähnlich lichtstark sein soll. Denn ein solches Objektiv bekommt einen beträchtlichen Durchmesser, der die Proportionen einer Kompaktkamera sprengen würde. Eine 50mm-Q mit größter Blende von f/3.4 könnte man mit der vorhandenen Technologie bauen, aber wäre vermutlich ein tot geborenes Kind (huhu… X-Vario…). Wenn man nicht die Gesetze der Physik überwinden will, müsste man sich radikal neue Technologien einfallen lassen, um trotz großer Anfangsöffnung das Objektiv klein zu halten. Die Forderungen nach einer solchen Kamera sind also genauso realistisch wie die Erwartung, dass die nächste VW-Modell-Generation fliegen kann.
Gut, es wäre nicht das erste Mal, dass die Leica-Ingenieure sich was cleveres einfallen lassen. Vor der M9 hat auch keiner geglaubt, dass man einen Vollformat-Sensor in dem Gehäuse unterbringen kann. Ich bin sehr gespannt auf die kommende M10, möglicherweise wird sie die Q für mich wieder mehr auf die Plätze verweisen. Allerdings hörte man nach kurzem aufflackern in der Gerüchteküche nichts mehr, wann denn diese Wunderding wirklich angekündigt wird. Erst hiess es November, der ist vorbei, jetzt soll es am 18. oder 19. Januar sein. Die Spannung steigt…
In den Herbstferien in Holland habe ich digital fast ausschliesslich mit der Q fotografiert (allerdings war ich auch sehr mit der M2 beschäftigt). Bei der zweiten Auflage des Musicals “Tanz der Vampire” der Projektgruppe der Musikschule Porta hingegen war es für mich selbstverständlich, die bewährte Kombination Q+M zu benutzen, mit vorhersehbaren Resultaten. Das klingt relativ Leidenschaftslos, aber das fotografieren dieses Events hat wieder großen Spass gemacht, erst mal wegen der exotischen Motive, und zweitens, weil es ein gutes Gefühl ist, schon beim fotografieren zu wissen, das man ein adequates Ergebnis abliefern kann.

Am letzten Wochenende war ich auf dem Weihnachtsmarkt in Bad Salzuflen. Es war schon dunkel. Während ich ein Glas Apfelpunsch schlürfte, beobachtete ich zwei Hobbyfotografen, wie sie mit Kameras auf den Stativen recht umständlich auf Motivsuche waren. Auch auf die Gefahr hin, einer gewissen Arroganz bezichtigt zu werden, gebe ich zu, dass ich mit dem Kopf schüttelte. Wer braucht heute noch ein Stativ für so etwas? Aber wenn man mit so einem Lichtschlucker-Monster-Zoom aus recycelten Glasbausteinen unterwegs ist wie die beiden, kann man auch mit einer Nikon-DSLR (ich konnte das genaue Modell nicht identifizieren, aber es war keine kleine) kaum Schnappschüsse machen. Ich merkte auch, dass sie das gar nicht erwarteten. Sie suchten sich nur statische Motive aus. Die Menschen schienen sie nicht zu interessieren. Trotzdem erzähle ich das nicht, um zu zeigen, wie unendlich viel schlauer ich bin, sondern weil das der Auslöser war, dass ich an die Q dachte und mir klar wurde, dass ich genau vor einem Jahr auf den Weihnachtsmärkten begonnen hatte, mich mit ihr vertraut zu machen. So wie die Dinge jetzt stehen, müsste da schon ein enormes Upgrade kommen, bevor ich mich von der Kamera trenne. Aber natürlich wird Leica das irgendwann schaffen.
Eine englische Version dieses Artikels ist auf Macfilos.com erschienen.

Die Milchstrasse über der Kirche von St. Leonhard. Diese Bild aus dem Januar ist lange vor dem Update im Sommer gemacht, das die längstmögliche Belichtungszeit der Q beträchtlich verlängerte. Jetzt ist es noch leichter, die erforderliche Menge Sternenlicht einzufangen. Das einzig knifflige bei dieser Art Nachtfotografie ist, auf Unendlich zu fokussieren. Hier war es leicht, ich stellte manuell auf die Kirche scharf.
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