Hin und wieder überkommt es mich einfach. Das analoge Fieber. Total irrational, da steht mir die M10 zur Verfügung, die für einen M-Shooter keine Wünsche offen lässt, und ich muss eine 60 Jahre alte Kamera mit Film laden.
Warum? Weil es was Besonderes ist. Ein anderes Gefühl. Vor allem bedächtiger. Wenn man schon normalerweise mit einer digitalen M etwas entschleunigter fotografiert (behaupte ich mal), dann schaltet man mit einer Film-M noch mal einen Gang zurück.
Schon wieder ‘ne M
Neulich war’s noch schlimmer: Ich hatte (mal wieder) diverse Artikel über Leicas Modellgeschichte gelesen und war zu dem Schluss gekommen, dass ich unbedingt eine M4 haben müsste, die sozusagen den Höhepunkt der Entwicklung der vollmechanischen M darstellt. Nach einigem browsen fand ich sie: Eine M4 in schwarzem Chrom, dazu noch ein Exemplar aus einer Jubiläums-Edition. Mich überkam ein akuter Anfall von GAS (=gear acquisition syndrome). Man sagt ja, dass beim Kaufen Serotonin ausgeschüttet wird, das pumpte da in King-Size-Mengen durch meine Venen, als ich die Bestellung offiziell machte. Das nächste Mal sollte ich vielleicht lieber eine Tafel Schokolade essen, die ungefähr das gleiche bewirkt, das ist deutlich günstiger.

Die Leica M4 in schwarzem Chrom. Diese Beschichtung ist wesentlich beständiger als die Schwarz-Lack-Versionen. Foto mit M10 und 90mm Macro-Elmar.
Und ja: Nachdem dies nun meine vierte analoge M ist (neben einer M3, M2 und M6) muss ich mir wohl endlich eingestehen, dass ich ganz unterschwellig zum Sammler mutiert bin (ein Begriff, gegen den ich mich lange gewehrt habe). Andererseits kann ich zu meinen Gunsten anführen, dass ich im Gegensatz zum typischen Sammler alle meine Geräte auch benutze. Das wäre für die meisten ein Horror, die guten Stücke aus den Vitrinen zu nehmen, am Ende sieht man noch Gebrauchsspuren! Noch etwas, ein Sammler muss nicht zwangsläufig was vom Fotografieren verstehen, nur weil er Fotoapparate sammelt. Das Sammeln bedient ganz andere Ur-Instinkte.
Der letzte Mohikaner
Meine “Neue” ist eine der letzten M4, die gebaut wurden, nämlich von 1975, gerade als Leica mit brummendem Schädel dasass, weil sie nicht wussten, wie sie nach dem Debakel mit der M5 (die in den Regalen der Händler verstaubte, weil sie keiner haben wollte) weiter machen sollten. In der Folge nahmen sie die Produktion der M4-2 auf, die sich aber von der ursprünglichen M4 darin unterscheidet, dass man aus Gründen der Ökonomie teilweise auf günstigere Bauteile zurückgriff.
Die M4 hat die Suchervergrößerung der M2 (.72), hat daher den 35er Sucherrahmen meiner bevorzugten Brennweite (da komme ich auch noch mit 28mm ohne Aufstecksucher klar), daneben natürlich noch 50, 90 und zusätzlich 135mm (welch letzteres die M2 nicht hat). Die Filmaufnahmespule der M3 und M2 ist passé, stattdessen gibt es jetzt (kicher) eine “Schnellladevorrichtung”. Anstelle des geraden Rückspulknopfs der Vorgänger, dessen Betätigung ein recht krampfiges Geschäft darstellt, gibt es jetzt einen schräg angesetzten Knopf mit Kurbel. Der Filmwechsel geht insgesamt deutlich schneller vonstatten.
Vollmechanisch heisst auch: Kein Belichtungsmesser. Man ist also auf ein externes Teil angewiesen, wenn man nicht schätzen will (was bei Tageslicht erstaunlich gut funktioniert, siehe die “Sunny-Sixteen-Regel”).
Ich persönlich bin ein überzeugter Leicameter-Benutzer. Zum einen muss man nichts zusätzlich in die Hand nehmen, zum anderen ist die Übertragung des Messwerts in die Kameraeinstellung sehr effektiv. Meine Erfahrung beim Gebrauch mit M2 und M3 haben mir gezeigt, dass ich mich voll auf das Teil verlassen kann. Man muss nur wissen, wo man misst, denn das Messfeld entspricht dem Bildwinkel des 90mm-Objektivs. Hat man das kapiert, kann man sich je nach Motiv Gedanken machen, was jetzt wichtiger ist: Die Highlights oder die Schatten.
Also: Nichts gegen Seconic oder Gossen, aber warum sollte ich mich damit befassen, wenn ich mit dem Leicameter bestens klarkomme? Never change a running system.
Als ich allerdings mein Leicameter auf die M4 schob, hatte ich Mühe, mein Essen unten zu behalten. Ein silbernes Teil auf der Kamera in schwarzem Chrom, würg. Zugegeben, es gibt Schlimmeres… aber da muss ich schon ein wenig nachdenken. Ich suchte und fand ein gut erhaltenes, schwarzes Leicameter MR zu einem vernünftigen Preis (bei den Dingern ist zwischen 100 und 1000 Euro alles drin), das tadellos funktioniert, wie ich sofort nach Ankunft feststellte.
Kodak Portra
Kai von “Weites Land” brachte mich auf die Idee, mal Kodak Portra auszuprobieren. Sonst hatte ich meist Kodak Ektar benutzt, wenn ich einen feinkörnigen Farbnegativfilm brauchte, sehr zu meiner Zufriedenheit. Allerdings wollte ich den Portra nicht in die neue M4 legen, wer könnte schon wissen, ob die Belichtungszeiten bei der nicht zu lang sind, da sie verdächtig unbenutzt aussah. Ich wählte lieber die erst vor kurzem überholte M2, von der ich wusste, dass sie genaue Zeiten hat.
Aber natürlich wollte ich die M4 auch ausprobieren. Ich hatte schon länger einen Ilford XP2 “herumfliegen”, den ich, soll ich sagen, loswerden wollte? Der XP2 ist ein Schwarzweissfilm, der im C41-Verfahren (also dem normalen Verfahren für Farbfilme) entwickelt wird. Warum so etwas “Mädchenfilm” genannt wird, weiss ich nicht genau, aber vermutlich ist es was sexistisches… Jedenfalls machte ich die Sache noch experimenteller, indem ich für die meisten Aufnahmen einen dunklen Rotfilter benutzte (eigentlich heisst es: Ein dunkles Rotfilter, nämlich das Filter, aber ich kann mich daran nicht gewöhnen).
Der Filterfaktor von 8 macht aus dem XP2-Film mit Nennempfindlichkeit von 400 ASA einen 50-ASA-Film.Gewöhnlich habe ich standardmässig ein Gelbfilter (Filterfaktor 2) vor, letztes Jahr in Amsterdam nahm ich ein Orangefilter (Filterfaktor 4) mit guten Ergebnissen. Rot ist sehr extrem, aber ich wollte wissen, wie er sich im Ernstfall verhält.
Einen Vorteil hat der XP2 noch. Beim scannen funktioniert die hardwarebasierte Staub- und Kratzer-Entfernung (“ICE”) wie bei Farbfilmen. “Normale” Schwarzweissfilme haben eine andere Oberfläche, da läuft das nicht.
Ich zog also mit beiden Kameras los und knipste, was mir vor die Linse kam. Also nichts Weltbewegendes. Es war in der Woche mit der Mindener Messe. Von allen Fotos war ich am meisten auf die Langzeitbelichtungen vom Weserufer gespannt. Als ich die entwickelten Negative bekam, stellte ich fest: Der Kodak Porta hält voll und ganz, was er verspricht. Dazu gab es bei der ganzen Rolle aus der M2 keine einzige Fehlbelichtung. Vor allem freute ich mich über die “Dunkelfotos”. Der Portra-Erfahrene Kai hatte ja schon richtig eingeschätzt, dass der Film sich gut verhalten würde, und das wurde voll bestätigt.

Leica M2 mit 50mm Summilux bei f/8 16sec Kodak Portra 160 ASA. Selbstverständlich mit Stativ. Die Belichtungsmessung habe ich übrigens einfach mit der M10 gemacht, da ich sie dabei hatte. Live-View, manuell ISO 320 eingestellt (160 geht nicht), Belichtungszeit verdoppelt und voila! Mit Stoppuhr (iPhone) und Drahtauslöser an der M2 von Hand belichtet. Von diesen Aufnahmen gibt es eine Reihe, mit 4, 8, 16 Sekunden bei jeweils halbierter Blende (eine andere ist das Beitragsbild oben). Alle sind gut. Nach dieser Erfahrung würde ich nicht zögern, Kodak Portra für jede beliebige Nachtaufnahme zu verwenden.
Silberhalogenid
Etwas anders verhielt es sich mit dem Schwarzweissfilm. Das lag aber nicht an der Kamera, denn erstaunlicherweise sind die Belichtungszeiten hinlänglich exakt. Das Problem lag einerseits darin, dass der Rotfilter verlangt, auf die Schatten belichtet zu werden. Wo ich das nicht getan hatte, waren Landschaftsbilder tendenziell unterbelichtet, wenn auch nicht unbrauchbar. Für ein Treffen mit Freunden in einem Restaurant hatte ich z.B. ein Gelbfilter genommen, alle Aufnahmen (Innenraum) sind total korrekt belichtet.
Aber das mit dem Rotfilter hätte nur eine kleine Verlustrate erzeugt. Viel schwerwiegender war der Fehler, den Film aus Faulheit bei Rossmann abzugeben. Den Staub und die Kratzer konnte ich noch zum größten Teil beim Scannen eliminieren, aber irgendwas hatten die mit den Negativen angestellt: Wolkige,
häßliche Artefakte im Himmel (die nichts mit Wolken zu tun hatten, und nichts mit dem Filter) auf vielen Bildern machten die reif für die Tonne. Auch auf manchen Portra-Negativen ist was zu sehen. Niemals – never… ever! – werde ich dahin nochmal einen Film geben. Schön blöd.

Leica M4 mit 50mm Summilux, Rotfilter bei f/5.6 1/500sec Ilford XP2 400 ASA. Blick über Vlothos Dächer. In diesem Bild sind die Artefakte im Himmel noch vergleichsweise geringfügig.
Trotzdem, die M4 tut’s, eigentlich hatte ich mich schon innerlich darauf eingerichtet, sie zum CLA zu schicken. Das hat noch Zeit.
Jedesmal, wenn ich mühsam die Negative einscanne, frage ich mich: “Warum?” Aber Film hat eben Charakter. Und das soll gar nicht die ewige Grundsatzdiskussion Analog vs Digital aufwärmen, denn auch da gibt es Charakter, schliesslich spielen auch die Optiken eine Rolle (oder z.B. wie im Fall der M9, der CCD-Sensor). Jedenfalls ist es das gleiche Gefühl, wenn ich eine Schallplatte auflege: Es muss gar nicht perfekt sein, da darf es auch mal knacken. Perfektion ist schön, kann aber auch seelenlos sein.
Vielleicht spielt auch das Ego eine Rolle. Jeder Blödmann kann digital fotografieren, aber mit Film muss man zumindest noch marginal etwas vom Prozess verstehen. Dann natürlich das Alter: Ich bin mit Film aufgewachsen. Interessanterweise entdecken aber auch viele Jüngere den Film neu, wie die oben erwähnten Schallplatten.
Und Kodak Portra? Der hat jetzt einen festen Platz in der analogen Fototasche. Das nächste Mal lade ich die M6 damit, die ist mal wieder dran.
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