Kameras, Kanus und ein Fluss: Die Ardèche
„Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen, denn andere Wasser fliessen nach“ (Heraklit)

An einem Samstagmittag im Mai wird die mittägliche Ruhe auf einem Campingplatz nahe Vallon Pont d’Arc jäh unterbrochen: Ein großer Reisebus samt Anhänger rollt wie eine gigantische Raupe durch die Schranken des Eingangs, wälzt sich bis zum hintern Teil des Platzes und kommt dort zum stehen. Der Bauch des Ungetüms öffnet sich und eine Horde Schüler und junger Leute ergiesst sich daraus. Sie werden von anderen Erwachsenen jeder Altersklasse stürmisch begrüßt, die sich offenbar schon zuvor unerkannt unter die Campingäste gemischt hatten. Doch in dem vermeintlichen Chaos dieses Ameisenhaufens von 60 Leuten ist Ordnung: In Windeseile wird der Inhalt von Laderaum und Anhänger entleert und ein Zeltlager entsteht, mit Koch- und Gruppenzelten und allem, was dazugehört.


Das Rätsel löst sich, als aus dem Anhänger eine große Zahl an Wildwasser-Kajaks entladen wird: Es handelt sich doch nicht um eine dubiose Sekte, sondern um die jährliche Fahrt der Kanu-AG des Wesergymnasiums Vlotho (kurz WGV) an die Ardèche. Eine Fahrt, die derart kultischen Status hat, dass viele Abgänger des Gymnasiums sich jedes Jahr hier einfinden. Denn das Gymnasium verlässt man zwar, die Kanu-AG aber nie… Die jüngste Teilnehmerin ist 11, der älteste fast 70 und alle verbindet die AG und der Kanu Sport. Die Leitung ist schon in der zweiten Generation, denn das Lehrer-Ehepaar, das die AG in den 70er Jahren gründete und schon damals an die Ardèche fuhr, ist längst im Ruhestand. Ein guter Freund, damals selbst Schüler in der AG, wurde Lehrer und übernahm den Staffelstab im Jahr 2004.
Im Slider: Ein Lager entsteht

Seit den 80er Jahren bin ich schon unzählige Male dabei gewesen, zuletzt vor zwei Jahren. Dieses Event zu fotografieren, sei es analog oder digital, ist immer ein Highlight. Sport, Action, Lagerleben, Städte, Sehenswürdigkeiten wie Tropfsteinhöhlen oder die Grotte Chauvet und die fantastische Landschaft überhaupt geben Motive ohne Ende. Neben dem Wassersport kommt für mich dazu, dass man dort ausgezeichnet Rennrad fahren kann (und natürlich Mountain-Bike), die Monts d’Ardèche sind eine willkommene Abwechslung zu den Bergen meiner ostwestfälischen Heimat.
Ich war sehr urlaubsreif, die letzten Wochen in der Praxis waren super anstrengend, darum war auch länger nichts neues von mir im Blog. Aber umso mehr hatte ich Lust, zu fotografieren und nahm deshalb vier Kameras zu unterschiedlichen Einsatzzwecken mit: Die Leica M11-P, die Leica Q3 43, die Leica M10-Monochrom und die Leica M6 Modelljahr 2022.
Im Slider: Vorbereitungen für die Fahrt durch die Schlucht am ersten Morgen
Statt einer chronologischen Reihenfolge berichte ich über die jeweiligen Kameras und wie ich sie eingesetzt habe.
Die Leica M11-P: Landschaft und Action im Schwall

Es gab Zeiten im letzten halben Jahr, da dachte ich, dass ich die M11-P gar nicht mehr brauche, weil die Q3 43 so universell einsetzbar ist. Aber das stimmt nicht ganz: Zum einen war ich froh, doch mal auf andere Brennweiten zugreifen zu können, sei es für Landschaft in die Weite mit 21mm oder in den Telebereich mit 75 oder 90mm. Zum anderen wollte ich für die schnellen Bilder in den Wellen des Flusses extra keine Kamera mit Autofokus… um es mit der Maus zu sagen: „klingt komisch, is‘ aber so“.


Denn im Schwall sind durch Spritzwasser und Wellen oft Punkte, die sich der Autofokus sucht, obwohl man auf den Kanufahrer gezielt hat. Das können mal nur 20 oder 30cm Unterschied sein, aber es macht halt was aus. Ich nehme an, das die modernen Autofokus-Systeme da möglicherweise weniger fehleranfällig sind als noch vor Jahren meine Canon 5D II. Da hat sich bestimmt was getan. Trotzdem fühle ich mich sicherer, manuell zu fokussieren. Ich visiere den Kanuten mit dem Messfeld an, „pendele“ mit dem Fokus vor und zurück und verfolge das Motiv, löse im richtigen Augenblick aus. Das alles ist „muscle memory“. Klar ist auch mal Ausschuss darunter, aber das ist kaum der Rede wert. So flott zu fokussieren geht übrigens nur mit einem Messsucher, ein EVF mit Fokus-Peaking wäre da hoffnungslos überfordert.


Vielleicht wundert sich der eine oder andere „warum macht er sich die Mühe mit dem manuellen fokussieren“, aber erstens ist das keine Mühe für mich und zweitens: Den Charakter und die optische Qualität der M-Objektive (nicht nur von Leica) möchte ich nicht missen, und nähme ich nun eine der „modernen“ Autofokus-Kameras mit entsprechender Zielgenauigkeit, müsste ich auch die dazu gehörigen Objektive verwenden. Und da kommt sicher auch was nettes bei heraus, aber es ist eben nicht das gleiche. So einen Look wie z.B. beim obigen Bild mit dem 50er Summicron kriegt man nicht so leicht hin. Selbst wenn ich wegen der guten Optiken ins L-System gehe, um das Vollformat nicht zu verlassen, kann ich der Kompaktheit der Ausrüstung schon mal den Abschiedskuss geben. No way, sowas auf dem Fahrrad (oder gar Rennrad!) einfach umzuhängen, im Bootssack ist der Platz auch begrenzt und selbst zum Wandern kommt da Volumen und Gewicht dazu, das zu schleppen ich gar nicht einsehe. Solange meine Hand-Eye-Koordination funktioniert, verspüre ich nicht das geringste Bedürfnis, mein Equipment irgendwie zu verändern.
Im Slider: Bilder aus den Schwällen

Meine Kameras sind Kummer gewohnt, sie müssen alles mitmachen. Ich machte mit dem Rennrad die Tour um die Schlucht und hängte mir die M11-P einfach an relativ kurzem Gurt um, damit sie nicht „baumelt“. Ein Arm durch die Schlinge, so kommt sie unterhalb des Rippenbogens zu liegen. Zwei Wechselobjektive hatte ich in einer kleinen Tasche auf dem Rücken. Normalerweise nehme ich zum Rad fahren eher einfach die Q3 43, aber ich wollte mit den Brennweiten flexibler sein. Um die Schlucht gibt es viele Ausblicke, die 28 oder 21mm erfordern, dann wieder sind plötzlich 90mm angesagt. Sicher, die „normale“ Q3 wäre auch für das meiste ok gewesen, aber ich hatte mich mal entschieden, genau für solche Fälle lieber zur M11-P zu greifen und eben nicht zwei Q’s und eine M11 gleichzeitig zu haben.
Im Slider: Eine Runde mit dem Rennrad um die Schlucht. Das sind moderate 70 km. Wenn man im Uhrzeigersinn von Vallon aus fährt, kommt zunächst eine ordentliche Rampe, um die Höhe der Corniche zu erreichen. Dort geht es etwas auf und ab, bis St. Martin kommt man wieder auf Flussniveau, überquert die Hängebrücke und steigt wieder langsam bis zum höchsten Punkt am Wasserspeicher hinter Orgnac. Dann wieder runter bis Salavas. Tatsächlich sind das zusammen nur 1100 Höhenmeter, ebenso viel, als wenn ich die Strecke in Lippe zurücklegen würde.
Ebenso packte ich die M11-P und ein paar Objektive gut gepolstert in den Bootssack. Sie musste mit beim Kanufahren durch die Schlucht. Ich nahm sie an Pausenstellen heraus und fotografierte damit. Am Schwall vor dem Pont d’Arc setzte ich mit ihr im Kanu über, um auf der richtigen Seite (wegen der Sonne) zu sein und stand mit ihr mitten in der reissenden Strömung der Ardèche, um meine Leute zu fotografieren. Da brauchte ich auch die Reichweite des 90mm Macro-Elmar, das mir seit vielen Jahren gute Dienste leistet.
Im Slider: Vorbereitung für den zweiten Teil der Schlucht, alle Bilder mit M11-P und 50mm Summicron

Und so toll auch das Apo-Summicron der Q3 43 ist, ich bin immer wieder begeistert von der Zeichnung meines „uralten“ (fast schon Vintage) 50mm Summicron von 1986. Ich hatte es mit in der Schlucht und habe viele Fotos ganz konsequent mit Offenblende gemacht. Solche Optiken spielen halt in einer anderen Liga als Smartphone-Apps (sorry, Leica Lux, ich mag dich auch, aber da kannst du nicht mitreden). Das 50er Summilux hatte ich zuhause gelassen, das Summicron ist nämlich so schön klein. Bei beiden Objektiven muss man bei Offenblende und viel Licht beachten, dass die Motive nicht zu viel Bewegung aufweisen, denn selbst bei ISO 64 kommt man schnell auf Belichtungszeiten von 1/10.000s. Leider ist die M11 und Q3 Familie ziemlich anfällig gegen Rolling Shutter.
Leica Q3 43: Schnappschüsse im Lager… und auf dem Fluss!
Dafür ist doch eine Q immer sicher gesetzt: Schnell mal „aus der Hüfte“ schiessen und den „moment décisif“ erwischen. Die Vorgänge im Zeltlager liessen sich am besten mit der Q3 43 dokumentieren, dafür hatte ich den Autofokus-Modus auf „Feld“ eingestellt. Personenerkennung ist ganz nett, aber kann irritierend sein, je mehr Leute sich im Bild befinden. Der Fokus springt hin und her und das nervt. Dafür ist es auch nicht unbedingt gedacht, für Porträts geht es wunderbar.
Die Blende liess ich fast immer offen, denn das 43mm Apo-Summicron hat dann fast eine 3D-mässige Zeichnung. Die anderen waren es gewöhnt, dass ich ständig die Kamera in greifbarer Nähe hatte. Gegen Ende der Fahrt bot mir eine Schülerin an, sie könne mich doch auch mal fotografieren, damit ich mal auf den Bildern auftauche. Sie hatte ziemlich Respekt vor der Kamera, merkte aber schnell, wie einfach sie zu bedienen ist. Nachdem sie gecheckt hatte, wie man mit dem Feld „zielt“, liess ich sie losziehen und Fotos machen. Sie entwickelte echt Ehrgeiz und machte ein paar schöne und brauchbare Aufnahmen, vor allem am letzten Morgen.
Im Slider: Kochszenen, Leica Q3 43

Und dann hatte ich ein paar Tage vor der Fahrt zuhause eine verrückte Idee, das kam so: Ich stecke die Kameras normalerweise in den Bootssack, aber da kommt man während der Fahrt nicht dran. Nun suchte ich eine kleine, gepolsterte, wasserdichte Tasche, die ich schnell unter der Spritzdecke hervorziehen konnte. Dabei stiess ich auf etwas viel interessanteres. Ein Unterwassergehäuse für kleine DSLR’s, das mir die richtige Größe für die Q3 43 zu haben schien. Es kostete nur knapp 40 Euro und ich dachte, den Versuch sei es wert. „Richtige“ Unterwasserghäuse für Sony, Panasonic, Nikon oder Canon sind natürlich was anderes, aber auch eine andere Preisklasse von meist mehreren hundert Euro. Aber hier ging es ja nicht ums tauchen, sondern um die Kamera durch die Wellen zu bringen und auch bei möglicher Kenterung zu sichern. Nichts hochwertiges, aber für meine Zwecke reichte es allemal.
Im Slider: Mit der Leica Q3 43 auf dem Boot durch die Schlucht Teil 1
Das Paket kam rechtzeitig an und die Kamera passte. Es gab Eingriffe, um Auslöser und Blendenring zu bedienen. Mit einem Gurt konnte ich die Kamera wie gewohnt umhängen und beim Paddeln einfach auf den Rücken schieben, denn manche Schwälle erfordern die gesamte Aufmerksamkeit. Dafür war ich dann in der Lage, während der Fahrt durch die Schlucht Fotos zu machen, die die Boots-Perspektive dokumentieren. Und auch, wenn vor das Glas des Gehäuses vor dem Objektiv machmal Wassertropfen hingen, war ich mit der Qualität der Aufnahmen zufrieden, die ich mit meinen iPhone 16 (so gut das Ding schon ist) nie geschafft hätte. Es war ein Experiment. Ich hatte mir vorgenommen, alles einfach schnell unter die Spritzdecke zu stecken, wenn es mich beim Paddeln behindert, aber es funktionierte.
Im Slider: Mit der Leica Q3 43 auf dem Boot durch die Schlucht Teil 2
Den Autofokus der Kamera hatte ich in dem Fall tatsächlich auf Personenerkennung gestellt, denn es erkennt sie auch im Boot und springt auf „Feld“ wenn keiner da ist. Den EVF hatte ich abgeschaltet und komponierte nur mit dem Monitor, den ich auf maximale Helligkeit stellte. Mit etwas Eingewöhnung (ich übte mit dem Equipment tags vorher am Schwall vor dem Pont d’Arc) war ich dann zuversichtlich, auch in der Schlucht mit der Kamera klar zu kommen.
Die Leica M10-M: Infrarot und monochrom auf dem Marché
Diese Leidenschaft mag ja nicht jeder teilen, aber in so sonnigen Gegenden mit viel grüner Vegetation und Wasserflächen ist die Infrarot-Fotografie besonders dankbar. Mit Infrarot-Durchlass-Filter RG715 vor dem 35mm Voigtländer Ultron bei f/2.8, ISO 1600 bis 3200 und Belichtungszeit 1/90s oder 1/125s ging ich auf Landschafts-Motivsuche (radelnderweise). Am Marktag in Vallon schnappte ich die M10-M und wechselte auf ein Orange-Filter vor dem Ultron. Es war schön, eine digitale M zu benutzen, die nur einmal den Verschluss betätigt, wenn man auslöst (get that, Leica!).
Im Slider: Infrarot-Aufnahmen mit Leica M10-M
Im Slider: Bilder vom Markt in Vallon, Leica M10-M, Voigtländer Ultron, Orange Filter
Die Leica M6 Modell 2022: Analog ist immer was besonderes!
Die Woche war zu kurz, um der Kamera wirklich gerecht zu werden, aber immerhin einen Film (einen Silbersalz 50D) habe ich belichtet. Darauf sind Landschaftsaufnahmen, Bilder vom Markt in Aubenas und auch Actionbilder vom Schwall. Denn ebenso wie mit der M11-P kann man natürlich mit der M6 bestens auch (mässig) bewegte Motive fokussieren. Die Bilder sind jedoch noch unterwegs zu Entwicklung und Scan, ich stelle später ein paar ein. Als Platzhalter ist hier ein Foto von vor zwei Jahren.

Die Woche in Kurzversion
Anhand der Bilder sieht man ja schon, wie alles ablief. Morgens wurden die Gruppen eingeteilt: Wer alles Boot fährt (und mit welchem) und wer wandern geht, ob eingekauft werden muss (denn wir verpflegten uns ja selbst und kauften vor Ort ein) und ob sonst was besonderes ist. Zum Beispiel mussten am Mittwoch einige Schüler die zentralen Prüfungen schreiben und ein Hauszelt wurde für die Klausur vorbereitet. Gestempeltes Schreibpapier und ein Drucker wurden extra mitgekommen, denn die Aufgaben werden online erst am Morgen des Tages zum Download freigegeben. Die anderen gingen schon auf den Fluss (üben am Pont d’Arc-Schwall war vorgesehen, die anderen kamen Mittags nach). Neben Wanderungen hatten wir in den Vorjahren auch die sehenswerte Grotte Chauvet (besser gesagt, deren Nachbau) ganz in der Nähe oder die Tropfsteinhöhle Aven d’Orgnac besucht, aber dazu kamen wir dies Jahr nicht. Trotzdem Empfehlung für jeden, der in der Gegend ist!
Über den Tag war also nie Langeweile, jeder nahm sich genug zu essen und zu trinken mit. Sich gut mit Sonnenschutz einzucremen musste man immer wieder anmahnen, wir hatten die ganze Woche knallige Sonne (aber angenehme Temperaturen und nachts kühlte es sich schön ab, kurz: Ideales Wetter). Kleine Blessuren (Abschürfungen, Blasen an den Händen, Prellungen, ein touch von Sonnenstich etc.) kamen vor und wurden sofort versorgt. Zum Glück nichts ernstes, aber immerhin hatten wir im Team gleich zwei Notfallsanitäter, ich hatte Nähzeug und die notwendigen Utensilien dabei, selbst für Zahnprobleme. Besser, man muss nicht darauf zurückgreifen.

Abends kamen alle ausgehungert zurück ins Lager, wo meistens schon mit den Vorbereitungen für’s Abendessen begonnen worden war. Boote und Ausrüstung wurden für den nächsten Tag vorbereitet und der Hunger war die beste Motivation, sich auch beim kochen einzubringen. Aber viele Köche verderben doch nicht den Brei, und es kam immer was Gutes auf den Tisch. Nach dem Essen wurden die Erlebnisse des Tages in den Gruppen rekapituliert und bewertet und ausserdem der „Stunt des Tages“ verliehen. Ich kann mit stolz geschwellter Brust verkünden, dass ich am Ende für das fotografieren in jeder Lebenslage zum „Held der Woche“ erklärt wurde. Mit unerschöpflicher Energie begaben sich dann die meisten (ausser der Küchendienst) zum Bolzen auf den Fussballplatz (der zum Campingplatz gehört), während die anderen (eher gesetzteren Alters) den Abend bei einem Glas eines lokalen Weines ausklingen liess.

Um 10.00 Uhr war Bettruhe angesagt und das funktionierte wirklich. Wie jedes Jahr äusserten sich die Camping-Nachbarn, die die Ankunft des Busses mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis genommen hatten, sehr positiv über die Disziplin der Gruppe und waren fasziniert, wie alle zusammen arbeiteten. Wir sind übrigens die einzige Gruppe dieser Art, die der Campingplatz aufnimmt. Das sagt schon alles. Auch über andere Gruppen.
Der letzte Tag
Am letzten Tag auf dem Campingplatz an der Ardèche wurde ich um 5.30 Uhr von infernalischem Lärm aus Morpheus Armen gerissen. Machte etwa Godzilla das benachbarte Örtchen Salavas dem Erdboden gleich? Oder assimilierten die Borg gerade die Gegend? („Inutile de résister, n’est-ce pas?“) Ein Blick aus dem Aufstelldach meines Bullis beruhigte mich: Es war nur ein Winzer, den aber offenbar der Schlund der Hölle ausgespuckt hatte. Er rumpelte mit seinem knatterndem Traktor wie eine gigantische Reblaus durch die Weinreben nebenan. Ich schwöre, für den Geräuschpegel musste er die Karre bestimmt extra tunen lassen. Dabei versprühte er irgendeine Substanz, die der Gesundheit mit Sicherheit nicht zuträglich war.


Da an Schlaf nicht mehr zu denken war, ging ich hinüber ins Zeltlager, wo bereits Annika, eine notorische Frühaufsteherin, eine lange Tafel von zusammengestellten Campingtischen für 60 Leute gedeckt hatte. 10 Liter Kakao und ein paar Kannen Kaffee waren schon gekocht, noch bevor der eigentliche Küchendienst schlaftrunken aus den Zelten wankte. Ein paar Witzbolde hatten vor einem Zelt eine Skulptur aus Sitzhockern wie eine überdimensionierte Mausefalle errichtet. Nach und nach gesellten sich mehr oder weniger muntere Gestalten jeder Altersklasse dazu und holten sich schon mal ein Heissgetränk. Offiziell ist Wecken immer um 7.00 Uhr und das gemeinsame Frühstück beginnt. Heute war das ausnahmsweise auf 7.30 verschoben, ausserdem waren zur Feier des Tages 60 Eier für Rührei bereits aufgeschlagen.

Eine der jüngsten Teilnehmerinnen hatte Geburtstag, sie wurde 12. Ihr Geburtstagstisch mit Kerzen auf der Torte und Geschenk ward in ihrem Beisein vorbereitet und die ganze Truppe sang „Happy Birthday“. Mein Tischnachbar erklärte mir, dass man Kindergartenkindern die Phonetik des Liedes beibringt, indem sie singen: „Hebt die Bürste, juchhu!“ Ich zweifelte an dem Wahrheitsgehalt dieser Behauptung, konnte sie aber in dem Moment nicht widerlegen.
Letzter Tag, also nach dem Frühstück wird das Lager abgebrochen, Koch- und Gruppenzelte samt aller Utensilien eingepackt, Boote und Ausrüstung im Busanhänger verstaut. Bei den kleinen Privatzelten wurde es nochmal spannend: Eine monströse Amöbe, wie ein Ding von „outer space“ infestierte das Lager. Ein schwarzes, wallendes, amorphes Etwas wälzte sich, dumpfe Laute ausstoßend über das Gras. Wir betrachteten die Erscheinung mit morbider Faszination und eine neben mir behauptete sensationsgierig: „Ich glaube, es schlüpft!“ Aber am Ende war es nur jemand, der in seiner Zelthaut nach entfernen des Gestänges noch eine vermisste Ansichtskarte gesucht hatte.

Der Bus würde Mittags abfahren, ich verabschiedete mich von den anderen Ehemaligen (von denen viele ja gar nicht mehr in Vlotho wohnen, sondern in aller Welt verteilt sind), packte meinen Bulli und fuhr schonmal los. Ein bisschen melancholisch ist mir jedesmal zumute, wenn ich von dort wegfahre. Laotse sagt: „Der Fluss kennt sein Ziel“
Wir nicht.
Danke für die Einblicke!
Schöne Geschichte und eine wundervolle Tradition!
Schöner, kurzweiliger Bericht mit wunderbaren Bildern ! Kompliment !
Respekt auch für die Schärfe der bewegten Bilder im Wasser. JA, (Ich provoziere Sie ein wenig mit Augenzwinkern.) für einen Autofokus der aktuellen Generation keine Herausforderung, aber die Ergebnisse des Messsuchers sind bei Ihnen nicht schlechter.
Waren Sie der einzige „Gruppen-Fotograf“ oder gab es noch mehr Teilnehmer, welche den Aufenthalt fotografisch begleitet haben ? Und wenn ja, wie wurden Ihre Bilder im Vergleich bewertet bzw. von den Teilnehmern beurteilt ?
Ich bin seit vielen Jahren der, der die Fotos macht. Ich hätte nichts dagegen, wenn sich auch mal jemand anderes berufen fühlen würde. Letztes Jahr z.B. konnte ich nicht mit. Es gibt keine Fotos von der Fahrt, ausser ein paar (echt schlechte) Handybilder.
Wenn ich abends nach dem Essen das Macbook aufklappte und die Bilder des Tages zeigte, hatte ich sofort eine Traube von Kanuten hinter mir. Sie waren richtiggehend „geblendet“ von der Bildqualität und sichtbaren „Tiefe“ der Bilder, ohne dass ich dazu etwas sagen musste. Der Unterschied zu deren Sehgewohnheiten bei Fotos war offenbar eklatant.
Es gibt viele Bilder, die so „intern“ sind, dass ich sie nicht im Blog präsentiere, aber die fotografisch für mich Highlights sind. Die Gesamtheit der Fotos teile ich mit der Gruppe und sie dürfen sie nach belieben verwenden. Das geht dreissig Jahre und mehr zurück.