Ein Gastartikel von Kai-Torsten Steffens

Es ist schon eine ganz eigene Herausforderung, für sich die passende Fotoausrüstung zusammen zu stellen. Ich selbst folge der Devise: So wenig wie möglich und so viel wie nötig. Das gilt eben auch für die Kamera. Da kommt mir das Konzept von Leica im Kern sehr entgegen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Im Sommer ist neben der Leica SL auch das Objektiv SL 75mm f2 hinzugekommen.
Leica SL mit 75mm Summicron-SL
Mekanisk Museum Sønderjylland Kruså, Krusau, Landwirtschaftliches Museum Dänemark, Museen im Grenzland Dänemark Deutschland, Leica SL APO-Summicron 75mm ASPH. bei f/2.2 1/125s ISO 10 000
Nahezu alle Bilder entstehen bei mare.photo mit der Leica M und zwei bis drei M-Objektiven. Zahlreiche Bilder fotografieren wir zudem analog. Nun haben wir uns für die Brennweite 75mm aus dem SL-System entschieden. Aber warum nicht für die Standard-Brennweite 50mm oder das leichte Tele 90mm? Und warum ein Kamerakonzept wie die SL, die durchaus bei Kamera und Objektiven ein stattliches Gewicht auf die Waage bringt?
Leica SL mit 75mm Summicron-SL
Leica SL APO-Summicron 75mm ASPH. bei f/2.0 1/1600s ISO 500

Jim Rakete hält die Leica M für die höflichste Kamera. Wir selbst empfinden die M als die schönste Kamera, die man zudem noch als Fotoapparat bezeichnen darf. Aber die Leica M hat einen Bereich in der Fotografie, in der sie nur sehr eingeschränkt zu nutzen ist: den Nahbereich. Diesen Bereich haben wir in unseren Artikeln sträflich vernachlässigt und das systembedingt sogar ganz ungewollt. Mit den M-Objektiven ist der kleinste Bildausschnitt oftmals zu groß und die Wirkung der Schärfentiefe kaum abzuschätzen.

Leica SL mit 75mm Summicron-SL
Leica SL APO-Summicron 75mm ASPH. bei f/2.0 1/80s ISO 2500

Um gerade auf unseren durchaus langen Reisen mit möglichst wenig Gepäck auszukommen, möchten wir zukünftig möglichst nur noch mit zwei Brennweiten unterwegs sein, mit 35mm und 75mm. Vorausgegangen ist ein langer Denkprozess. Dass nun zwei Systeme, M und SL dabei nebeneinander existieren und sich ergänzen anstatt zu konkurrieren, klingt zunächst irritierend. Wird aber in der Praxis verständlich.

Die Leica M als kleine Reportage-Kamera hat ihre Stärken vor allem im Brennweitenbereich 28 bis 50mm. Mit dem 75mm schafft man abgesehen vom 90er Makro-Objektiv zwar das kleinste Objektfeld, aber dies lässt sich bei offener Blende nur schwer fokussieren. Diese Feststellung bestätigen zahlreiche M-Fotografen.
Leica SL mit 75mm Summicron-SL
Leica SL APO-Summicron 75mm ASPH. bei f/2.0 1/125s ISO 2500

Hier kommt die Leica SL mit dem 75mm gerade richtig. Wer dieses Objektiv in der Praxis einsetzt, ist von diesem begeistert. Ein kleines Objektfeld und eine Brennweite, die man nicht oft wechseln muss. Denn mit der Brennweite 75mm kann man genauso gut einen Straßenzug fotografieren wie eine Waffel mit Kirschen und Sahne. Dazu das Leica M 35mm Objektiv, welches ich sowohl an der Leica M wie auch mithilfe des Adapters an der Leica SL nutzen kann. Da das 35mm Objektiv eine wesentlich höhere Schärfentiefe aufweist, kommen wir dort auch gut ohne Autofokus zurecht. Denn die Schärfe kann in der Regel problemlos voreingestellt werden.

Leica SL mit 75mm Summicron-SL
Leica SL APO-Summicron 75mm ASPH. bei f/2.0 1/125s ISO 8000
Seitdem wir mit der 75mm Brennweite fotografieren, ist aktuell das Leica SL 75mm tatsächlich unser meist genutztes Objektiv. Wir haben einige technische Museen entlang der Flensburger Förde einzig mit diesem Objektiv aufgenommen und zeigen einige Bespiele aus dem Mekanisk Museum im Grenzort Krusau in Dänemark.
Leica SL mit 75mm Summicron-SL
Leica SL APO-Summicron 75mm ASPH. bei f/2.0 1/125s ISO 640

Wir veröffentlichen keinen Test zum Objektiv, sondern erzählen aus unserer Praxis. Merkwürdige Reviews von Testern und solchen, die sich dafür halten, gibt es genug. Fotografie kann man kaum mehr abwerten, als am Bildschirm mit der Lupe nach Bildfehlern zu suchen. Wer sich spontan ein SL-Objekitv ausleiht, darf seine Ergebnisse der Öffentlichkeit gerne ersparen. Denn das Leica SL 75mm braucht Herantasten und Übung. Weder Brennweite noch dieses Objektiv sind Selbstläufer. Das SL 75mm  ist nicht spontan zu beherrschen. Hat man es aber erst einmal für sich angenommen, wird man dieses Objektiv nur schweren Herzens wieder hergeben wollen.

Leica SL mit 75mm Summicron-SL
Leica SL APO-Summicron 75mm ASPH. bei f/2.2 1/125s ISO 8000

Die Schärfenebene ist bei Blende 2 im Nahbereich nur wenige Millimeter dünn. Man wird sich von seinem Traum verabschieden müssen, nur mit Blende 2 zu fotografieren, will man eine gewisse räumliche Tiefe erzeugen. Wir müssen nicht selten bis zu Blende 8 abblenden, um einen dreidimensionalen Effekt zu erzielen. Eine größere Blende wird bei dem SL 75mm f2 einfach keinen Sinn mehr machen. Selbst nicht für überzeugte Bokeh-Fetischisten.

Stufenloser Kontrast

Leica SL mit 75mm Summicron-SL
Leica SL APO-Summicron 75mm ASPH. bei f/2.0 1/1600s ISO 320

Nun hat das SL75mm eine weitere Besonderheit. Das Bokeh definiert sich nicht durch Unschärfe, sondern durch Kontrastverlust. Das bedeutet, dass sich der Hintergrund nicht in Wohlgefallen auflöst. Das muss man mögen. Aber was bedeutet das in der Praxis? Mit dem SL 75mm kann ich den Fokus auf eine bestimmte Ebene legen und trotzdem den davor oder dahinterliegende Bereich noch erkennbar abbilden. Die Schärfe im Fokusbereich ist gigantisch. Sie nimmt aber nicht innerhalb des Bokeh ab, sie wird vielmehr überlagert. So findet das Auge beim Betrachten einen Anker und kann sofort das Umfeld erkennen, ohne innerhalb des Bildes Unruhe zu empfinden. Diesen Umstand nutzen wir beispielsweise in der Darstellung von Museen, bei denen die Exponate oft sehr dicht beieinander liegen.

Leica SL mit 75mm Summicron-SL
Leica SL APO-Summicron 75mm ASPH. bei f/2.0 1/80s ISO 320

Mit einem Weitwinkel-Objektiv würde man den gesamten Raum mit all seinen Exponaten abbilden, aber das einzelne Ausstellungsstück würde beim Betrachten untergehen. Darum suchen wir nach Details und machen Aufnahmen, die eine kleine Geschichte erzählen. Dabei ist es ganz gleich, ob man einen Hammer auf einer Werkbank aufnimmt oder einen Traktor in einer Halle.

Die hier gezeigten Aufnahmen sind zum großen Teil in einem ehemaligen und ziemlich häßlichen Möbelhaus aufgenommen, mit Teppichboden und abgehängter Neonbeleuchtung. In dem wir mit dem Leica SL 75mm Ausschnitte fotografieren, spielt die Umgebung auf einmal keine Rolle mehr.
Leica SL mit 75mm Summicron-SL
Leica SL APO-Summicron 75mm ASPH. bei f/2.0 1/80s ISO 1000

Fazit

Leica SL mit 75mm Summicron-SL
Leica SL APO-Summicron 75mm ASPH. bei f/3.2 1/250s ISO 100

Fazits sind was für Leute, die dann letztendlich auf irgendwelche Amazon-Links locken oder von Leica die nächsten Objektive kostenfrei ausgeliehen bekommen wollen. Ob es bessere oder schlechtere 75mm Brennweiten gibt, interessiert uns nicht. Klar vermissen wir auch nach fast einem halben Jahr und ebenso fast täglichem Einsatz eine Entfernungs- und Schärfenskala auf dem Objektiv und wir würden auch viel lieber die Blende direkt am Objektiv einstellen. Objektiv und Kamera wiegen ordentlich, aber sie liegen unerwartet gut in der Hand. Wir können soviel verraten, dass wir tatsächlich einige Fototermine aufgrund dieser Bildsprache bekommen. Selbst sind wir überrascht, wie universell man mit der Brennweite 75mm arbeiten kann. Vielleicht ist die Brennweite ja genau die richtige, weil sie weder Normal- noch Teleobjektiv ist.

4 Kommentare

  1. Kay-Uwe Hartleb

    Danke für den sehr interessanten Bericht. Exakt die gleiche Gedanken treiben mich auch um – kleine Ausrüstung maximale Möglichkeiten. Nicht umsonst wird die Kombination 35 plus 75 als die „kleine Reportageausrüstung“ bezeichnet.
    Wenn man sich außerdem, wie in Ihrem schönen Fazit, wünscht, eine Entfernungs- und Schärfenskala auf dem Objektiv zu haben und viel lieber die Blende direkt am Objektiv einstellen möchte, dem sei das Leica APO-Summicron-M 1:2/75mm ASPH empfohlen. Ich weiß nicht, ob diese M-Linse seinem SL-Bruder in irgendetwas nachsteht – aber sie lässt sich ganz prima auch an der SL nutzen – ich jedenfalls mache das…

  2. Der Unterschied in der Brennweite liegt ziemlich genau zwischen 50 und 90mm. Die Überlegung ist, mit wenig Gepäck unterwegs zu sein und einen guten Kompromiss zwischen Normal- und leichtem Teleobjektiv zu finden. Denn generell möchte ich mit 35mm und 75mm auskommen und damit alles abdecken.
    Ein weiterer Vorteil ist gerade im Portraitbereich die Nähe der Distanz zum Portraitierten.
    Ich habe aktuell hier einen weiteren Artikel zum 75er geschrieben: https://mare.photo/leica-sl-75mm-review/

    • Vielen Dank, habe ich gesehen. Am besten testen, wie beide Objektive sich verhalten. Habe erwas etwas Zuruechhalung mit Tele, da ich 90 nur wenig verwende, portrait / musik. Und nicht einschaetzen kann wie die neuen sl Objetive 50 und 75 im bokeh wirken, wie Sie das so gut gemacht haben. Fuer Reportagen / Handwerk Etc sicherlich sehr gut
      Danke

  3. Vielen Dank. Gute erlaeterung und gute Idee sl mit 75sl. Nutze m und sl und suche sl objektiv. Dachte an 50 sl2 aber jetzt waere 75 auch sinnvoll zu ergaenzen. Was ist der wirkliche unterschied, kommt in der Bilderserie nicht raus?

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