The fringed curtains of thine eye advance, and say what thou seest yond.

Prospero, Scene II, „The Tempest“ by William Shakespeare

Visit  Macfilos for an English version of this article.

Auch auf die Gefahr hin, auf dem Altar der Leica-Fetischisten gerädert, gevierteilt und verbrannt zu werden… von allen analogen Kameras der M-Reihe ist mir die M6 am liebsten, dicht gefolgt von der M4. Eben nicht die M3 oder M2. Nicht zu vergessen die verhärmte M5, die viele jetzt nachträglich viel höher schätzen als damals, als sie keiner haben wollte. Aber: Everybody loves an underdog.

Die „alte“ M6 in Chrom neben der M6 TTL in schwarz verchromt.

Meine M6 in Chrom ist aus dem Jahr 1995, ein super erhaltenes, schickes Teil. Die M6 hat alle Gene der M4 geerbt, die möglicherweise die Spitze der Evolution der rein mechanischen Messsucherkameras darstellt. Die M4 hatte man gegenüber der M3 um viele kleine Details verbessert, dazu nicht an edlen Materialien gespart. Nach dem – man kann es nicht anders nennen – Desaster mit der M5 musste die Firma sparen, also wurde die M4 mit günstigeren Teilen als M4-2 neu aufgelegt. Man erholte sich etwas von dem Schock, dann kam die M6. Sie hat alle Vorteile der M4, aber als kleinen Bonus einen Belichtungsmesser.

Ein geübter Fotograf kann in vielen Situationen die Belichtung schätzen, aber wenn meine bevorzugte mechanische Kamera ein bisschen Elektronik dabei hat, die mir das Leben leichter macht, sage ich nicht nein. Im übrigen ist es für den Verschluss der Kamera gleichgültig, ob der Belichtungsmesser arbeitet oder nicht. Letzten Sommer verabschiedete sich diese Funktion bei meiner M6 mitten in einem shooting – whatever, deswegen konnte ich trotzdem die Kamera weiter benutzen. Das hat der Customer Care seither natürlich längst gerichtet. Sie begleitete mich letztes Jahr unter anderem nach Schottland, wo sie mir gute Dienste leistete.

Vor kurzem suchte ich für die neue Seite „Die M-Leicas“ Material zusammen. By the way:

Zwei neue Seiten, der Leica M (Typ240) und den analogen M-Leicas gewidmet, sind jetzt auch fertig!

Leica M6 TTL
Out of the box…

Zufall oder Vorsehung? Eine neue M6 TTL

Meine Web-Recherche führte mich auch zur Seite „Leicaphilia“, die ich sowieso gelegentlich besuche. Dort stolperte ich über eine Mitteilung, dass ein Händler in Hong Kong brandneue, originalverpackte M6 TTL’s anbietet. Dem Link zu folgen war ein fataler Fehler… in Bezug auf meine Finanzen. Es waren noch genau zwei M6 TTL  verchromt in Schwarz vorrätig, für 1879 Euro das Stück. Ich hatte gerade meine M9-P verkauft, mein Pay-Pal-Konto war gut gefüllt, so überlegte ich nicht lang und schlug zu.

Nun muss man wissen, dass die M6 TTL wiederum die Spitze der Evolution innerhalb der M6 darstellt. Zwar war schon die Belichtungsmessung der ursprünglichen M6 „TTL“ also „through the lens“, aber bei dem verbesserten Modell war erstens das Zeitenrad größer und somit besser mit dem Zeigefinger zu drehen, wenn man die Kamera am Auge hat, zweitens drehte es sich anders herum als zuvor. Und das war viel cleverer, aus folgendem Grund: Die Anzeigepfeile des Belichtungsmessers im Sucher zeigen nun in die Richtung, in die zu drehen ist, um die richtige Zeit einzustellen. Die Anzeige hat ausserdem jetzt einen Punkt zwischen den Pfeilen, der aufleuchtet, wenn die Belichtung richtig eingestellt ist. Jedenfalls, wenn die Kamera das glaubt. Ich kann nur sagen, dass man da immer selbst mitdenken sollte, sonst hat man eine Menge Fehlbelichtungen.

Das Zeitenrad

Im übrigen hat das Zeitenrad der TTL jetzt einen extra „Off“-Schalter für die Elektronik, bei der „alten“ M6 musste man immer daran denken, auf „B“ zu stellen, sonst wurde in der Kameratasche unter Umständen langsam die Knopfzelle leer genuckelt.

Die M6 wurde mit unterschiedlichen Suchervergrößerungen geliefert. Meine „normale“ M6 von 1995 hat z.B. 0,72. Das bedeutet, dass es auch einen Sucherrahmen für 28mm gibt. Die „neue“ TTL hat 0,85. Damit ist der größte Sucherrahmen der von 35mm Brennweite. In dem Fall kommt mir das entgegen, denn das 35mm Summicron ist mein bevorzugtes Objektiv auf analogen Kameras. Bei der Vergrößerung haben auch 50 und 75mm noch angenehm große Rahmen.

Zoll…

Eine letzte Hürde war noch zu überwinden… nämlich der deutsche Zoll. Vor ein paar Tagen kam die Mitteilung, dass das Paket in dem Hauptzollamt unserer Gegend lag (etwa 30km entfernt) und ich bestimmte Unterlagen beibringen solle, um es in Empfang zu nehmen. Gestern machte ich mich auf den Weg. Der zuständige Zollbeamte suchte den Vorgang heraus und erkundigte sich, was in dem Paket sei. Bei meiner Antwort blitzte es in seinen Augen kurz auf. Ich dachte schon, ich hätte mich darüber getäuscht, aber als ich das Paket öffnete und die Kamera herausnahm („Unboxing“, mal anders) nahm er sie voller Ehrfurcht in die Hand. Ich war auf einen Leica-Fan gestossen, der selbst lange mit R4 und R6 fotografiert hatte und den alten Zeiten ein bisschen hinterher trauerte.

Leica M6 TTL
Die „neue“ M6 TTL mit dem 50mm Summicron
Leica M6 TTL
…übrigens, Baujahr 2000

Eigentlich hätte ich mich, um das Paket zu bekommen, online auf einer besonderen Seite des Zolls registrieren müssen. Das erledigte „mein“ Zollbeamter nun von seinem Schreibtisch aus, wobei er gelegentlich vor sich hin fluchte und rhetorisch fragte, wie ein normaler Mensch ohne Vorkenntnisse das wohl ausfüllen sollte, da sogar er ab und zu überlegen müsse. Dauernd musste er anklicken, dass das Paket auch garantiert nicht aus dem Iran kommt (irgendwer hat vor Waren aus der Gegend wohl eine paranoide Angst). Es dauerte bestimmt 15 Minuten, aber dann hatte er alle Formulare zusammen und ausgedruckt. Zoll und Einfuhrabgabe wurden fällig, aber damit hatte ich gerechnet. Dank des wohlwollenden Beamten hatte ich mir zirka zwei Wochen hin- und her- Gerenne erspart. Soviel zu angeblichen Beamtenseelen.

Wir unterhielten uns noch eine Weile über die analogen Zeiten, dann schieden wir in bestem Einvernehmen voneinander. Jetzt steht das gute Stück vor mir auf dem Schreibtisch und wartet auf den ersten Einsatz. Der kommt bestimmt.

8 Kommentare

  1. Lieber Claus
    Als ich Heute Morgennach Bern fuhr, um einen entwickelten Film abzuholen, hätte ich nie daran geglaubt, mit einer fast Neuen M6 TTL nach Hause zu kommen. Ein Ständerat hat diese gegen eine Sony RX 10 IV eintauschen wollen. Ich habe mir diese dann kurz vor Ladenschluss gekrallt. Preis unverschämt tief! Modell 2001 mit erst 3 Filmen gelaufen! Kodak TMax gekauft……dafür muss das 21er Super Elmar noch etwas warten 🙂

    LG aus der Schweiz

    • Claus Sassenberg

      Guten Morgen Matthias,

      gratuliere zu dem neuen Schmuckstück! Es tröstet mich nicht unerheblich, dass ich nicht der einzige Verrückte hier bin!

      Viele Grüße aus dem (arktischen) Ostwestfalen,

      Claus

    • Glückwunsch zu dieser M6

      Darf ich fragen bei welchem Händler du diese in Bern erworben hast ?
      Einen offiziellen Leica-Sotre/Boutique, hat es meiner Kenntnis nach dort ja nicht .

      Danke für den Tip u. viel Spass mit der M6 weiterhin!

  2. Hallo Claus,

    mit dem Artikel hast Du ja etwas angerichtet 🙂

    Bedte Grüße von Thomas

  3. Hallo Claus
    Herzliche Gratulation auch von meiner Seite.

    Hatte gerade letzte Woche ein Farbfilm auf der ausgeliehenen Leica M5 mit dem 50mm 2.0 Summicron entwickeln lassen. Das Resultat ist eher durchzogen. Hatte mit den Belichtungsmessung der M5 so meine mühe und eine schöne Kamera ist doch was Anderes in meinen Augen. Vielleicht bekomme ich bei Gelegenheit mal auch seine M6 mit dem 35mm 1.4f AA Aspherical zum fotografieren. Ist sicher eine Traumkombination und nochmals für mich sicher eine tolle und neue Erfahrung.

    Viel Spass mit der neuen M6.
    Maurizio

  4. Lieber Claus,
    mein Neid sei mit Dir.:-)
    Herzlichen Glückwunsch. Wie viel Freude es macht mit solcher Kamera zu arbeiten, habe ich gerade erst wieder bemerkt, als ich meinen Bericht zum Kodak Tri-X fertig gestellt habe. Ich hoffe, Du verzeihst die Eigenwerbung. Ich werde das ganze damit verbundene Projekt analog fotografieren.
    Hab viel Freude mit dieser Kamera. Ich hätte sie ganz ehrlich auch gern:-)
    http://weites.land/kodak-tri-x-auf-ein-korn/

    • Claus Sassenberg

      Lieber Kai,

      ein sehr schöner Bericht und Geschichtsabriss über den Kodak Tri-X, plus tolle Bilder, die in der Tat durch den besonderen Stil des Tri-X sehr eindrucksvoll und zeitlos wirken.

      Ich persönlich hatte den Tri-X zuletzt intensiv in der Bretagne genutzt. Ich liebe insbesondere den Kontrast, der den Bildern Tiefe gibt. Ausserdem ist er sehr gutmütig, was die Belichtung betrifft, kann nie schaden. Und ja: Man kann pushen und pullen, bis der Arzt kommt!

      Ich glaube, der erste Film in die „neue“ M6 ist ein Tri-X, der Kühlschrank ist gut bestückt damit. Schraube schon mal den Gelbfilter vor’s 35er Summicron…

      Viele Erfolg mit deinem Projekt, schönen Sonntag,

      Claus

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert