Ein weniger theoretischer und mehr auf die Praxis ausgerichteter Beitrag zum Thema „Fokussieren“ findet sich mitten im Blog.

Scharfe Sache! Wer braucht schon Autofokus?

Provokante Überschrift, was? Natürlich ginge z.B. moderne Sportfotografie u.ä. ohne blitzschnelle Autofokussysteme gar nicht, so „retro“ bin ich denn auch nicht, dass ich deren Abschaffung fordere. Bei der Leica Q lasse ich mich vom schnellen Autofokus sogar gern verweichlichen. Nur für meine Bedürfnisse komme ich bei den Messsucher-Kameras mit dem manuellen Fokussieren gut klar, selbst bei bewegten Motiven. Naja, manchmal fluche ich doch mal leise vor mich hin, wenn ich denn mit dem scharfstellen gar nicht nachkomme… aber das mir nun dadurch viele Aufnahmen „durch die Lappen“ gehen, kann ich nicht sagen. In Zeiten der Autofocus-Kameras macht sich keiner mehr Gedanken darüber, wie man ein Motiv einigermassen scharf vor die Linse bekommt… das macht ja die Kamera. Aber Autofokus-Systeme haben einige Nachteile:

  • Sie erzeugen immer eine Verzögerung, je nach Kamera und System unterschiedlich, bis der Focus eingestellt ist. High-End Kameras sind zwar sehr schnell, aber dennoch…dazu kommt noch der „Shutter-Lag“ (bis der Spiegel hochklappt und der Verschluss offen ist) und das Motiv ist schon längst aus dem Bild heraus…
  • Man muss auch „treffen“, fokussiert man auf den falschen Punkt und merkt es nicht, ist das Bild leider nichts geworden…und was bitte sollen eigentlich 100 oder mehr Autofokus-Punkte? Das macht das Fokussieren zu einer Art Lotterie, der Punkt der „gewinnt“ bestimmt, wo das Bild scharf ist. Ich habe bei meinen DSLR‘s immer nur einen Punkt in der Mitte gelassen, gezielt und dann das Bild „rekomponiert“ Je nach Objektiv ist der Fokus manchmal nicht exakt und muss eigentlich justiert werden, aber wer kontrolliert das schon?
  • Durch Zäune oder Scheiben hindurch kommt der Autofokus ins schleudern…
  • Bei schwindendem Licht wird der Autofokus langsam oder macht ganz schlapp.
Fokussieren
Strange Encounter, Leica M ( Typ 240) mit 50mm Summilux asph. bei f/1.4 1/1500sec ISO 200, ND-Filter 0,9

Wenn man sich von Autofokus-Systemen löst, unterscheidet man grundsätzlich 4 Arten zu fokussieren:

1.Punkt-Fokus

Ganz klar: Ich stelle auf einen Punkt scharf und löse aus. Bei meiner Messsucher-Kamera ist der Sucher mechanisch mit dem Objektiv gekoppelt. Wenn die Doppelbilder in der Mitte des Suchers kongruent sind, ist das angepeilte Objekt im Fokus. Bei meinen Werksseitig justierten Objektiven funktioniert das absolut zuverlässig (siehe Bild oben). Dabei spielen Glasscheiben oder Zäune keine Rolle. Solange keine absolute Dunkelheit herrscht, kann sicher scharfgestellt werden, der Autofokus jeder Kamera hat dann schon lange aufgegeben… Bei weit offener Blende ist ein exakter Punkt-Fokus unerlässlich. Gerade Leica-Objektive sind so konstruiert, dass sie bereits bei voller Öffnung extrem gute Leistung zeigen. Das „Rendering“ („zeichnen“) der Objektive verleiht solchen Bildern einen Charakter, der auch nicht künstlich in der Bildbearbeitungssoftware (Photoshop) bei anderen Objektiven erlangt werden kann.

2. Hyperfokale Entfernung

Das ist die Entfernung, von der ab bei einer gegebenen Blende alles bis unendlich akzeptabel scharf abgebildet wird. Parameter sind Brennweite und Blende. Es gibt eine Formel, die ich hier ersparen möchte. Man kann die hyperfokale Entfernung an einem Objektiv mit Blendenskala ablesen, wenn man das Unendlichkeitssymbol auf die obere Blendenmarkierung einstellt, die hyperfokale Distanz kann an der unteren Blendenmarkierung abgelesen werden. Es gibt auch Tabellen:

Hyperfocal Distance Chart

Hier ist als Beispiel am Rand die hyperfokale Entfernung für ein 50mm-Objektiv bei Blende 16 gewählt: 17 Fuss (ca. 5,6m). Diese Methode wird von manchen „Street“-Fotografen gern angewendet. Ich würde allerdings Zonen-Focus bevorzugen.

3. Zonen-Fokus

Gelegentlich brauchbarer als die hyperfokale Entfernung (obwohl „hyperfokal“ doch so „spacig“ klingt!) ist der Zonenfokus, auch Nah-Fern-Fokus genannt. Ich schaue, was ich als nahegelegensten Punkt und als entferntesten Punkt scharf haben will, mittle diese Entfernung, stelle sie am Objektiv ein und suche mir die Blende, die Nah-und Fernpunkt noch in ihrer Tiefenschärfeskala hat. Bingo! Wenn ich z.B. bei einem 50mm-Objektiv alles zwischen 5 und 15 Metern Entfernung akzeptabel scharf haben will, stelle ich natürlich auf 10m ein, am Objektiv kann ich dann ablesen, das bei Blende 8 Nah-und Fernpunkt noch innerhalb der Blendenmarkierung für die Schärfentiefe liegen.

Fokussieren
Late-Night-Scating, Kamera schnell hochgerissen und abgedrückt, keine Zeit zum Fokussieren. War auf etwa 4m Entfernung eingestellt. Bei dem 28mm-Objektiv war bei der eingestellten Blende genug im Fokus. ein Rest Bewegungsunschärfe stört nicht bei der Bildaussage. Leica M mit 28mm Elmarit bei f/2.8 1/30sec ISO 250

Ein ideales Werkzeug z.B. für „Strassenfotografie“. Ich sehe eine Szene, möchte aber nicht, das die Personen sich fotografiert fühlen, denn dann kann ihr gesamtes Benehmen sich total ändern, nicht, weil sie vielleicht nicht fotografiert werden wollen, nein, weil sie evtl. von Kindheit an immer in eine Kamera gelächelt haben…jedenfalls wird dann irgendwie alles künstlich. Beim Zonen-Fokus schaue ich nur kurz aufs Objektiv, stelle schnell die geschätzte Entfernung ein (das kann man schnell üben) und wähle eine passende Blende, um die Fehleinschätzung der Entfernung zu kompensieren. Die Kamera ans Auge heben, Bildausschnitt wählen und auslösen sind eine Bewegung, die Abgelichteten kapieren erst Sekunden später, dass ich ein Bild gemacht habe. Ein Autofokus stellt noch ein, dann bin ich schon um die nächst Strassenecke… Evtl. hebe ich die Kamera nicht mal ans Auge, sondern „schiesse aus der Hüfte“, kurz, lasse die Kamera vor meiner Brust und löse aus. Bei Entfernungen bis 10m mit 28-oder 35mm-Objektiv habe ich immer das drauf, was ich haben wollte.

35mm Summilux asph. , eingestellt auf f/5.6

 

 

So hat ein Objektiv auszusehen, dass für Zonen-Focus geeignet ist. Hier das 35mm Summilux asph. Als Beispiel habe ich 5m Entfernung eingestellt. Die Blendenmarkierungen zeigen nun den unteren und oberen Wert des Bereichs akzeptabler Schärfe an der Entfernungsskala.

Eingestellt am Blendenring ist f/5.6, das würde jetzt konkret bedeuten, dass mein Bild in einem Bereich von etwas über 3m bis fast Unendlich ausreichend Scharf ist. Das entspricht übrigens rein zufällig auch der Einstellung für die hyperfokale Entfernung. Eine solche Blendenwahl lässt ausreichend Spielraum für Fehleinschätzungen .

Viele Autofokus-Objektive, auch sehr gute, haben leider solche Markierungen nicht mehr. Das wird aber bei Reviews solcher Objektive oft bemängelt, auch wenn der Tester kein Messsucher-Affecionado ist, denn solche Skalen können das Leben des Profi-Fotografen sowohl im Studio als auch im Feld erleichtern.

 

 

Trafalgar Square, Leica M mit 21mm Super-Elmar asph. bei f/3.4 1/2000sec ISO 200

Trafalgar Square, bei einem Objektiv wie dem 21mm Super-Elmar ist schon bei Blende f/3.4 auf 10m Entfernung alles im Fokus, wenn man auf „Unendlich“ stellt.

4. Unendlichkeits-Fokus

Der Unendlichkeit-Fokus wird meist bei Landschaftsaufnahmen gebraucht. Man stellt auf Unendlich, das war‘s. Bei einem M-Objektiv ist das einfach der Anschlag, sehr praktisch im Dunkeln. (Bei einem Autofokus-Objektiv kann ich, wenn ich den Autofokus abgeschaltet habe, nicht einfach auf Anschlag stellen, dann bin ich nämlich schon über Unendlich hinaus!) Wenn ich mit meiner Canon Eos 5D II den Sternenhimmel fotografieren wollte, musste ich immer erst einen entfernten, ausreichend hellen Lichtpunkt finden und „autofokussieren“, von Hand kann ein solches Objektiv nur sehr schwer auf unendlich gesellt werden (genauer: Mit „Live-View“ kann man scharfstellen, wenn das Motiv ausreichend beleuchtet ist, aber bei Sternenhimmel hängt dann die Sache davon ab, ob das Objektiv auch so gut ist, dass es die Sterne als Lichtpunkt darstellt…). Dann erst den Autofokus abstellen und nicht mehr am Entfernungsring drehen…

Bei kleiner Blende und nicht zu langer Brennweite sind bis auf Objekte in nächste Nähe fast alle Bereiche im Bild annähernd scharf. Brauche ich natürlich oft bei Landschafts-Fotografie, auch wenn im vorderen Bildbereich Dinge sind, die ich gern akzeptabel scharf hätte. Natürlich muss man, je nach Blende, mit Unschärfebereichen im Vordergrund leben, aber das kann auch ganz reizvoll sein (obwohl ich größere unscharfe Bereiche im Vordergrund vermeide, mich irritiert das immer). Dennoch entscheidet das Motiv über meine Wahl, auf was ich scharfstelle: Vielleicht will ich ja auch lieber den Vordergrund im Focus haben, wenn dort etwas sehr prominent ist.

Gargoyle Leica M mit 90mm Apo-Macro Elmar bei f/4.0 1/500sec ISO 200 Gargoyles Leica M mit 90mm Apo-Macro Elmar bei f/4.0 1/500sec ISO 200 Gargoyles Leica M mit 21mm Super-Elmar asph. bei f/3.4 1/2000sec ISO 200

Noch einmal drei Beispiele: Punktfokus, Zonenfokus und Unendlichkeitsfokus

Auch wenn man eine Autofokus-Kamera herumschwenkt, kann es vorkommen, das man in die Verlegenheit kommt, mal manuell zu fokussieren. Grundsätzlich sollte jeder über die Implikationen Bescheid wissen, die dann aufkommen. Ganz nüchtern betrachtet sind nur zwei Parameter im Spiel: Blende und Distanz.