…und, wenn es sich irgend machen lässt, eine Drahtseilbahn, die den Naturfreund bis über die Wolken hinaus auf einen strahlenden Gipfel befördert. Dort oben verliert dann der Mensch, vor lauter Glück und Panorama, den letzten Rest von Verstand, bindet sich Bretter an die Schuhe und saust durch Harsch und Pulverschnee, über Eisbuckel und verwehte Weidezäune hinweg, mit Sprüngen, Bögen, Kehren und Schussfahrten zu Tale.
Unten angekommen, gehen die einen ins Wintersporthotel zum Fünfuhrtee. Die anderen bringt man zum Arzt, der die gebrochenen Gliedmassen eingipst… (Erich Kästner: “Drei Männer im Schnee”)
Erich Kästner war ein bestechender Kenner der menschlichen Natur, seine obige Beschreibung gibt die aktuelle Situation immer noch treffend wieder. Ich frage mich schaudernd, was er wohl über Zwangsneurotiker wie mich zu sagen hätte, die sich ohne Kamera nackt fühlen. Wie man leicht schlussfolgern kann, waren wir im Skiurlaub. An einem Morgen waren wir in die Kabinenbahn (von uns traditionell “Kartönchen” genannt) eingestiegen, kurz vor dem automatischen Schliessen der Türen fiel mir auf, dass ich die Q im Auto vergessen hatte. Ich wollte mich wie von Sinnen von meinem Platz ganz in der Ecke über die anderen Fahrgäste aus der Tür stürzen, nur meine Frau hielt mich am Jackenzipfel zurück. Die ganze Fahrt nach oben lang musste ich mir ihr vergnügtes Grinsen ansehen, weil sie mein Problem genau erkannt hatte, spätestens, als ich mit fahrigen Händen meinen rechten Rippenbogen abgesucht hatte, wo normalerweise die Q hängt. Oben angekommen, machte ich eine ausserplanmässige Talabfahrt. Eigentlich ist das gerade Morgens zu empfehlen, denn Mittags wird die Piste ziemlich weich. Aber ich hatte keinen Sinn für die Qualität des Untergrunds. Ausser, dass ich deswegen vermutlich heile unten ankam, obwohl ich die Anzahl Bögen minimiert hatte. Eigentlich ist meine älteste Tochter die verwegene Schussfahrerin, aber die war dieses Jahr wegen Abitur und Anfällen von schlechter Laune (wegen der lästigen Lernerei) Zuhause geblieben.

Blick aus dem Skigebiet auf den Reschensee. Links der Ort Reschen, rechts Graun. Leica Q bei f/8.0 1/320sec ISO 100
Den ganzen Tag über musste ich mir von meiner gefühlsmässig total verrohten Familie (Frau und jüngerer Tochter) ein Spottlied anhören, das sie dreist aus einem alten “Ritter Rost”-Song umgedichtet hatten. Statt “…nicht ohne meinen Teddy” sangen sie laut “…ohne meine Leica”. Das hat man nun davon. Nicht mal die Neurosen gönnen sie einem.

Skigebiet Schöneben, der Blick Richtung Nauders. Leica Q bei f/4.0 1/2000sec ISO 100
Ich hatte also mal wieder die Q als Begleitung zum Skifahren ausgewählt. Daheim hatte ich noch mit mir gekämpft: Warum nicht die Fuji X-70? An sich viel praktischer, man kann sie in die Tasche stecken, Bildqualität super. Vor den Q-Zeiten hatte ich immer eine Variante der X-100 dabei (hier oder hier ältere Blog-Beiträge) und damit nichts vermisst. Aber die X-70 verlor. Die Q macht einfach so viel mehr Spass beim fotografieren. Ausserdem stört sie mit relativ kurz eingestellten Tragegurt überhaupt nicht beim Fahren.
Nun musste mir die Kamera nichts mehr beweisen. Dass sie für den Job bestens geeignet ist, hatte sie schon letztes Jahr gezeigt. Schneller Autofokus, tolle Serienbildfunktion (schneller als die der M10!) und kann mit einer Hand bedient werden (für Bilder während der Fahrt). Das sind Dinge, die die M10 nun mal nicht hat. Natürlich kann man auch eine M (analog oder digital) mit zum Skilaufen nehmen, vor allem bei schlechtem Wetter (Schneefall) ist die Wetterfestigkeit von Vorteil. Dann aber sollte man sie in einer gut abgepolsterten Tasche tragen. Nicht, weil die Kamera so wertvoll wäre, sondern die eigenen Knochen. Bei einem Sturz verhält sich die Kamera nämlich wie ein mittelalterlicher Morgenstern, wenn man sie um den Hals trägt.
Einfach mal schnell durch die Slide-Show klicken, dann hat man einen Eindruck, wie die schnelle Serienbildfunktion der Q solche Bewegungsabläufe erfasst. Trotz (relativ) grosser Blende gute Nachverfolgung durch den Autofokus.
Mit der Q machte ich aus purer Lust am fotografieren wieder mal Bilder von wagemutigen Springern im “Fun-Park”. Es bereitete mir ein geradezu perverses Vergnügen, bei großer Blende Belichtungszeiten von 1/10000, 1/12000 oder 1/16000 Sekunde zu haben. Der Autofokus der Q nagelte das Motiv sicher fest. Meine relativ schnelle Speicherkarte (80MB/Sek) liess immerhin 14 DNG-Bilder zu, bis dem Pufferspeicher die Puste ausging. Übrigens ist es bei viel Schnee (wie am Strand) ratsam, die Belichtungskorrektur nach oben zu verschieben, 1 EV ist durchaus realistisch. Das war schon zu analogen Zeiten so, dass die TTL-Belichtungsmessung bei stark reflektierenden Hintergründen zu hoch misst und die Bilder unterbelichtet sind.
Ansonsten hielt ich fest, was sich um mich herum so tat, ein bisschen wie “Street” im Skigebiet. Erinnerungsbilder für die eigene Familie miteingeschlossen.
Ein Ausflug nach Meran

Graun
Aber die M10? Weinte sie sich im Tal das Objektiv aus der Fassung? Au contraire, denn das Skifahren dauerte meist nur bis Mittags, dann bekam der Schnee die Konsistenz von Zitronensorbet (leider schmeckte er nicht so). Da die Sportart definitiv nicht “Wasserski” hiess, füllten wir die Nachmittage anders aus. Hatte ich schon erwähnt, dass wir in Graun am Reschenpass waren? Das Gute dort ist, der ganze Vinschgau liegt einem zu Füssen. St. Valentin, Burgeis, Mals, Glurns… und so weiter bis Meran. Selbst am Pass war die Natur drei Wochen weiter als sonst um die Jahreszeit, und weiter unten im Tal war die Apfelblüte in vollem Gang. Denkwürdig war vor allem ein Besuch in Meran. Wir nahmen den Zug in Mals. Die Fahrt das Tal hinunter war wie in einem Märklin-Diorama: Pittoreske Ortschaften, Burgen, Industrieanlagen, Schrottplätze in einem Meer von Apfelblüten. Das Gute neben der Aussicht war, dass man auf diese Weise die endlose Schlange von Wohnmobilen meiden konnte, die sich vom Pass bis ungefähr zum Gardasee erstreckte…
In Meran war Sommer. Alles grünte und blühte. Nach den mehr gedeckten Tönen des Winters im Gebirge (und Zuhause) wurde man von der Farbenpracht fast erschlagen.
Die Sonne schien, das Licht wurde naturgemäss am Nachmittag von Minute zu Minute besser. Ich machte eine Metamorphose zum Postkartenfotografen durch, und so wuselte ich die Passerpromenade rauf und runter, rein und raus aus der Laubengasse. Meine Damen machten die Geschäfte unsicher. Aber ganz so hektisch war es nicht. Genügend Zeit, einen Eiskaffee an einem schattigen Platz zu nehmen und Abends gemütlich im Forsterbräu zu essen. Bei Einbruch der Dunkelheit brachte uns der Zug stressfrei nach Mals zurück.

Der Mohn in Meran. Leica M10 mit 90mm Macro-Elmar bei f/4.0 1/500sec ISO 100
Mal ein anderes Skigebiet
Die meiste Zeit blieben wir im Skigebiet Schöneben, es ist klein und überschaubar, hat aber auch anspruchsvolle Pisten, ist gut gepflegt und familienfreundlich. Aber an einem Morgen machten wir uns nach Samnaun auf, das relativ nah liegt, in knapp 40 Minuten Fahrzeit ist man da. Der Schweizer Ort besteht leider nur aus einer Aneinanderreihung von Duty-Free-Shops. Ich brauchte gerade keine Blancpain (heisst das eigentlich Weissbrot?) oder Jäger LeCoultre (obwohl ich im Prinzip nicht abgeneigt wäre…), trinke wenig bis gar keinen Whisky, rauche keine Zigarren und stehe auch nicht auf Parfum. Also stiegen wir stracks in die Gondel für 120 Personen zum Skigebiet, das sich über dem Bergkamm mit dem von Ischgl vereinigt. Dort waren wir früher häufiger gewesen, aber das Remmidemmi dort stiess uns mehr und mehr ab.
Erwähnt man den Ort Ischgl anderswo in den Alpen, reicht die Reaktion des Gesprächspartners von neidvoller Bewunderung des Geschäftskonzepts bis zur hastigen Bekreuzigung. Wie auch immer, das Skigebiet ist riesig und abwechslungsreich. Wir machten eine weite Runde und brauchten eigentlich keine Piste zweimal zu fahren. Die Schneequalität am Nachmittag war ziemlich bescheiden, aber dafür kann ja die Liftgesellschaft nichts. Wir entdeckten eine völlig neue Gondelbahn nach “Val Gronda”, die einen neuen Teil der Berge erschliesst. Dort war der Schnee auch besser. Als wir auf die Idalp kamen, war dort die riesige Bühne, die jetzt dauernd aufgebaut ist. Andreas Bourani war für’s Wochenende avisiert. Die Beschallung der Alpen wird in Ischgl zur Wissenschaft gemacht, auf die ich gut verzichten kann. Wir verliessen diesen Ameisenhaufen Richtung Pardatschgrat, wo es friedlicher war, tranken noch einen Kaffee und machten uns nach Samnaun davon, mal wieder kuriert von diesem Moloch von Skigebiet.

Der Wegweiser am Pardatschgrat. Da ich viel und gerne mit weit offener Blende arbeite, ist der elektronische Verschluss der Kamera ein Segen. Leica Q bei f/1.7 1/16000sec ISO 100
Im Bunker
An einem Abend machten wir eine Bunkerbesichtigung mit. Hintergrund ist, dass der “Duce” Mussolini einem Einfall Hitlers in Italien verhindern wollte. Er hatte wohl was von der Maginot Linie gehört (die sich dann ja auch als total effektiv erwies…) und wollte so etwas am Reschenpass errichten. Panzersperren auf den Bergen und ein Haufen Bunker bei Reschen. Wir konnten Bunker Nr. 20 besichtigen, den “Etschquellbunker”. So genannt, weil die dieses Ding dreisterweise über die echte Etschquelle gebaut haben. Die Etschquelle mit malerischer Bank und Gedenktafel ein Stück unterhalb im Wald ist nur “gefaked”. Die Bunker waren bis in die neunziger Jahre vom italienischen Heer besetzt, dann endlich fragte man sich wohl, gegen wen oder was man hier eigentlich Wache schob und gab die Sache auf. Clever… schon 50 Jahre nach Kriegsende gemerkt! Respekt!
Unser “Führer” (gefährliches Wortspiel) war ein engagiertes Mitglied des Heimatvereins von Reschen. Er zeigte uns die spartanische Einrichtung, lotste uns durch enge Gänge im Fels (der Bunker war in den Berg hineingesprengt worden) und erklärte die militärische Logistik. Besonders morbide: Die “Schiesskammern”. Ein Geschütz oder grosskalibriges Maschinengewehr wurde von je drei Mann bedient, die im Angriffsfall in der Kammer hermetisch abgeriegelt waren (wegen Giftgas, dass durch die Schiessscharte dringen könnte). Ein vierter musste von Hand (!) aus dem Bunker Frischluft für die Versorgung der Gasmasken pumpen. Die Pumpe brauchte 60 Kurbelumdrehungen pro Minute. Wie lange die Besatzung der Kammer mit genügend Luft versorgt werden konnte, kann man sich denken.
Die “echte” Etschquelle liegt leider in so einem verborgenen Winkel des Bunkers, dass wir dorthin nicht vordringen konnten, aber wir hörten es rauschen und sahen das Wasser durch Plexiglasrohre zur “Fake”-Quelle fliessen. Alles in allem interessant und vor allem beklemmend. Wer in der Gegend ist, kann sich zu einer solchen Bunkerführung anmelden.

Mals und der Ortler. Leica M10 mit 35mm Summilux bei f/4.0 1/750sec ISO 100
Wie man sieht, kann man so eine Woche Skiurlaub mit allerlei anderem Kram anfüllen. Trotzdem bleibt Zeit für Erholung. Am späten Nachmittag sassen wir oft bei einem Glas Veniziano auf der Terrasse eines Cafés in Graun und sahen dem Verkehr auf der Passtrasse zu, nach einem obligatorischen Spaziergang um den Kirchturm im See, der viele Durchreisende zum Anhalten veranlasst. Wir überlegten, ob es nicht für andere Ortschaften an Seen auch lukrativ wäre, Kirchtürme aufrecht im See zu versenken, aber vermutlich hatten wir etwas falsch verstanden.

Trotz der mondhellen Nacht war die Beleuchtung des Kirchturms so hell, dass dieses Bild nur als HDR aus einer Belichtungsreihe von drei Dateien entstehen konnte. Dabei wurde bis zu 125 Sekunden belichtet. Das Beitragsbild in S/W ganz oben entstand von der anderen Seite. Leica M10 mit 28mm Summicron bei f/2.0
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