Die M EV1, die anstatt des optischen Messsuchers ja einen integrierten elektronischen Sucher bietet, wird bekanntlich viel diskutiert. Sie rückt aber auch eine interessante wieder in den Fokus: Wie sieht es eigentlich mit aufsteckbaren elektronischen Suchern für die M-Modelle (und diverse andere Leica-Kameras) aus? Im Laufe der Jahre gab es dazu verschiedene Ansätze. Hier folgt ein Überblick über elektronische Sucher von Leica von 2010 bis heute.

Zur Erinnerung: Elektronische Sucher können aus verschiedenen Gründen nützlich sein. In meinem kürzlich erschienenen Artikel über den M EV1 habe ich einige Anwendungsfälle diskutiert. Dazu gehören: Die Verwendung von Brennweiten unter 28 Millimetern oder über 90 Millimetern, die aufgrund der Einschränkungen des klassischen Leica-Messsuchers schwierig oder unmöglich zu handhaben sind.

Wenn es nah, weit, leichstark wird

Ein weiterer Anwendungsfall ist die Notwendigkeit von „What you see is what you get“ bei der Arbeit mit extrem lichtstarken Objektiven bei voller Blendenöffnung, wenn die Schärfentiefe sehr gering ist. Auch ein Nutzungsszenario ist die Makrofotografie (die Minimaldistanz des M-Messsuchers beträgt bekanntlich 70 Zentimeter). Ein weiteres ist eingeschränktes Sehvermögen. In diesen und einigen weiteren Fällen ist ein elektronischer Sucher (oft auch als EVF bezeichnet, von electronic viewfinder) von Leica nicht die perfekte Lösung. Aber gelegentlich ist er eine große Hilfe.

Wenn man sich die Entwicklung der elektronischen Sucher von Leica ansieht, fällt einem ein weiterer Anwendungsfall ein: wenn man eine sehr niedrige Kameraposition verwenden möchte. Alle EVF-Modelle konnten und können um 90 Grad nach oben geklappt werden, und das aus gutem Grund. Dies gleicht die Einschränkungen des unbeweglichen Rückdisplays aus, wie sie alle bisherigen APS-C- und M-Kameras hatten. Ein weiterer Vorteil eines elektronischen Suchers ist, dass die Nutzer das gerade aufgenommene Bild sehen können, ohne die Kamera vom Auge zu nehmen. Und das ist nicht nur enorm praktisch, sondern auch etwas, was nur ein elektronischer Sucher bieten kann, egal ob nun er eingebaut oder aufsteckbar ist.

Eine gewisse Nachfrage muss es geben

Und es muss immer eine gewisse Nachfrage nach einem elektronischen Sucher von Leica gegeben haben, sonst wären sie ja kaum hergestellt worden. Seit der Leica M (Typ 262), die kein Live-View bot, haben alle digitalen Leica-Kameras entweder einen eingebauten elektronischen Sucher (M-EV1, alle SL-Modelle, alle Q-Modelle, alle D-Lux-Modelle und die CL) oder können mit einem aufsteckbaren EVF ausgestattet werden (M240, T/TL/TL2, alle M10-Modelle und alle M11-Modelle). Trotz der nicht gerade niedrigen Preise gibt es offenbar einen kleinen, aber stabilen Markt für diese Art von Zubehör. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass Sony auch einen zusätzlichen elektronischen Sucher (den FDA-EV1MK) für die ursprüngliche RX1 (ja, die Möchtegern-Q) angeboten hat; spätere Generationen hatten einen integrierten Pop-Up-EVF.

Und nun gehen wir mal durch die Geschichte der elektronischen Sucher von Leica.

Erster elektronischer Sucher von Leica: EVF1

Der 2010 erschienene EVF1 (hier ist auch ein Bild verlinkt) ist vielleicht das am wenigsten bekannte Modell – er wurde speziell für die L-Lux 5 und ihr Schwestermodell, die Panasonic LX5, entwickelt. Er wird über eine proprietäre Schnittstelle unter dem Blitzschuh angeschlossen, ein Konstruktionsprinzip, das auch in der nächsten Generation beibehalten wurde.

Mit nur 202.000 Pixeln ist die Auflösung bescheiden, sodass der EVF sicherlich nicht für die manuelle Fokussierung ausgelegt war. Auch gab es keine ausgefallenen Blickwinkel mit dem 24–90 mm (äquivalent) Zoom der Kamera. Der wichtigste Anwendungsfall war wohl bei hellem Sonnenlicht oder wenn man die Kamera nah am Körper halten wollte, anstatt sie verwacklungsanfällig mit ausgestrecktem Arm zu bedienen. 

Ein gewisser Fortschritt: EVF2

Der EVF2 kam nur drei Jahre später auf den Markt und brachte einen bedeutenden Fortschritt mit sich. Seine Auflösung von 1,3 MP war für die damalige Zeit, sagen wir mal, ordentlich. Bei der M240 ermöglichte er Nah- und Superweitwinkelaufnahmen und anderes, was mit dem Messsucher schwierig zu machen ist.

Obwohl er für eine sehr präzise Fokussierung mit einem offenblendigen Noctilux oder Summilux nicht wirklich geeignet war, war und ist er ein hilfreiches Werkzeug, das auch an mehreren X-Kameras (R.I.P.) angebracht werden kann. Der EVF2 wurde nicht von Leica selbst hergestellt und hat ein entsprechendes Zwillingsprodukt von Olympus. Ich habe gehört, dass der elektronische Sucher eigentlich von Epson gebaut worden sei, bin mir aber nicht sicher, ob das stimmt.

Mit dem Visoflex 020 gibt’s endlich 2,4 MP

Wenn auf die M9 keine M10 folgt, wird der Nachfolger des EVF2 dann auch nicht EVF3 heißen, oder? Und ja, auf Leica ist Verlass: Die dritte Generation heißt Visoflex 020. Dieser Name spielt natürlich auf den historischen Visoflex an – ein Zubehörteil, das eine M-Kamera in Verbindung mit speziellen Teleobjektiven in eine Art Spiegelreflexkamera verwandelte. Diese Anspielung ist mit Sicherheit sehr bewusst gewählt. Und der Visoflex 020 kann tatsächlich als erster elektronischer Sucher von Leica angesehen werden, der gehobenen Ansprüchen gerecht wird.

Mit einer Auflösung von 2,4 MP war er den meisten damals in Kameras eingebauten EVFs ebenbürtig. Im Jahr 2015 überraschte uns die SL Typ 601 mit ihrem großartigen 4,4-MP-EVF. Selbst die letzte Kamera der X-Serie, die X Typ 113 mit ihrem beeindruckenden f/1,7-Objektiv, verfügte über eine Schnittstelle für den Visoflex 020. Er diente auch als Sucher für die APS-C-Kameras T, TL und TL2 sowie für die gesamte M10-Reihe. Und er ist der einzige elektronische Sucher von Leica mit integriertem GPS-Modul. Die M11-Reihe unterstützt den Visoflex 020 übrigens nicht.

Zur M11 bringt der Visoflex 2 ordentlich Auflösung

Nach 020 kommt 2. Nicht 030 oder so. Einfach nur 2. Der zweite moderne digitale Visoflex begründet nochmals eine neue Nomenklatur. Er führt auch ein neues Designprinzip ein. Er ähnelt äußerlich ein wenig, wenngleich etwas miniaturisiert, dem Frankenfinder (das ist 16–28 mm Universal-Weitwinkelsucher, der zwar riesig, aber in puncto Qualität und Präzision unübertroffen ist). Und der Visoflex 2 bietet endlich eine Auflösung, die selbst knifflige Fokussier-Aufgaben ziemlich effektiv unterstützt.

Obwohl er bei seiner Markteinführung im Jahr 2002 mit 3,7 MP deutlich unter den High-End-Standards der fotografischen Industrie lag, ist er bis heute ein brauchbares Werkzeug. Ich vermute, Leica hat sich nicht für eine höhere Auflösung entschieden, da dies eine höhere Verarbeitungsgeschwindigkeit und Kapazität innerhalb der Kamera erfordert hätte. Und das wiederum hätte zu einem erhöhten Stromverbrauch, einer höheren Wärmeentwicklung und anderen Nachteilen geführt. Bei der M10 ist die EVF-Schnittstelle auf 2,4 MP gedrosselt. Das wird sofort deutlich, wenn man den Visoflex 2 an eine M10-Kamera anschließt. Das Bild ist dann deutlich kleiner als bei einer M11, sodass es für diese Leica M-Generation keine wesentliche Verbesserung gegenüber dem Visoflex 2 darstellt.

Elektronische Sucher von Leica seit 2010

EVF1EVF2Visoflex 020Visoflex 2
Leica Nr.18716187531876724028
Auflösung0.2 MP1,3 MP2.4 MP3.7 MP
Markteinführung2010201320142022
Einführungspreis299 €400 €520 €755 €
Passt auf…D-Lux 5M (Typ 240), 
X2, X-E, X Vario
Olympus PEN
Alle M10-Moelle, 
T, TL, TL2, X (Typ 113)
Alle M11-Modelle; M10-Modelle ab Firmware 2.7.5
Bemerkungenbaugleich mit Panasonic DMW-LVF1baugleich mit Olympus VF-2GPS intergriert;
funktioniert nicht an M11-Modellen
kein GPS
an M-10-Modellen nur 2,4 MP

Ich habe eine kleine Tabelle erstellt, in der die wichtigsten technischen Daten der von 2010 bis heute produzierten elektronischen Sucher von Leica zusammengefasst sind. Zu beachten ist dabei noch, dass alle Modelle auf dem Blitzschuh montiert werden. Es ist also in der Regel so, dass man sie normalerweise nicht gleichzeitig mit einem Blitz verwenden kann. Für die M240 gibt es jedoch eine Lösung, indem man den SCA-Adapter 14498 verwendet. Wer also eine zeitgemäße M will, die einen EVF bietet und auf die man einen Blitz aufstecken kann, sollte tatsächlich zur neuen M EV1 greifen.

Elektronische Sucher von Leica: Ein Zukunftsmodell?

Wird es eine fünfte Generation geben? Das ist ein bisschen Kaffeesatzleserei. Vielleicht wird Leica den mit der M EV1 begonnenen Ansatz fortsetzen und ein Modell mit integriertem elektronischem Sucher als Ergänzung zur kommenden „optischen“ M12 anbieten. In diesem Fall würde die neue „echte M“ (also die Messsucherkamera) keine Schnittstelle für einen zusätzlichen EVF benötigen. Andererseits könnte sich das Experiment mit der M EV1 als nicht so geglückt erweisen. In diesem Fall würde die M12 entweder den Visoflex 2 oder eine verbesserte Version verwenden, die, was soll man sagen, möglicherweise vielleicht sogar Visoflex 3 heißen würde. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass Leica seine Kunden davon überzeugen kann, dass die SL die beste Option für die Verwendung von M-Objektiven ist, an einem durch und durch modernen Kameragehäuse mit Bildstabilisierung, einem großen und präzisen elektronischen Sucher und modernsten Videofunktionen.

 Fazit: Wir haben die Wahl

Wenn wir auf 15 Jahre Geschichte der elektronischen Sucher von Leica zurückblicken, lässt sich eine stetige Verbesserung der Auflösung und der allgemeinen Benutzerfreundlichkeit feststellen. Es ist aber schon auch zu konstatieren, dass diese Zubehörteile im Vergleich zu Kameras mit eingebauten elektronischen Suchern immer etwas hinter dem zurückbleiben, was eigentlich state of the art ist. Und: Wir sind nun an einem Punkt angelangt, an dem das Zubehör fast so viel kostet wie eine komplette Kamera eines anderen Herstellers (und da ist der EVF schon mit dabei!). Aber okay, wir sprechen hier ja von Leica und deren Preisniveau. Das dürfte viele Nutzer von M-Messsucherkameras vielleicht nur bedingt abschrecken. Schließlich erweitern die Vorteile eines elektronischen Suchers den Einsatzbereich einer M-Kamera erheblich, während die Vorteile des optischen Messsuchers erhalten bleiben. Wir haben also die Wahl, und das ist doch schön.

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