“Black and white are the colors of photography. People are my favourite subject because there are no two alike, so my work never becomes routine.”Robert Frank
Wer würde die Worte der grossen Fotografen anzweifeln? Ich sicher nicht. Ich fühle mich im Augenblick so “retro”. Vielleicht, weil ich retro bin. Der Wahnwitz der Welt führt mir jeden Tag vor Augen, dass ich aus einer anderen Zeit komme. Aber gibt es die “gute alte Zeit”? Wahrscheinlich auch nicht, nur man verklärt sie sich so schön.
Bevor ich mich in Metaphysik verliere, gebe ich zu Protokoll, dass sich mein Unterbewusstsein offenbar Luft verschafft, indem ich dieser Tage ein starkes Bedürfnis verspüre, meine analogen M-Leicas zu benutzen. Analoge Phase, nicht zu verwechseln mit analer Phase. Ob Freud bei der ganzen Sache eine Rolle spielt, sei dahingestellt. Aber Freude!
Gelegenheiten finden sich immer, am Himmelfahrtswochenende war in Bielefeld der “Leineweber-Markt”, ein mehrtägiges Stadtfest voller Attraktionen auf den Plätzen der Altstadt. Musik, Bands und Künstler an jeder Ecke. Menschenmassen, die sich durch die Gassen wälzen. Und ich dazwischen mit M6 und M4. Das Paradies für “Street”.

Tarantella auf dem Bunnemannplatz. Leica M6 mit 50mm Summicron bei f/5.6 1/1000sec Kodak Tri-X 400 Gelbfilter, Pull-Entwicklung wie 200ASA
Ich war an verschiedenen Tagen dort. Am Himmelfahrtstag selbst hatte ich mir meine M6 gegriffen. Kodak Tri-X war angesagt. Weil es sonnig war und ich nicht bei allzu kleinen Blenden (über f/8) hängen bleiben wollte, beschloss ich, den Film bei 200 ASA zu belichten. Das ist das coole an Schwarzweissfilmen, man kann “pushen” und “pullen“, bis der Arzt kommt… in meinem Fall ist er ja schon da.

Leica M6 mit 90mm Summarit bei f/4 1/1000sec Kodak Tri-X 400 Gelbfilter, Pull-Entwicklung wie 200ASA
Was die Belichtungsmessung betrifft, verliess ich mich auf die TTL-Messung der M6. Da ich ein Gelbfilter vor den drei Objektiven, die ich dabeihatte (35er Summilux, 50er Summicron und 90er Sumarit) verwendete,
gab ich immer bei der Messung ein klein wenig drauf. Das Gelbfilter hat ja nur den Filterfaktor 2, aber dennoch lenkt er die Belichtungsmessung der Kamera leicht nach “unten”. Ab und zu gibt es nämlich Erleuchtungen, wenn man mal in alte Bedienungsanleitungen guckt. In der von der M6 gibt es den Hinweis, dass man bei Verwendung von Farbfiltern (z.B. Orange, Filter-Faktor 4) eine bzw. sogar zwei Blendenstufen (bei Rot, Faktor 8) dazu geben sollte. Ich empfehle übrigens jedem, sich mal die “Allgemeinen Hinweise zur Belichtungsmessung” aus der Anleitung anzusehen. Das, was dort “in a nutshell” ausgeführt wird, ist auch für die Messung mit den digitalen M’s immer noch gültig!

Tanz. Leica M6 mit 50mm Summicron
Ich knipste fröhlich vor mich hin… aber ach – auch in der Leica-Welt ist nicht immer alles heil – wörtlich zu nehmen. Mein Belichtungsmesser machte Zicken und zeigte alle Symptome eines Wackelkontakts. Das hatte die M6 schon mal letztes Jahr angedroht, aber dann wieder gelassen. Jetzt flackerten die roten Pfeile im Sucher hämisch. Ich glaube, es war Morsecode, den ich mal als 14-Jähriger beherrschte, aber seither vergass. Vermutlich hiess das: “Ätsch!”, dann trat das Ding in unbegrenzten Streik. Ich guckte in die Röhre. Keine Pfeile, nicht mal von Indianern, in Sicht.

Zuschauen und sich freuen. Leica M6 mit 90mm Summarit
Einige Fotos vom Himmelfahrtstag, alle mit M6 und 35, 50, 90mm Objektiven. Kodak Tri-X, Gelbfilter, Pull-Entwicklung als 200 ASA-Film
So ähnlich war es Kai mit seiner M7 auf Gotland ergangen, das hatte er neulich in den Kommentaren erzählt. Ich machte es wie er und begann zu schätzen. Und das geht besser, als man glaubt, vor allem, wenn es wirklich sonnig ist. Dann kann man nämlich die “Sunny-16-Regel” 1:1 umsetzen. Als mein Belichtungsmesser im Nirwana versank, hatte ich erst einen halben Film voll. Die Motive waren viel zu gut, als dass ich mich davon abschrecken liess, trotzdem weiterzumachen und sogar noch einen zweiten Film zu belichten. Im Grunde machte dieses “Belichtungsraten” sogar Spass. Ich war dann schon auf die Filmentwicklung gespannt, aber es zeigte sich, dass es ganz hervorragend funktioniert hatte. Das Ganze wäre weniger witzig gewesen, wenn mir das nächste Woche passiert wäre, da ich guten Freunden versprochen habe, ihre Hochzeit zu fotografieren. Aber dann hat man ja seine Backups dabei. In Bielefeld hatte ich eigentlich die M10 auch mit, aber die ruhte, vermutlich zu Tode beleidigt, auf dem Grund der Fototasche. Immerhin machte ich, als ich mein Pulver verschossen hatte, auf dem Rückweg zum Auto noch ein paar digitale Fotos. Am Kesselbrink zauberten ein paar Jungs mit ihren BMX-Rädern, das war mal wieder eine Herausforderung für den manuellen Fokus.
Als ich keinen Film mehr hatte… einige Fotos mit Leica M10. Um den Kulturschock klein zu halten, habe ich in LR deutlich Körnung dazu gegeben.
Am Freitag war für mich ein Arbeitstag, die M6 sandte ich sofort zum Kundendienst. Es ist echt ‘ne gute Kamera, ich möchte sie unbedingt voll funktionsfähig halten. Auf der M2, M3 und M4 habe ich immer die Leicameter, das macht die Kameras schon etwas sperriger. Davon abgesehen lasse ich auf die Dinger (also, die Leicameter) nichts kommen. Mir wurde schon häufiger erzählt, sie seien nicht so zuverlässig. Das ist jedenfalls nicht meine Wahrnehmung! Hilfreich ist sowieso, bei den Belichtungswerten mal mitzudenken, der Belichtungsmesser kann nichts für reflektierende Flächen oder schwarze Hintergründe. Ausserdem sollte man immer im Sinn behalten, dass das Messfeld dem 90mm-Objektiv entspricht, also eine Art “Spot-Messung” darstellt.
Im Freilichtmuseum. Leica M2 mit Kodak Portra 160ASA. 35, 50, 90mm Objektive
Am Samstag überkam mich der nächste analoge Schub. Zeit hatte ich, meine Frau war mit ihren Freundinnen im langen Wochenende und die Kinder morgens noch nicht ansprechbar. Ich lud die M2 mit Kodak Portra und besuchte das Freilichtmuseum in Detmold. Diesmal hatte ich es auf Postkartenmotive abgesehen. Die bekam ich auch, dazu konnte ich mich wieder von der Dynamik des Films überzeugen.

Die gute Stube, eine lichttechnische Herausforderung. Kodak Portra zeigt hier seine Dynamik. Heller Sonnenschein durch die Fenster, trotzdem Zeichnung, schattiges Zimmer gut dargestellt. Leica M2 mit 35mm Summilux bei f/1.4 (auf Kaffeekanne scharfgestellt).
Aber Abends ging es wieder nach Bielefeld. Ich klemmte ich mir die Töchter unter den Arm, will sagen, zusätzlich zur M4. Auf dem Klosterplatz war ein “Street-Food-Market” und überhaupt… das Leben tobte. Ich hielt mich mit dem Fotografieren ein bisschen zurück, schliesslich hatte ich Begleitung. Dennoch wurde an dem Abend ein Film voll (wieder Tri-X).

Abendlicht am Jahnplatz. Leica M4 mit 35mm Summilux, Kodak Tri-X 400, Gelbfilter
Und Sonntag? Wieder nach Bielefeld, den letzten Tri-X verballern, den ich noch hatte. Auf dem Klosterplatz sichtete ich gerade die Band durch den Messsucher, als mir jemand auf die Schulter tippte und mir grinsend seine Olympus OM (ich glaube OM-10) mit 35mm-Objektiv unter die Nase hielt. “Willkommen im Club”, entfuhr mir. Ich lernte André aus Bielefeld kennen, der sich der Analog-Fotografie verschrieben hat. Anders als ich kann er mit Digital gar nichts anfangen. Wir zogen uns in eine ruhige Ecke zurück und sabberten zusammen auf unsere Kameras. Die Zeit verging wie nichts.
Der Samstagabend in Bielefeld. Leica M4 mit Kodak Tri-X 400, Gelbfilter
Während meiner Wanderungen über den Leineweber-Markt waren mir mehrfach “Kollegen” aufgefallen, die mit riesigen DSLR-Geschossen und “Thermoskannen” davor die Menge teilten (im wahrsten Sinne des Wortes). Die Meisten nahmen mich umgekehrt gar nicht wahr, auch wenn ich neben ihnen fotografierte. Bei den anderen variierte die Reaktion von “Mitleidig” bis “Irritiert”, was ich da eigentlich machte. Es tut mir leid, wenn ich immer wieder darauf herumreite und Gefahr besteht, dass mir das als Arroganz ausgelegt wird. Aber… was soll das eigentlich, in diesem Getümmel mit 200 oder 300mm Brennweite? Sind das Vogelkundler, die sich nur verlaufen haben? Man kam doch überall nah heran, selbst die Musiker auf den Bühnen konnte ich mit 90mm bildfüllend porträtieren. Natürlich gestehe ich jedem zu, sein eigenes Verständnis von Fotografie zu haben, das ist ja alles nichts Schlimmes. Aber die Denkweise dieser Kollegen ist mir so fremd, als kämen sie von Alpha Centauri. Wo der Vorteil liegt, die Kamera mit einem optisch unterlegenen Lichtschlucker auszubremsen, erschliesst sich mir nicht.

Auf dem Klosterplatz. Hier wird sehr schön demonstriert, wie wunderbar ein dickes Objektiv als Phallus-Symbol funktioniert. Leica M6 mit 35mm Summilux, Gelbfilter
Das gute bei Film ist: Man braucht sich gar nicht sofort mit der Nachbearbeitung zu beschäftigen, die Dinger müssen schliesslich erst entwickelt werden. Das habe ich diesmal (eigentlich wie gewohnt) bei Pixelgrain in Berlin machen lassen. Und weil ich ja immer weine, wieviel Zeit ich mit dem scannen verbringen muss, hatten mir meine wohlwollenden Kommentatoren empfohlen, das einfach vom Labor machen zu lassen. Diesem Rat bin ich gefolgt, zu meiner vollsten Zufriedenheit. Die fünf belichteten Filme, Ausbeute dieses langen Wochenendes, hätten mich stundenlang an den Scanner gefesselt (und scannen, ehrlich, macht überhaupt keinen Spass). So bekam ich die CD’s mit sehr sauberen Tiff’s zurück, die für kleine Ausdrucke oder den Monitor völlig ausreichen. Und wenn denn ein Bild unbedingt ganz gross herauskommen muss, kann ich es mit dem Nikon selber scannen oder sogar einen Trommelscan anfordern.
Kehraus am letzten Sonntag. Leica M4 mit Kodak Tri-X 400 und Gelbfilter
Ob das was Gutes oder Schlechtes ist, muss ich noch entscheiden, denn die Hemmschwelle, mit Film zu fotografieren, ist dadurch noch mal deutlich gesunken.

Ok, um annähernd die Bildwirkung bei einer digitalen Datei zu erzielen, müsste man schon massiv bearbeiten. Das liefert ein Kodak Tri-X ohne Mühe sofort! Aber wirklich evident wird der Unterschied, wenn man so ein “echtes” Foto auf Barytpapier abzieht. M4 mit 35mm Summilux, f/1.4 1/125sec Kodak Tri-X mit Gelbfilter

Das Leineweber-Denkmal, das dem Markt seinen Namen gab. Leica M4 mit 35mm Summilux, Kodak Tri-X, Gelbfilter
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