Ich freue mich, dass hier ein Gastbeitrag meines Freundes Kai-Torsten Steffens erscheint. Ein Bericht aus Schweden vom Sender Grimeton. Das weckt die Reiselust, wenn es denn wieder möglich ist. Der Artikel erschien in ähnlicher Form auf der Seite mare.photo.
Radiostation Grimeton
Neben der Leica M gibt es noch einige andere ganz spannende Schöpfungsgeschichten. Und die hängen unfreiwillig irgendwie miteinander zusammen. Denn alle diese Schöpfungsgeschichten haben eine Kernaufgabe – Nachrichten zu übermitteln.
Alle diese Schöpfungsgeschichten haben auf ihre Art Weltgeschichte geschrieben oder gar beeinflusst. Kurze Rede, langer Sinn: Wir besuchen den weltweit einzig verbliebenen Maschinensender für Langwellen in Grimeton (Schweden) und portraitieren ihn mit der Leica M und dem klassischen analogen Reportagefilm Kodak Tri X. Die Radiostation Grimeton gehört heute zum Weltkulturerbe. Unfassbar, dass sie die weltweit einzig erhaltene von ehemals 17 gleichen Anlagen rund um den Globus ihrer Art ist.
Bis New York kein einziger Berg
Nach Grimeton biegt man nicht eben mal ab. Diesen Ort muss man schon suchen, auch wenn er gut erreichbar zwischen Halmstad und Göteborg liegt. Die Küste ist nicht weit. Immer wieder bin ich vor einigen Jahren hier vorbeigefahren, als ich für eine schwedische Firma arbeitete. Immer wieder fielen mir die die hohen Metallmasten auf, die so aussehen, als währen es ausgediente Strommasten ohne die Starkstromkabel. Aber jetzt wollten wir es doch wissen und haben uns für diese Entdeckung zwei Tage Zeit genommen.
Sechs 127 Meter hohe Masten stehen im genauen Abstand von 380 Metern wie an einer Perlenschur gereiht in Richtung Küste. Hier, an dieser Stelle in Halland ist es so flach, als wenn es bis New York keine Berge mehr geben würde. Und tatsächlich, würde man von hier aus eine Schnur über die Erdkugel bis New York spannen, gäbe es tatsächlich keinen Berg. Genau dieser Umstand ist der Grund, dass diese sechs Masten an genau dieser Stelle hier stehen.
Hier, vor den Masten, steht das Hauptgebäude der Radiostation Grimeton. Äußerlich ein schlichter aber architektonisch sehr ansprechender Bau, im Inneren aber ein gigantischer Generator, der konstant auf 2.000 Umdrehungen laufen muss, um die Langwellen zu erzeugen. So entstehen klar definierte elektromagnetische Felder, deren Schwingungen bis nach New York reichen. Auf diese Weise können Signale auf die Reise gehen, von Grimeton nach New York.
Als Nachrichten in Schiffsgeschwindigkeit übermittelt wurden
Die Radiostation ging im Jahr 1924 in Betrieb in einer Zeit, in der die belichteten Filme der Reporter noch mit dem Schiff auf Reisen gingen. Wochen später konnte dann in der europäischen Zeitung abgebildet sein, was im Amerika passierte. Und das interessierte die Schweden sehr wohl. Denn viele Menschen aus Südschweden waren ausgewandert und hatten wenig Kommunikationsmöglichkeiten. Es gab natürlich schon eine Telegrafenverbindung nach Irland, über ein Seekabel. Aber dann mussten die Informationen von Irland nach Schweden kommen und umgekehrt. Ein langer Weg.
Mit der Radiostation Grimeton wurde es auf einmal möglich, Nachrichten in Lichtgeschwindigkeit über die Erdkugel zu morsen, unabhängig von einem störanfälligen Seekabel.
Heute ist es selbstverständlich, in Millisekunden Nachrichten aus der ganzen Welt zu senden und zu empfangen. Es ist so selbstverständlich, informiert zu sein und zu informieren. Ob dies mit der gleichen Hingabe und Leidenschaft passiert wie zu analogen Zeiten, sei dahingestellt. Aber wie auch immer, ich wollte mich ein wenig hinein fühlen in die Nachrichtenwelt von damals.
Und so lag es nahe, einen der populärsten Reportagefilme in eine der legendärsten Reportagekameras zu legen und damit den weltweit einzig verbliebenen Längstwellensender zu portraitieren. So spule ich den Kodak Tri X in die Leica M ein und gehe auf optische Tuchfühlung mit der akustischen Nachrichtenwelt. Wie oft wohl wurde Weltgeschehen durch ein Bild oder eine Tonnachricht beeinflusst oder gar verändert. Demut macht sich breit.
Die Bedeutung für das Land Schweden
Schon mit der Erfindung der Telegraphie zeigte sich, wie wichtig der Anschluss an ein schnelles Kommunikationssystem war. Schweden war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein armes Land. Es hatte schlicht den Anschluss an die Industrialisierung verpasst. Viele viele Menschen waren ausgewandert und damit ging sehr viel Know How verloren. Schweden wollte wieder Anschluss bekommen und lockte Auswanderer zurück in ihre Heimat. Dabei lebten sie schon zum Teil in dritter Generation in den USA. Aber immerhin kam jeder fünfte zurück. Viele hatten es zu entsprechendem Reichtum gebracht. Und viele brachten Erfahrungen mit der modernen Industrie mit. Ein Glücksfall also für Schweden.
Man verbesserte die Wohnsituationen, modernisierte das Bildungssystem und führte das allgemeine Wahlrecht ein. Nach dem ersten Weltkrieg bot eine amerikanisch-schwedische Stiftung dem schwedischen König den direkten Anschluss an die Langwellenanlage in New York an. Der war begeistert.
Im Jahr 1921 gab das schwedische Parlament seine Zustimmung für den Bau einer Radiostation und bot eine entsprechende finanzielle Ausstattung an.
Start des Längstwellensenders Grimeton
Am 1. Dezember 1924 ging die Anlage in Betrieb. Der König persönlich legte im Rahmen einer feierlichen Zeremonie persönlich die entsprechenden Schalter um, allerdings erst am 2. Juli 1925. In seinem Schatten kam der Erfinder des Längstwellengenerators, der Schwede Alexanderson zur Eröffnung.
Von nun an gab es eine direkte Telegrafenverbindung zwischen Schweden und den USA. Die Börsen profitierten von der schnellen Übermittlung, denn durch die unterschiedlichen Zeitzonen gibt es an den Börsen nur eine kurze überschneidende Arbeitszeit. Nur in dieser kann man sich austauschen.
Brauchte ein Telegramm mit einer Kabelverbindung mehr als 18 Minuten, erreichte die Nachricht über Funk den Empfänger in etwas mehr als fünf Minuten.
Die Entwicklung der Funktechnik
Bereits in den 1930er Jahren bekam die Langwellentechnik Konkurrenz. Mittelwelle und Ultra Kurzwelle kamen hinzu. Auch in der Radiostation Grimeton wurden die ersten Ultra-Kurzwellen-Antennen installiert. Zunehmend wurden Langwellenantennen abgeschaltet und in der Radiostation Grimeton einer der beiden Generatoren herunter gefahren. Die weltweit 17 baugleichen Langwellensender wurden entweder abgeschaltet oder im Lauf des Zweiten Weltkrieges zerstört. Allerdings hatte sich international bereits die Ultra Kurzwelle (UKW) etabliert.
Bis 1995 nutzte die schwedische Marine die Dienste der Radiostation, da die Langwellen einige Meter tief ins Salzwasser reichen.
Geblieben ist die Radiostation Grimeton dennoch. Heute sendet sie zu besonderen Anlässen. Dazu UNO-Veranstaltungen, der Alexanderson -Day oder jährliche Weihnachtsgrüße des schwedischen Königs. Seit 2004 gehört die Radiostation zum Welterbe der Unesco.
Als Nachrichten noch Nachrichten waren
Egal, ob visuelle oder akustische Medien, kein Detail ist zu wenig und keines ist zu viel. Konzentriert auf das Wesentliche, um die eine Aufgabe zu erfüllen: zu kommunizieren. Wie also kann man besser den Charme dieser alten und musealen Industrieanlage einfangen als mit den beiden Klassikern der Fotografie.
Hier, an einem der Nachrichtenschnittstellen der Welt, haben wir Zeit. Dabei sind Nachrichten eine Aufgabe für Getriebene. Ging es aber damals darum, überhaupt Nachrichten zu übermitteln und zu kommunizieren, müllen wir uns in der heutigen digitalen Welt derart zu, dass die eigentlichen Nachrichten kaum noch durchdringen. Heute gibt es Eilmeldungen, Pseudonachrichten als eigentliche Werbung und wichtige Nachrichten, die im nächsten Augenblick unter ihren Artgenossen ersaufen.
In den Betriebszeiten der Radiostation Grimeton war der Nachrichtensektor noch echtes Handwerk. Heute empfangen wir ungefiltert angebliche Nachrichten und geben sie genauso ungefiltert und ungeprüft weiter. Auch in der Bildgestaltung halten wir uns alle Türchen offen.
In der analogen Zeit war das schon deutlich anders und immer mehr wird die analoge Zeit von Menschen wiederentdeckt, die keine Lust mehr auf dieses Hamsterrad haben. Wir gehören dazu. Alleine schon mit der Wahl des Kodak Tri X lege ich mich fest, schwarz-weiß zu fotografieren. Mit der Leica und dem Schwarz-Weiß-Film tauchen wir ein in das Leben, in die Funktionen rund um den Maschinensender Grimeton. In einer exklusive Führung wird uns die Anlage mit all ihren Funktionen erklärt. Uns werden die zahlreichen Ölpumpen gezeigt, die zusammen mit dem Springbrunnen vor dem Gebäude dieses Monster von Anlage kühlen. Wir tauchen ein in die Biografie des Erfinders der elektromagnetischen Wellen und Langwellen. Immer wieder ändern wir unseren Blick auf diese fast unscheinbare und doch so gewaltige Radiostation.
Von gestern. Für morgen.
Auch, wenn wir heute weder die analoge Fotografie noch die Erzeugung von Langwellen benötigen, beides funktioniert immer noch, nach nahezu 100 Jahren. Aber sowohl die analoge Leica, der Kodak Tri x und auch die Radiostation Grimeton, die haben etwas, was man den heutigen Medienwerkzeugen durchaus absprechen kann: sie berühren.
Egal ob die Radiostation Grimeton, die analoge Leica M oder der Kodak Tri X, diese Erfindungen waren zu ihrer Zeit einmalig und haben die Grundlagen für unser Heute gelegt. Grund genug also, respektvoll und demütig mit dem Alten umgehen um die Zukunft zu verstehen.
Kleine Korrektur:
Die Längstwelle wurde in der welweiten Kommunikation nicht durch die Ultrakurzwelle (UKW) sonden hauptsächlich durch die Kurzwelle abgelöst. Die Reichweite der Ultrakurzwelle ist begrenzt.
Wikipedia: Abhängig vom Sender- und Empfängerstandort, der Sendeleistung und der Empfangsausrüstung liegt die Reichweite eines UKW-Senders zwischen einigen 10 und rund 200 km.
Danke für den Bericht,
viele Grrüsse
Bodo Heyl
Herzlichen Dank für den Hinweis. Da hatte mein Schwedisch dann doch Defizite:-) Aber wie ich gesehen habe, bin ich ja da an einen Profi geraten.
Viele Grüße
Kai Steffens
p.s.
Übrigens haben die Funkamateure in einem Gebäude in Grimeton ihre eigene Anlage.