Ich freue mich, dass hier ein Gastbeitrag meines Freundes Kai-Torsten Steffens erscheint. Ein Bericht aus Schweden vom Sender Grimeton. Das weckt die Reiselust, wenn es denn wieder möglich ist. Der Artikel erschien in ähnlicher Form auf der Seite mare.photo.
Radiostation Grimeton
Neben der Leica M gibt es noch einige andere ganz spannende Schöpfungsgeschichten. Und die hängen unfreiwillig irgendwie miteinander zusammen. Denn alle diese Schöpfungsgeschichten haben eine Kernaufgabe – Nachrichten zu übermitteln.
Alle diese Schöpfungsgeschichten haben auf ihre Art Weltgeschichte geschrieben oder gar beeinflusst. Kurze Rede, langer Sinn: Wir besuchen den weltweit einzig verbliebenen Maschinensender für Langwellen in Grimeton (Schweden) und portraitieren ihn mit der Leica M und dem klassischen analogen Reportagefilm Kodak Tri X. Die Radiostation Grimeton gehört heute zum Weltkulturerbe. Unfassbar, dass sie die weltweit einzig erhaltene von ehemals 17 gleichen Anlagen rund um den Globus ihrer Art ist.
Bis New York kein einziger Berg
Nach Grimeton biegt man nicht eben mal ab. Diesen Ort muss man schon suchen, auch wenn er gut erreichbar zwischen Halmstad und Göteborg liegt. Die Küste ist nicht weit. Immer wieder bin ich vor einigen Jahren hier vorbeigefahren, als ich für eine schwedische Firma arbeitete. Immer wieder fielen mir die die hohen Metallmasten auf, die so aussehen, als währen es ausgediente Strommasten ohne die Starkstromkabel. Aber jetzt wollten wir es doch wissen und haben uns für diese Entdeckung zwei Tage Zeit genommen.
Sechs 127 Meter hohe Masten stehen im genauen Abstand von 380 Metern wie an einer Perlenschur gereiht in Richtung Küste. Hier, an dieser Stelle in Halland ist es so flach, als wenn es bis New York keine Berge mehr geben würde. Und tatsächlich, würde man von hier aus eine Schnur über die Erdkugel bis New York spannen, gäbe es tatsächlich keinen Berg. Genau dieser Umstand ist der Grund, dass diese sechs Masten an genau dieser Stelle hier stehen.
Hier, vor den Masten, steht das Hauptgebäude der Radiostation Grimeton. Äußerlich ein schlichter aber architektonisch sehr ansprechender Bau, im Inneren aber ein gigantischer Generator, der konstant auf 2.000 Umdrehungen laufen muss, um die Langwellen zu erzeugen. So entstehen klar definierte elektromagnetische Felder, deren Schwingungen bis nach New York reichen. Auf diese Weise können Signale auf die Reise gehen, von Grimeton nach New York.
Als Nachrichten in Schiffsgeschwindigkeit übermittelt wurden
Die Radiostation ging im Jahr 1924 in Betrieb in einer Zeit, in der die belichteten Filme der Reporter noch mit dem Schiff auf Reisen gingen. Wochen später konnte dann in der europäischen Zeitung abgebildet sein, was im Amerika passierte. Und das interessierte die Schweden sehr wohl. Denn viele Menschen aus Südschweden waren ausgewandert und hatten wenig Kommunikationsmöglichkeiten. Es gab natürlich schon eine Telegrafenverbindung nach Irland, über ein Seekabel. Aber dann mussten die Informationen von Irland nach Schweden kommen und umgekehrt. Ein langer Weg.
Mit der Radiostation Grimeton wurde es auf einmal möglich, Nachrichten in Lichtgeschwindigkeit über die Erdkugel zu morsen, unabhängig von einem störanfälligen Seekabel.
Heute ist es selbstverständlich, in Millisekunden Nachrichten aus der ganzen Welt zu senden und zu empfangen. Es ist so selbstverständlich, informiert zu sein und zu informieren. Ob dies mit der gleichen Hingabe und Leidenschaft passiert wie zu analogen Zeiten, sei dahingestellt. Aber wie auch immer, ich wollte mich ein wenig hinein fühlen in die Nachrichtenwelt von damals.
Und so lag es nahe, einen der populärsten Reportagefilme in eine der legendärsten Reportagekameras zu legen und damit den weltweit einzig verbliebenen Längstwellensender zu portraitieren. So spule ich den Kodak Tri X in die Leica M ein und gehe auf optische Tuchfühlung mit der akustischen Nachrichtenwelt. Wie oft wohl wurde Weltgeschehen durch ein Bild oder eine Tonnachricht beeinflusst oder gar verändert. Demut macht sich breit.
Die Bedeutung für das Land Schweden
Schon mit der Erfindung der Telegraphie zeigte sich, wie wichtig der Anschluss an ein schnelles Kommunikationssystem war. Schweden war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein armes Land. Es hatte schlicht den Anschluss an die Industrialisierung verpasst. Viele viele Menschen waren ausgewandert und damit ging sehr viel Know How verloren. Schweden wollte wieder Anschluss bekommen und lockte Auswanderer zurück in ihre Heimat. Dabei lebten sie schon zum Teil in dritter Generation in den USA. Aber immerhin kam jeder fünfte zurück. Viele hatten es zu entsprechendem Reichtum gebracht. Und viele brachten Erfahrungen mit der modernen Industrie mit. Ein Glücksfall also für Schweden.
Man verbesserte die Wohnsituationen, modernisierte das Bildungssystem und führte das allgemeine Wahlrecht ein. Nach dem ersten Weltkrieg bot eine amerikanisch-schwedische Stiftung dem schwedischen König den direkten Anschluss an die Langwellenanlage in New York an. Der war begeistert.
Im Jahr 1921 gab das schwedische Parlament seine Zustimmung für den Bau einer Radiostation und bot eine entsprechende finanzielle Ausstattung an.
Start des Längstwellensenders Grimeton
Am 1. Dezember 1924 ging die Anlage in Betrieb. Der König persönlich legte im Rahmen einer feierlichen Zeremonie persönlich die entsprechenden Schalter um, allerdings erst am 2. Juli 1925. In seinem Schatten kam der Erfinder des Längstwellengenerators, der Schwede Alexanderson zur Eröffnung.
Von nun an gab es eine direkte Telegrafenverbindung zwischen Schweden und den USA. Die Börsen profitierten von der schnellen Übermittlung, denn durch die unterschiedlichen Zeitzonen gibt es an den Börsen nur eine kurze überschneidende Arbeitszeit. Nur in dieser kann man sich austauschen.
Brauchte ein Telegramm mit einer Kabelverbindung mehr als 18 Minuten, erreichte die Nachricht über Funk den Empfänger in etwas mehr als fünf Minuten.
Die Entwicklung der Funktechnik
Bereits in den 1930er Jahren bekam die Langwellentechnik Konkurrenz. Mittelwelle und Ultra Kurzwelle kamen hinzu. Auch in der Radiostation Grimeton wurden die ersten Ultra-Kurzwellen-Antennen installiert. Zunehmend wurden Langwellenantennen abgeschaltet und in der Radiostation Grimeton einer der beiden Generatoren herunter gefahren. Die weltweit 17 baugleichen Langwellensender wurden entweder abgeschaltet oder im Lauf des Zweiten Weltkrieges zerstört. Allerdings hatte sich international bereits die Ultra Kurzwelle (UKW) etabliert.
Bis 1995 nutzte die schwedische Marine die Dienste der Radiostation, da die Langwellen einige Meter tief ins Salzwasser reichen.
Geblieben ist die Radiostation Grimeton dennoch. Heute sendet sie zu besonderen Anlässen. Dazu UNO-Veranstaltungen, der Alexanderson -Day oder jährliche Weihnachtsgrüße des schwedischen Königs. Seit 2004 gehört die Radiostation zum Welterbe der Unesco.
Als Nachrichten noch Nachrichten waren
Egal, ob visuelle oder akustische Medien, kein Detail ist zu wenig und keines ist zu viel. Konzentriert auf das Wesentliche, um die eine Aufgabe zu erfüllen: zu kommunizieren. Wie also kann man besser den Charme dieser alten und musealen Industrieanlage einfangen als mit den beiden Klassikern der Fotografie.
Hier, an einem der Nachrichtenschnittstellen der Welt, haben wir Zeit. Dabei sind Nachrichten eine Aufgabe für Getriebene. Ging es aber damals darum, überhaupt Nachrichten zu übermitteln und zu kommunizieren, müllen wir uns in der heutigen digitalen Welt derart zu, dass die eigentlichen Nachrichten kaum noch durchdringen. Heute gibt es Eilmeldungen, Pseudonachrichten als eigentliche Werbung und wichtige Nachrichten, die im nächsten Augenblick unter ihren Artgenossen ersaufen.
In den Betriebszeiten der Radiostation Grimeton war der Nachrichtensektor noch echtes Handwerk. Heute empfangen wir ungefiltert angebliche Nachrichten und geben sie genauso ungefiltert und ungeprüft weiter. Auch in der Bildgestaltung halten wir uns alle Türchen offen.
In der analogen Zeit war das schon deutlich anders und immer mehr wird die analoge Zeit von Menschen wiederentdeckt, die keine Lust mehr auf dieses Hamsterrad haben. Wir gehören dazu. Alleine schon mit der Wahl des Kodak Tri X lege ich mich fest, schwarz-weiß zu fotografieren. Mit der Leica und dem Schwarz-Weiß-Film tauchen wir ein in das Leben, in die Funktionen rund um den Maschinensender Grimeton. In einer exklusive Führung wird uns die Anlage mit all ihren Funktionen erklärt. Uns werden die zahlreichen Ölpumpen gezeigt, die zusammen mit dem Springbrunnen vor dem Gebäude dieses Monster von Anlage kühlen. Wir tauchen ein in die Biografie des Erfinders der elektromagnetischen Wellen und Langwellen. Immer wieder ändern wir unseren Blick auf diese fast unscheinbare und doch so gewaltige Radiostation.
Von gestern. Für morgen.
Auch, wenn wir heute weder die analoge Fotografie noch die Erzeugung von Langwellen benötigen, beides funktioniert immer noch, nach nahezu 100 Jahren. Aber sowohl die analoge Leica, der Kodak Tri x und auch die Radiostation Grimeton, die haben etwas, was man den heutigen Medienwerkzeugen durchaus absprechen kann: sie berühren.
Egal ob die Radiostation Grimeton, die analoge Leica M oder der Kodak Tri X, diese Erfindungen waren zu ihrer Zeit einmalig und haben die Grundlagen für unser Heute gelegt. Grund genug also, respektvoll und demütig mit dem Alten umgehen um die Zukunft zu verstehen.
Wer mal im “alten” Blog gestöbert hat, wird sich an das obige Motiv erinnern, es ist die Burgruine von Salavas bei Vallon Pont d’Arc. Es ist das Erste, was ich sehe, wenn ich morgens aus dem Zelt steige. Vielleicht kennt der eine oder andere das auch, es gibt Motive, die muss man geradezu zwanghaft immer wieder ablichten, dazu gehört für mich dieses Gemäuer. Das Licht macht morgens und abends verrückte Sachen mit dem Ding, man kann es tausend Mal fotografieren und immer ist es anders. Dieses Foto ist vom letzten Freitag. Ich stelle es ganz am Ende des Artikels nochmal ein, weil man das Beitragsbild selbst nicht größer betrachten kann.
Aber wer nicht mit meinen jährlich wiederkehrenden Ritualen vertraut ist, dem sollte ich vielleicht erklären, warum ich aus einem Zelt steige. Die Kanu-AG des Wesergymnasiums Vlotho, der ich seit mehr als dreissig Jahren angehöre, fährt jedes Jahr zum Wildwasser-Kanu-Fahren an die Ardèche. Etwa 25 Schüler und noch mal so viele “Ehemalige” treffen sich dort jedes Jahr zum Zeltlager. Wer mehr über die Hintergründe erfahren will, kann nochmal hier oder hier nachsehen, der letztere Link ist quasi ein Review zur Leica M240, die ich damals gerade wenige Wochen hatte und dort auf Herz und Nieren prüfte.
Am Wahrzeichen von Vallon, dem Pont D’Arc
Die Woche dort ist jedes Mal eine fotografische “Tour de Force” für mich. So sehr ich mir auch vorher gelobe, mich zurückzuhalten, kann ich doch nicht die vielen Gelegenheiten einfach ignorieren. Vier Kameras waren dabei:
Natürlich die M240, mein treues “Workhorse”, unbedingt wichtig als Systemkamera mit der Möglichkeit, auch längere Brennweiten zu nutzen.
Die Leica Q, zum ersten Mal – und was sie zusätzlich zur M240 leisten kann, ist eine echte Bereicherung.
Zwei analoge Kameras, meine M3 und eine M6 (die ich kürzlich erwarb). Die Entwicklung der Filme dauert naturgemäß etwas, vermutlich schreibe ich später dazu etwas separat.
Man kann dort alle möglichen Genres abarbeiten, z.B.:
Landschaft – reichlich vorhanden
Architektur – z.B. Pont du Gard
Sport – Aufnahmen am Schwall
Porträt – viele fotogene Teilnehmer
Low-Light – Besuch der Höhlen oder Abends im Zeltlager
Reportage – alles, was so während der Woche passiert
Street – ich zögere etwas, das hinzuzufügen, denn mein Besuch verschiedener Städte und Märkte dort dient mehr dazu, das “Lokalkolorit” einzufangen. Einiges davon kann als Street-Foto durchgehen, aber ich schüttele immer den Kopf, wenn andere vorbeieilende Passanten fotografieren und das als “Street” bezeichnen. So etwas wird man bei mir eher nicht finden.
Und weil das immer alles ziemlich gleichzeitig stattfand, versuche ich mit der Trennung in Genres hier im Beitrag etwas Ordnung hereinzubringen, sonst verliere ich selbst den Überblick.
Aber jetzt beginne ich doch erst chronologisch: Ich habe mir angewöhnt, lieber einen Tag früher als der Rest der Truppe vor Ort zu sein, einfach, weil man sich nach einer durchfahrenen Nacht etwas akklimatisieren kann. Selbstverständlich fahre ich nicht allein, sondern mit mir im T5 waren Andreas, ebenfalls regelmässiger Teilnehmer der Fahrt und Jürgen “Bulli” Grundmann, Liedermacher aus Bielefeld, der gebürtiger Vlothoer ist und ebenso wie wir alle als Schüler zur Kanu-AG stieß.
Nachdem ich mich auf dem Campingplatz “Le Chauvieux” häuslich eingerichtet hatte, fühlte ich mich frisch genug, gleich dem Nachbarörtchen Barjac einen Besuch abzustatten, denn dort ist Freitags Markt. Weil ich mich dennoch ein bisschen groggy fühlte, beschloss ich, einfach nur die Leica Q mitzunehmen und sie wie eine “Point and Shoot” zu benutzen, da muss ich mir nicht so viel den Kopf über Einstellungen zerbrechen. Ich schlenderte über den Markt und durch die altehrwürdigen Gassen des Weilers und genoss das südfranzösische Ambiente. Ab und zu knipste ich drauflos. Blende f/4 oder so und einfach nur abdrücken. Von einem Touristen wird auch nichts anderes erwartet.
Mittags war ich immer noch nicht wirklich Müde, darum kam mir die Idee, die Tropfsteinhöhle “Aven d’Orgnac” zu besuchen, die praktisch am Weg lag. Zwei Dinge sprachen dafür: Die einsetzende Mittagshitze, die den Gedanken an die Höhle, in der konstant 11°C herrschen, schmackhaft machte und mein Ehrgeiz, die Bildstabilisierung der Leica Q zu testen. Im letzten Jahr hatte ich die gerade neu eröffnete “Kaverne” mit der Fuji X100 T besucht und mit dieser Kamera dort sehr zufriedenstellende Ergebnisse erzielt, auch sie wäre für eine Tropfsteinhöhle erste Wahl, aber die Q mit der leicht kürzeren Brennweite und vor allem mit der Bildstabilisierung ist perfekt. Ich konnte gestochen scharfe Bilder mit einer 1/4 Sekunde aus der Hand machen, sogar bis auf f/3.5 abblenden und war immer noch bei ISO 200. Wer hat da noch Schiss vor Banding und warum eigentlich?
Die Aufnahmen aus der Höhle sind alle mit 1/4 oder 1/8 Sekunde aus der Hand gemacht. die Bildstabilisierung sorgt für gestochen scharfe Ergebnisse
Am nächsten Morgen erwachte ich früh und voller Tatendrang (keine Sorge, es geht nicht so minutiös weiter). Ich fuhr nach Uzès, eine kleine schnuckelige Stadt bei Nimes, die ich das letzte Mal 2012 besucht hatte. Zufällig war dort Markt… ich war diesmal nur bedingt faul und hatte neben der Leica Q auch die M6 mit, fest entschlossen, eine Rolle Kodak Tri-X durchzubringen. Leider wurde mein Enthusiasmus etwas gedämpft, als die Batterie des Belichtungsmessers den Geist aufgab. Ich fühlte mich etwas gedemütigt, hatte ich doch gerade erst Bill Palmer in den Kommentaren auf Macfilos erklärt, wie gut die in den analogen Modellen halten. Nun hatte ich die M6, ein Exemplar in fabrikneuem Zustand aus den 90ern, von Meister in Hamburg erstanden. Die Batterien waren darin und pfiffen vermutlich schon länger aus dem letzten Loch. Ich hatte offensichtlich die letzten Elektronen herausgequetscht. Zum Glück sind die benötigten Knopfzellen ziemlich verbreitet, man bekommt sie selbst in Drogeriemärkten . Uzès hingegen ist sogar groß genug für ein Fotogeschäft und der freundliche Inhaber zückte sofort die passenden Modelle. Ein Leuchten ging über sein Gesicht, als ich ihm die M6 reichte (ist das nicht verrückt? Die Leicas erzeugen im Netz gelegentlich Hass, aber sonst nur positive Gefühle). Er führte mich nach erfolgreichem Wechsel in eine hintere Ecke des Ladens und zeigte mir ein Regal mit recht abgewrackten Kameras, diverse Voigtländer, Konikas, Praktikas, Laufboden- und Messsucherkameras. Fast hätte ich ihm eine Kodak Brownie abgekauft, erinnerte mich aber im letzten Augenblick, dass ich eigentlich kein Sammler bin.
Wenige Kilometer von Uzès entfernt ist das Pont du Gard. Da ich nun so nah war, besuchte ich dieses eindrucksvolle Bauwerk wieder. In jungen Jahren war ich noch durch die Wasserleitung ganz oben gelaufen und hatte abends in luftiger Höhe den Sonnenuntergang bei einem Glas Wein mit meiner Ex-Freundin (heute ist sie meine Frau) genossen. Das ist natürlich nicht mehr möglich, alles hübsch abgesperrt, wer weiss, wie viele von da oben runtergesegelt sind…
Am Nachmittag kam der Bus und der hintere Teil des Campingplatzes verwandelte sich in einen Bienenschwarm. Oder vielleicht wäre der Vergleich zu einem Ameisenhaufen passender, in Nullkommanichts wurde das Lager mit Küchen-, Vorrats-, Gemeinschafts- und Materialzelt aufgestellt, von den Schlafzelten ganz zu schweigen.
Foto im Slider vorn: Das Wiedersehen
Schon am nächsten Morgen fuhr ein Teil der Gruppe etwas Flussabwärts zum grossen Schwall beim Pont D’Arc, dem Wahrzeichen von Vallon, um dort zu üben. Ich hatte dort schon letztes Jahr recht actionreiche Fotos machen können, indem ich ein gutes Stück in den Fluss hineinwatete. Leider war aber dieses Jahr der Wasserstand spürbar höher, der Druck schon ein kleines Stück vom Ufer entfernt so gross, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis es mich von den Beinen reissen würde. Nicht so schön, wenn mit Kamera und Objektiv gut 10.000 Euro versenkt werden. Warum nicht einfach ein Tele benutzen? Nun, weil es nicht das Gleiche ist. Der Bildwinkel wird mit steigender Brennweite immer “Paparazzi-mäßiger”. Das muss nichts schlechtes sein, als ich so am Ufer stand, mein mickriges 90mm betrachtete und mir mehr Reichweite wünschte, sehnte ich plötzlich mein 80-200mm R-Vario-Elmar herbei, das ich auf dem Campingplatz gelassen hatte.
Zum Surfen in die vorderste Welle fahren, sieht einfacher aus als es ist
Trotzdem konnte ich auch mit dem 90er Macro-Elmar einiges ausrichten. Zumal es gegenüber dem R-Objektiv den Vorteil hat, dass ich es durch den Messsucher fokussieren kann und nicht auf den elektronischen Sucher von unterirdischer Qualität angewiesen bin, für den es nie ein Upgrade gegeben hat, was ich mir vor zwei Jahren erhofft hatte. Ein Vögelchen namens Steve H. zwitscherte mir, dass die nächste M einen Hybrid-Messsucher hat, dann sind solche Warzen überflüssig.
Immer hübsch der Reihe nach
An dieser Stelle kommt mein üblicher Vortrag über das manuelle Fokussieren von bewegten Objekten. Es wird weiterhin oft unterstellt, dass man mit einer Messucherkamera ungefähr nur Stilleben fotografieren kann. “Au contraire“, kann ich nur sagen, alles Übungssache. Natürlich hat alles seine Grenzen (wozu habe ich die Leica Q?), aber mit etwas Geschick und der richtigen Technik kann man problemlos auch auf bewegte Motive fokussieren. Erste Option: Man fokussiert auf einen Punkt und lässt das Objekt an diese Stelle kommen, löst dann aus – Bingo, Bild im Kasten. Zweite Möglichkeit (für Fortgeschrittene): Nachverfolgung, man dreht dabei ständig den Distanzring vor- und zurück und korrigiert so etwa alle halbe Sekunde neu, die Kongruenz im Messfeld ist leichter zu erkennen, wenn man immer wieder kurz aus dem Fokus geht. Es ist klar, dass man damit nicht sechs Bilder pro Sekunde macht, aber “spray and pray” ist auch nicht mein Stil. Obwohl es auch für Serienbild-Aufnahmen seine Gründe gibt, muss ich hinzufügen.
Diese junge Dame ist noch nie beim Kentern unten geblieben, sie bleibt selbst im dicksten Schwall cool.
Wer mit dem vollkommen überladenen XR-Trekking in den Schwall fährt, will einfach kentern…
Für alle, die noch nie in einem Kanu gesessen haben, sollte ich noch anmerken: Was da so spielerisch leicht aussieht, nämlich vorne in der Welle zu “surfen”, erfordert viel Mut und Geschick. Die Kräfte, die dort herrschen, sind enorm, beim geringsten Fehler wird man verschluckt, durchgekaut und wieder ausgespuckt. Nun ist das hier eine ungefährliche Sache, sonst käme das auch nicht in Frage.
Allerlei buntes Treiben am Strand, erstes Foto: “Boys will be boys”
Anschliessend wird die Hälfte der Schlucht befahren bis zu einer Stelle, an der die Boote über Nacht gelagert werden. Zu diesem malerischen Ort führt ein kleiner, steiler Wanderweg, der die etwa zweihundert Höhenmeter überwindet, die sich der Fluss in den Kalkstein gefressen hat. Unser langjähriger Busfahrer, der dort mittlerweile jeden Stein kennt, holt die Bootsfahrer am späten Nachmittag ab.
Panorama der Schlucht, Flussschleife kurz vor unserem “Haus-Schwall” Dies Bild ist aus 11 Einzelfotos zusammengesetzt, die ich mit M240 und 21mm Super Elmar machte. Übrigens aus der Hand.
Der “Haus-Schwall”, Langzeitbelichtung mit 21mm Super Elmar und ND-Filter (10 Blendenstufen). Ein bisschen Spielerei muss auch mal sein.
Das Kochen ist immer eine Gemeinschaftsaktion und hat Eventcharakter… Nebenbei bemerkt: Viele Köche verderben nicht notwendigerweise den Brei!
Die Abende im Lager sind kurzweilig: Zunächst ist das Kochen für über vierzig Leute meist eine Gemeinschaftsaktion, zu der sich jeder auf seine Weise einbringt. Nach dem Essen spielen die einen Fussball, die anderen gehen in Kleingruppen an den Fluss oder zur Burg (Salavas), meistens aber wird Musik gemacht.
Eine kleine Hörprobe von Bulli mit seiner Ukulele. Möglicherweise sieht man hier zum ersten Mal, dass er nur ein Bein hat. Das hindert ihn nicht daran, wie alle anderen Boot zu fahren und in die Schlucht zu steigen.
Schliesslich waren nicht weniger als vier Gitarren, zwei Ukulelen und ein Cachon dabei (sogar meine Querflöte), da liegt es nahe, dass es fast jeden Abend eine Gig gab. Dann hatten wir auch Leute mit, die erstaunliche Talente zeigten, zum Beispiel Feuerspucker. Das war der Moment, als die Leica Q ihre Qualitäten unter Beweis stellen konnte. Schneller Autofokus, low-light-Kapazität und Serienbildaufnahme in rascher Folge sind die Mischung, die man dafür braucht und die Q vereint das auf sich.
Leica Q mit schneller Serienbildfunktion
Ich habe keinerlei Skrupel, eine Kamera im Boot mitzunehmen. Meist die M240, das 28mm Elmarit davor und das 75mm Apo-Summicron zum Wechseln, so bin ich eigentlich für alles Unterwegs gewappnet. Das 75mm führt eigentlich zu Unrecht ein Schattendasein, bei Offenblende erinnert die Zeichnung zum Beispiel sehr an das 50er Summilux. Neben den Aufnahmen im Schwall ist es auch eine exzellente Porträtlinse:
Porträts mit dem 75mm Apo-Summicron
Das 50er Summilux hatte ich dieses Jahr gar nicht mit, kurz vor der Fahrt hatte ich mich entschlossen, es mal zur Wartung ins Werk zu schicken, mir kam es so vor, als hätte es einen leichten Backfokus entwickelt. Vielleicht nur 2-3 cm auf eine Entfernung von 2m, aber das entscheidet schon darüber, ob ein Auge beim Porträt im Fokus liegt oder nicht. Als 50mm-Alternative war mein Summicron dabei, ein altes Objektiv aus den 80er Jahren, aber immer noch exzellent. Es entspricht in der optischen Formel immer noch dem heute produzierten (nicht zu verwechseln mit dem 50er Apo-Summicron), ich hatte es ebenfalls schon mal überholen lassen. Dabei wurde es auch kodiert, das erspart lästige Einstellungen, die man sowieso immer vergisst. Ich habe es wieder häufig benutzt, auch mit ND-Filter 0,9, um bei Sonne mit Blende f/2 arbeiten zu können. Es produziert dann ein wunderschönes, ruhiges Bokeh, so dass ich mein Summilux gar nicht vermisste. Ausserdem hat es noch einen Vorteil: Es ist klein und leicht.
Mit dem 50mm Summicron
Ganz in der Nähe des Campingplatzes startet ein interessanter Wandertrail. Ein (meist) trockenes Flussbett windet sich vom Fluss aus in das Kalksteingebirge hinein, dabei muss man steile Stücke überwinden, Schwindelfreiheit des Wanderers obligatorisch. Obwohl ich schon so oft an der Ardèche war, hatte ich diese spezielle Wanderung noch nie gemacht, also wurde es Zeit. Zum Klettern wollte ich auf keinen Fall eine Kameratasche umhaben, für diesen Einsatz war die Q also prädestiniert, die ideale Wanderkamera. Nicht, dass ich nicht auch bei solchen Gelegenheiten bedenkenlos die M mit 35er oder 28er Objektiv umhänge, aber es geht eben immer noch ein wenig bequemer. Die Q störte mich nicht beim Klettern, ich hatte sie stets griffbereit quer über der Schulter etwas unterhalb der Brust hängen, wie beim Skifahren.
Spannende Wanderung das trockene Flussbett hoch
Da wir schon bei Landschaftsaufnahmen sind: Der Wanderweg durch die Ardèche-Schlucht selbst ist auch sehr attraktiv. Eines Nachmittags ging ich von unserem “Haus-Schwall” (das ist die Stelle auf etwa halber Distanz der Schlucht, wo wir meist die Boote über Nacht liegen lassen) ein gutes Stück flussabwärts. Auch dieser Weg wird niemals langweilig: Er windet sich am Ufer entlang, mal durch den Wald, mal über Sand oder Kies, man muss abgestürzte Felsen umklettern oder geht eine Weile über freigeschwemmte Kalksteinplateaus. Ich hatte die M240 und die M3, geladen mit Fuji Velvia mit. Mal sehen, was daraus wird.
Auf einer Wanderung den Fluss entlang
Die ältesten anwesenden “Ehemaligen” waren übrigens das pensionierte Lehrerehepaar, das die Kanu-AG vor über vierzig Jahren gründete und auch die Tradition der Ardèche-Fahrt ins Leben rief. Sie weckten die Gruppe jeden Morgen um sieben Uhr sanft mit Gitarrenklängen und Gesang. Das 50er Summicron fängt die Szene ein
Langsam geht mir hier die Puste aus. Es ist fast nicht möglich, wirklich alle Facetten unseres Aufenthaltes zu erfassen, ich habe noch eine ganze Reihe Fotos auf Lager, die ich bearbeiten will, vor allem Schwarzweiss, denn ich will wieder eine Reihe davon in meinem Portfolio aufnehmen. Vielleicht stelle ich noch ein Video ein, ich habe zwar dieses Jahr nicht selbst gefilmt, aber nachdem sich die “GoPro”-Kameras steigender Beliebtheit erfreuen, gibt es einiges aus dem Schwall zu sehen.
Die Aufnahmen aus den GoPro’s wurden meist schon Abends im Zeltlager zur allgemeinen Belustigung angesehen, vor allem, wenn eine Kenterung dabei war.
Zu guter Letzt sei noch gesagt, dass mich mein Equipment wie gewohnt nicht im Stich gelassen hat. Meine M hat mittlerweile diesen “brassy” Look, den manche so stylish finden. Ich kann nichts dafür, keine Absicht, aber wenn sie in Rucksäcken oder in Booten herumrutscht, geht schon mal der Lack ab. Trotz vieler Stöße ist der Messsucher einwandfrei justiert. Die Q hat sich auch nicht beklagt, wenn sie mal gelegentlich gegen einen Felsen schepperte. Und die M3? Vermutlich kann ein Panzer darüber rollen, naja… jedenfalls fast…
Die Woche verging wie immer zu schnell. Und wer die Bilder sieht, ahnt vielleicht, warum diese Fahrt zu einer Art Kultveranstaltung mutiert ist. Von 13 bis 77 Jahre sind eigentlich alle Altersgruppen vertreten und verschmelzen zu einer Einheit. Das Abbauen geht ebenso schnell (oder schneller) wie der Aufbau, aber ist mit ein wenig Wehmut verbunden. Immerhin kann man schon mal beginnen, sich aufs nächste Mal zu freuen.
Spontanes Konzert beim Abbau (Take me home, country road)
Während der Woche erreichte mich durch Mike die Nachricht, dass jetzt Jonathan Slack bei uns mitmacht. Ich musste kurz unterdrücken, zu hyperventilieren, als ich die Mail las. Schon während der Rückfahrt übersetzte ich seinen Vergleich zum 28mm Summicron ASPH. Als ich den Artikel im Layout fertig hatte, war der E-Mail-Kontakt mit Jono, wie ich erwartet hatte: Er ist ein Supertyp ohne Allüren. Ich freue mich schon auf weitere Zusammenarbeit.
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