Vorbemerkung des Übersetzers:
Dieser Artikel wird oft gesucht und aufgerufen. Ebenso häufig wird er missverstanden. Der Autor, Mike Evans hat sich von seiner SL nur getrennt, weil sie ihm persönlich zu unhandlich war. Dabei ist seine Vergleichsgrösse das M-System von Leica, dass nun wirklich sehr kompakt für ein Vollformat-System ist, aber natürlich viele Einschränkungen gegenüber der SL aufweist.
Gemessen an der Grösse der professionellen Vollformat-DSLR’s oder auch einer Sony A9 mit entsprechenden Zeiss-Objektiven relativiert sich diese Wahrnehmung sehr stark.
Fakt ist, dass die SL eine grossartige Kamera höchster Fertigungs- und Bildqualität mit einer ständig wachsenden Anzahl exzellenter Objektive für jeden Bedarf ist.
Ein Artikel von Mike Evans
Als die Leica SL vorgestellt wurde, war ich ein paar Monate lang unentschlossen. Überzeugt, dass sie zu groß und zu schwer für mich ist – vor allem im Verein mit dem 24-90mm Vario-Elmarit Zoom – hielt ich mich mit dem Kauf zurück. Ich hatte mit beiden oft genug hantiert und nachdem ich vor fast zehn Jahren meine schwere DSLR-Ausrüstung aufgegeben hatte, kam es mir so vor , als ob die SL-Combo mehr war, als ich stemmen wollte. Am Ende stellte sich heraus, dass es genau so war, aber dazu gibt es mehr zu erzählen, ausserdem wollte ich mich der Herausforderung stellen.
Schliesslich kaufte ich also den SL-Body mit der Absicht, ihn ausschliesslich mit M-Objektiven zu gebrauchen. Und das funktioniert auch grossartig, sie ist ohne Zweifel die beste spiegellose Kamera als Plattform für M-Glas. Da gibt’s keine Kompromisse, der riesige Sucher macht das fokussieren manueller Objektive zum Kinderspiel. Selbst ohne Vergrösserung oder andere Fokussier-Hilfen. (Man beachte: Ich sagte “spiegellos”. Da ist eine Kamera noch besser geeignet, und das ist eine Leica-Messsucher-Kamera)
Ein Mitarbeiter von Red Dot Cameras schiesst mit der Demo-SL des Shops und einem 35mm Summilux zurück. Gemacht mit dem 50mm Apo-Summicron
SL versus M10
Wie verhält sich die Sl im Vergleich von Größe und Gewicht zu einer traditionellen M-Messsucherkamera? Der Body wiegt 847g, das sind 187g mehr als die M10. Sie ist höher und überhaupt klobiger. Aber man muss den Vergleicht etwas mehr differenzieren. Die SL hat einen soliden, eingebauten Handgriff und den besten elektronischen Sucher auf dem Markt. Ein Griff und ein (dagegen minderwertiger) EVF sind Zubehör für die M10, erhöhen das Gewicht und schliessen so die Lücke zwischen beiden Kameras ein wenig. Aber das trifft nur zu, wenn man dies auch braucht. Es hängt speziell davon ab, wie wichtig einem der Extra-Griff ist, und die SL bietet eine gut abgerundete und angenehme Haptik. Aber ganz gleich, wie diese Unterschiede rational betrachtet aussehen, es bleibt ein hoher subjektiver Faktor dabei zurück. Egal, was die Zahlen sagen, die SL fühlt sich an wie ein ganz schöner Brocken.
Bis vor ein paar Tagen hatte die SL nur einen Vollformat-Mitbewerber, und das war die Sony A7RII mit einem höher auflösenden 42MP-Sensor und einem kleineren, leichteren Body (625g im Vergleich zur 847g schweren SL). Während ich dies schreibe, stellt Sony die A9 vor, eine verbesserte spiegellose Vollformat-Kamera, die mit der SL besser vergleichbar ist und offensichtlich den DSLR-Markt aufmischen soll. Aber selbst diese Kamera wiegt nur 673g, 173g leichter als die Leica.
Ich hatte noch keine Gelegenheit, eine A9 in die Finger zu bekommen, aber die A7 Kameras sind definitiv viel komplizierter in der Anwendung, mit viel mehr Menüpunkten und kleinen, fummeligen Knöpfen. Das ist nicht jedermanns Sache. Die SL hat dagegen mit 24MP eine vernünftige Auflösung (ich bin kein Fan höherer Auflösung und damit erforderlicher höherer Speicherkapazität, wenn ich keinen praktischen Nutzen darin sehe, und das kann ich nicht. Es ist signifikant, dass die A9 mit 24MP auskommt). Die SL ist ausserdem die am besten gebaute, solideste Kamera, die ich je in Händen hatte. Sie ist in der Tat “built like a tank” und fühlt sich trotz des höheren Gewichts wesentlich besser an als die Sony (jedenfalls, was mich betrifft).
Was echte Konkurrenz angeht, muss man die M10 mit ihrem deutlich verbesserten Zubehör-Sucher ins Auge fassen. Sie bietet zwar keinen Autofokus, kann aber der SL in fast allen Aspekten das Wasser reichen und ist leichter und kompakter. Zumal ein Leica-Freund sie sofort ins Herz schliesst.
Mit 24-90mm Vario-Elmarit-SL
SL Handling
Mit der generellen Bedienung der Kamera bin ich sehr zufrieden. Wirklich eine tolles Ding mit einem Minimum an Knöpfen – nur vier längliche Tasten um den Monitor gruppiert erlauben Zugriff auf fast alle notwendigen Einstellungen. Im Menü zu navigieren ist ein Kinderspiel, das kleine Display auf der Oberseite der Kamera ist ein Muster an Effizienz – sehr ähnlich dem bei der Leica S – und die Drehknöpfe vorn und hinten funktionieren präzise, mit wohlabgewägten Optionen im Menü. Ich hatte, und habe immer noch ein paar Beschwerdepunkte. Das einzige, was ich angesichts der M10 nicht mag, sind die DSLR-style Trageriemen-Befestigungen. Ich bevorzuge die traditionellen Ösen. Ich nehme allerdings an, dass Leica bei dem Gewicht der Objektive auf Nummer Sicher gehen wollte. Auf jeden Fall ist das nur eine geringfügige Sache.
Die SL funktioniert zuverlässig mit allen M-Objektiven – es ist eine Kamera ohne Kompromisse, wenn man Spiegellos mit manuellen Optiken kombinieren will (Bild gemacht mit 24-90 Vario-Elmarit).
Vario-Elmarit Zoom
Irgendwann rang ich mich durch, das 24-90mm Vario-Elmarit zu kaufen. Ich lernte dieses Objektiv schätzen, wenn diese Wertschätzung auch durch Größe und Gewicht dieses Teils getrübt wird. Es bringt 1,2kg auf die Waage. Eins ist sicher: Das ist eine Sorte Zoom-Objektiv, die einen nicht in andauernde Zweifel stürzt, ob man es nicht besser durch einen Haufen guter Festbrennweiten ersetzt. Unter Umständen ist es wirklich das einzige Objektiv, das man für die SL braucht, vorausgesetzt, man hat die Mucki. Mit Body zusammen zeigt die Waage etwas über 2kg, da bewegen wir uns deutlich in DSLR-Gefilden.
Ein Jahr ist vergangen, und ich benutze die SL immer weniger. Ein fantastische Kamera, die Bomben-Ergebnisse liefert. Ideal bei Gelegenheiten, bei denen das erstklassige Zoom-Objektiv die Vielseitigkeit bietet, als Weitwinkel in räumlich engen Verhältnissen zu fungieren, wie auch als perfekte Porträt-Linse am anderen Ende der Brennweiten-Skala zu gebrauchen ist. Man vermisst kaum eine Festbrennweite, ausser bei Low-Light, oder wenn man extreme Freistellung des Motivs sucht.
Mit dem 24-90 Vario-Elmarit, eine exzellente und vielseitige Optik für Events wie diese Oldtimer-Show, an der viele in zeitgenössischen Kostümen teilnehmen.
Vor- und Nachteile
Die Vor- und Nachteile der SL habe ich mit Freunden diskutiert, die die SL entweder besitzen oder besaßen. Alle haben die gleichen Bedenken wegen des Gewichts speziell der Zoom-Objektive. Dennoch waren wir uns einig, dass, wenn man von einem Zoom-Objektiv beste Eigenschaften erwartet, das resultierende Gewicht etwas ist, was man akzeptieren muss. Andererseits ist klar, dass die besten Festbrennweiten-M-Objektive ebensogut, wenn nicht besser, und dabei viel leichter sind. Man hat halt keinen Autofokus, das ist alles.
Ich hatte noch nie eine Kamera, die ich so sehr mochte und so wenig benutzte. Gewicht, Gewicht, Gewicht, am Ende ist es nur das. Unglücklicherweise hat mich das immer zurückgehalten.
Nur, das muss ja nicht jeden so stören. Schliesslich ist eine gleichwertige Ausrüstung von Canon oder Nikon eher sperriger und schwerer sowieso. Wer sich mit dem Gewicht abfinden kann, dem kann ich die SL mit dem Standard-Zoom von ganzem Herzen empfehlen.
Aber für viele, vor allem ältere Fotografen, die sich nach ihrer Zeit mit ausladenden DSLR-Ausrüstungen für kompaktere Lösungen entschieden haben, kommt die SL mit ihren nativen Objektiven mit zu viel déjà vu daher. Trotzdem könnten die besagten Fotografen sich dafür entscheiden, die SL einfach mit M-Objektiven zu verwenden. Man wird weniger hart von der Schwerkraft bestraft, wenn man auch nicht ganz ungeschoren davon kommt.
Oben und unten: Mal was anderes – die SL mit dem Zeiss Sonnar f/1.5. Dieses Objektiv ist für sein Focus-Shift-Problem auf Messsucher-Kameras verrufen und möglicherweise leichter mit dem WYSIWYG*-Sucher der SL zu beherrschen. (*= what you see is what you get)
Wo die M10 punktet
Also, zurück zur Ankunft der M10. Die neue Kamera produziert Ergebnisse auf Augenhöhe mit der SL, die Bildqualität ist sehr ähnlich, ich kann nicht sagen, dass ich in dieser Hinsicht irgendeine Kamera der anderen bevorzuge. Wie viele andere frage ich mich auch, ob die M10 die SL nicht vollkommen ersetzen kann. Nimmt man den Visoflex-Sucher dazu, verleiht das der M10 sehr ähnliche Eigenschaften, wie sie die SL hat, auch wenn der Visoflex-Monitor kleiner ist als der im Sucher der SL. Aber er tut’s, vor allem mit Objektiven, die wirklich von einem EVF profitieren – Weitwinkel, R-Zoom-Objektive oder “schwierige” Optiken wie das Noctilux. Es läuft darauf hinaus, dass der größte Vorteil der M10 ist, dass man die meiste Zeit den optischen (Mess-)Sucher benutzen kann und sich dabei über den kleineren Body und geringeres Gewicht freut.
Da ist noch ein Gebiet, auf dem der Visoflex der M10 den Sucher der SL schlägt, und das ist die Vergrösserung bei der Fokussier-Hilfe. Bei der SL muss man, wie bei allen “echten” spiegellosen Kameras, einen Knopf drücken (man benutzt den Joystick), um vor jedem Auslösen die Suchervergrösserung in Gang zu setzen. Das kann nervig sein und ist einer der Gründe, warum SL-Nutzer oft bevorzugen, ohne Suchervergrösserung arbeiten. Dank des hochauflösenden Monitors ist das im Gegensatz zu den meisten eingebauten EVF’s eine komfortable Option.
Die M10 dagegen bietet die Möglichkeit einer automatischen Vergrösserung im Verein mit dem Visoflex. Sobald man den Distanzring bewegt, schaltet das Display auf Vergrösserung. Wer’s nicht mag, kann’s natürlich abschalten – aber ich find’s klasse! Bei der M10 wird nämlich die mechanische Verbindung zwischen Objektiv und Messsucher benutzt, diesen Trick zu initiieren. Das gibt’s nur bei der M.
Nachdem ich die M10 in die Finger bekam, merkte ich, wie sehr ich es genoss, mit ihr zu arbeiten – im Gegensatz zur SL. Ich fing an, mich zu fragen, ob ich mit der SL weitermachen sollte, wenn ich doch das Messsucher-Erlebnis so viel mehr bevorzugte. Trotz der unbestrittenen Kompetenz der SL mit manuellen Objektiven ziehe ich “the real thing” vor.
Überlegene Bildqualität, hochbelastbar gebaut, der Welt bester EVF, perfekter Zoom-Bereich von 24-90mm. Aber kann man dieses Paket den ganzen Tag mit sich rumschleppen? Dieses Foto ist nicht mit einer SL gemacht, sondern mit der Panasonic Lumix GX8 und dem Olympus 12-40mm Zoom.
Unentschlossen
Ich war in den letzten Monaten mehrmals versucht, die SL zu verkaufen. Letzte Woche war ich so weit, das Vario-Elmarit in seinen Karton zu packen und die Trageriemen von der Kamera abzunehmen, bevor ich ein Reset durchführen und sie dann ebenfalls eintüten würde. Aber ich konnte die Sache nicht durchziehen. Irgendwie schreit die Kamera mich an: “Behalte mich!” Ich weiss nicht, was es ist, aber ich schalte sie ein, blicke durch den kristallklaren Sucher und der alte Enthusiasmus wird wiederbelebt. Sie fühlt sich einfach gut an und die Kontrollen sind so perfekt gestaltet.
Ich entschied mich, einen weitern Durchgang mit der spiegellosen Combo zu machen, die Osterfeiertage in East Anglia boten sich als gute Gelegenheit an. Ich sah es als letzten verzweifelten Versuch, mit der SL zu “bonden”. Zur Erleichterung liess ich mein 24-90mm zuhause und griff das vielseitige Tri-Elmar-M, das ich auf der M10 schon viel benutzt hatte (siehe meinen Bericht über Lacock Abbey). Tatsächlich funktioniert das Tri-Elmar prima als Leichtgewicht-Ersatz-Zoom für die SL.
Zugegeben, die wählbaren Festbrennweiten 28-35-50 des Tri-Elmar sind längst nicht so flexibel wie die Bandbreite des 24-90er Zooms, aber es verträgt sich gut mit der SL beim umherschweifen. Zusammen mit dem T-M-Adapter wiegt es 440g – nur ein Drittel vom Gewicht des Vario-Elmarit – und erzeugt so eine Mini-Zoom-Ausrüstung unter 1300g Gewicht. Trotzdem noch ein Klotz zu tragen.
Entgegen meiner guten Vorsätze machte sich irgendwann im Lauf des Wochenendes das Gewicht der SL um meinen Hals unangenehm bemerkbar. Selbst mit dem Tri-Elmar ist das Ding schwer. Die Muskeln um meinen Schultergürtel verknoteten sich immer mehr und ich war gezwungen, drastische Massnahmen zu ergreifen.
Die “leichte” Wahl
Ich liess die SL im Auto und steckte die Ricoh GR in die Tasche. Natürlich ist jeder Vergleich Fehl am Platz, die Ricoh ist eine Taschenkamera mit 28mm Festbrennweite und APS-C Sensor. Kein Vergleich mit dem Sucher der SL, sie hat nicht mal einen. Mit Vollformat-Sensor und Leica-Glas spielt die SL in einer ganz anderen Liga. Aber die Ricoh trägt sich wunderbar und die Ergebnisse innerhalb ihrer Möglichkeiten sind niemals enttäuschend. Hätte ich die M10 mit Tri-Elmar dabei gehabt, wäre es kein Problem gewesen, die Kombination den ganzen Tag herumzuschwenken, das wusste ich aus der Erfahrung der letzten Monate. Die Ricoh wäre in Reserve geblieben, in der Tasche, wo sie immer für den Notfall bereit ist.
Ich kehrte voller Unentschlossenheit zurück. Ich glaube einfach nicht, das die SL die Art Kamera ist, die ich ständig mitschleppen will. Zu schwer für mich, selbst mit M-Objektiven. Aber ich betone nochmals, dass das meine rein persönliche Ansicht ist und dass das jeder für sich selbst entscheiden muss.
Die M10 ist gerade so viel leichter, dass man sie als “Jeden-Tag-Kamera” ins Auge fassen kann. Und wenn es hart auf hart kommt, gebe ich zu, dass ich das Messsucher-Erlebnis jederzeit einem EVF (egal, wie toll) vorziehe – jedenfalls was manuelle Objektive betrifft. Wenn ich einen elektronischen Sucher benötige, ist der Visoflex der M10, wenn auch weniger hochwertig als der der SL, mehr als ausreichend. Überhaupt wird man mit der M10 die meiste Zeit den optischen Sucher benutzen und hat es gar nicht nötig, durch irgendwelches Zubehör Gewicht und Größe zu erhöhen. Nach einem Monat mit der M10 ist der Visoflex nicht einmal aus seinem kleinen Leder-Futteral gekommen, ich fühlte auch kein Bedürfnis, den Zusatz-Handgriff anzuschaffen.
Geniale Kombination: Die SL mit dem Tri-Elmar-M Objektiv bei 28mm
Reue ist wahrscheinlich
Ich schätze, dass ich es bereuen werde, wenn ich die SL verkaufen sollte. Das könnte mein Typ Kamera sein, wenn ich nur mit dem Gewicht klarkäme. Wer sich hingegen an ein paar Extra-Gramm nicht stört, der wird nicht enttäuscht sein. Ich habe diverse Freunde, die überzeugte Fans der SL sind. Wäre ich vielleicht etwas jünger oder bereit, eine Menge Ausrüstung zu stemmen, würde ich möglicherweise genauso empfinden. Zu blöd, dass das 24-90mm Zoom so gut, aber so verdammt schwer ist. Selbst wenn ich die SL behalte, glaube ich nicht, dass ich das Zoom benutze, ausser bei sehr speziellen Gelegenheiten.
Da gibt es viel “wenns” und “aber”, doch erst mal warte ich noch ab. Ich schätze die Kamera wirklich sehr, darum kann ich mich nur schwer von ihr trennen.
Übersetzt von Claus Sassenberg, Originalartikel erschienen auf Macfilos
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