Et in Arcadia ego – Auch ich war in Arkadien
Im zweiten Teil dieses Reiseberichts erreichen wir das Festland wieder. Auf Elba hatte ich relativ häufig zur Q3 gegriffen und die Leica M11-P zu unrecht vernachlässigt. Das sollte sich jetzt ändern.
Ein bisschen wehleidig waren wir schon, Elba zu verlassen, aber so sollte es auch sein. Ein Urlaubsort, den man voller Freude hinter sich lässt, kann doch nur von zweifelhafter Qualität sein. Immer noch auf dem Retro-Trip war unser nächstes Ziel San Baronto auf dem Höhenzug von Montalbano. Das ist (wie Elba) eine Region der Toscana. Dort waren wir zuletzt Mitte der 90er Jahre. Der Campingplatz liegt quasi um einen Berggipfel herum, man blickt in die Ebene Richtung Pisa, auf der anderen Seite liegt Pistoia. Nachts glimmen dort unten tausende Lichter. Wir vermissten ein wenig unser morgendliches Schwimmen im Meer, dafür gab es hier mehrere Pools. Schon in den 90ern konnte man vom Beckenrand weit ins Tal blicken, seither war die Badelandschaft deutlich upgegradet worden.
Im Slider: Bilder aus Vinci, alle mit Leica M11-P und 35mm Apo-Summicron
Wenn man in der Gegend ist, darf ein Besuch in Vinci, dem Geburtsort Leonardo da Vincis, nicht fehlen. Dort ist ein sehenswertes Museum, wo man unter anderem viele Nachbauten seiner Maschinen besichtigen kann. Die Aussicht vom Turm ist ein Zusatzbonus. Vom Bergdorf San Baronto führt die SP13 direkt hinab nach Vinci, und diese Strasse mit vielen Aussichtspunkten ist eine Fahrt wert, ausserdem ist sie eine beliebte Rennradstrecke, die ich in meine Touren dort immer irgendwie eingebunden habe.
Im Slider: Bilder aus der Region Montalbano, alle mit Leica M11-P und 35mm Apo-Summicron
Der Gebirgszug von Montalbano ist eine Region zum Fahrradfahren oder Wandern, und das taten wir dort ausgiebig. Florenz oder Pisa sind von dort mit Auto leicht zu erreichen, aber wir hatten andere Städte auf unserer Agenda. Nach ein paar Tagen „brachen wir die Zelte ab“, um uns tendenziell wieder Richtung Heimat zu orientieren. Auf jeden Fall wollten wir noch an einen der großen Seen. Am Ende fiel unsere Wahl doch auf den Gardasee, weil wir dort einen attraktiven Campingplatz ausgemacht hatten (der auch freie Plätze hatte, das ist selbst in der Nebensaison nicht mehr selbstverständlich).
Aber auf dem Weg dorthin machten wir eine Nacht nahe bei Bologna Station und verbrachten den Tag in der Stadt. Der Platz, auf dem wir waren, war nur etwa 5km vom Zentrum entfernt. Es fuhr sogar ein Shuttle-Bus, aber wir nahmen die E-Bikes und waren damit unabhängiger, zumal das Wetter ausgezeichnet war. Wir begannen am Neptunbrunnen auf der Piazza Maggiore. Die über drei Meter hohe Statue des Neptun im klassischen Stil nimmt man als gegeben hin, aber die Pose der Sirenen um den Sockel herum können nur einem Testosteron-vergifteten maskulinen Hirn entsprungen sein. Sie halten geradezu krampfhaft ihre Brüste fest, aus denen Wasser spritzt. Skurril, und es wirkt irgendwie ungewollt komisch (aber ist auch nicht das erste mal, dass ich sowas sah. Und dann gibt’s ja noch das Manneken Pis… vielleicht wäre sowas in der Art was für den Neptun).
Dennoch ist der Brunnen und seine Umgebung (plus der Menschen dazu) sehr fotogen. Danach besichtigten wir die Basilica San Petronio, einen Bau von beeindruckenden Proportionen. So viele Touristen dort… und wir darunter. Wer von denen nimmt dieses Haus wohl als sakralen Ort wahr?, fragte ich mich etwas selbstgerecht, schliesslich betätigte ich den Auslöser wie die anderen.
Wir liessen uns danach ein bisschen Treiben und kreisten durch die Altstadt bis zu den Stadttoren, schauten natürlich immer mal, welche Sehenswürdigkeiten gerade in der Nähe waren. Bologna ist die Stadt der Arkaden (fast 40km davon!), dagegen kann der Prinzipalmarkt einpacken.
Gleich ein Stück hinter den beiden Türmen Torre Garisenda und dem Torre degli Asinelli kam ich unter den Arkaden zu einer Vollbremsung vor einem bekannten roten Punkt. Ein Leica Store, über dessen Existenz ich mir nicht im Klaren war. Ich drückte mir die Nasen an der Schaufensterscheibe platt, bis meine Frau mir einen Schubs gab. Im Store war ein freundlicher junger Mann mit guten Englischkenntnissen, der mich aufklärte, dass es den Store in Bologna noch nicht so lange gäbe, aber sonst nur noch einer in Florenz und selbstverständlich in Rom sei. Auch bei Leica in Bologna ist es nicht befremdlich, wenn man ohne Kaufabsichten mal Hallo sagt. Nach einer kleinen Fachsimpelei waren wir uns einig, dass die Leica Q3 die ideale Kamera für eine Stadt wie Bologna sei. Der Besuch hätte sich hingezogen, aber ich bekam ein schlechtes Gewissen wegen meiner Frau, die gutmütig unter den Arkaden wartete.
Hier und da machten wir auf einer Piazza Pause und tranken einen Americano oder (später) einen Aperitif. Wir hatten keine Eile, sondern liessen das volle Leben der Stadt an uns vorbeiziehen. Abends suchten wir uns ein Restaurant ein wenig ab vom Trubel und probierten die Pasta, dazu ein kühles Glas Wein. Danach war schon blaue Stunde, ich drehte noch eine Runde im Zentrum, dann klemmten wir uns auf die Drahtesel und kehrten zu unserem Übernachtungsplatz zurück. Früh am nächsten Morgen machten wir uns auf den Weg zur nächsten Station. Unser Ziel war San Felice, ein kleiner Ort auf der Südwestseite des Gardasees. Der Campingplatz lag an der Bucht gegenüber von Manerba, wir konnten auch unser morgendliches Schwimmen wieder aufnehmen. Dann war der See noch ruhig und die Luft klar.
Wir erkundeten die unmittelbare Umgebung mit dem Rad und ich durfte mich auch öfter mit dem Rennrad in die Berge des Hinterlands absetzen, wo es (wie die ganze Gegend) wunderschön war. Ganz in der Nähe, gegenüber der Bucht, war der „Rocca di Manerba“, ein guter Aussichtspunkt und ideal, wenn man den Sonnenuntergang mit einem passenden „Sundowner“ zelebrieren will. Dort befindet sich auch ein kleines Museum mit einer liebevoll zusammengestellten Sammlung über Geschichte und Geologie der Gegend. Weil die verkehrsmässige Situation ähnlich wie auf Elba war (viel Verkehr und keine Radwege) mietete ich wieder für ein paar Tage einen Roller, diesmal „in Style“ eine 125er Vespa „Primavera“.
Damit erweiterten wir unseren Aktionsradius erheblich. Wir fuhren auf Nebenstrecken durch die Dörfer und hielten an, wo es uns gefiel. Zum Beispiel am Idro-See, der eher Bergsee-Charakter hat. Wir überlegten sogar kurz, nochmal umzusetzen, denn das war mehr unser Ding als unten am Gardasee. Aber da wir sowieso vorhatten, auf dem Rückweg noch in den Bergen Station zu machen, liessen wir’s, zumal wir mit unserem Stellplatz zufrieden waren. Wir begegneten mehrmals unbeabsichtigt der Mille Miglia und schauten uns den Autokorso der Classic Cars an, die durch die kleinen Orte im Süden das Gardasees fuhren.
Das Fahren mit dem Scooter dort ist verkehrstechnisch günstiger, denn durch die Orte am Gardasee ist im Grunde ein Dauerstau. Jeder findet es normal, wenn einspurige Fahrzeuge daran vorbeifahren. Wir wollten die „Grotten des Catull“ besuchen, die Halbinsel von Sirmione war für Autos wegen Überfüllung gesperrt und die Polizia wies jeden ab, ausser Roller. Den parkten wir vor der Skaligerburg und gruselten uns, als uns ein Mahlstrom unzähliger Touristen erfasste und durch den kleinen Ort schob. Interessanterweise war die Ausgrabungsstätte völlig locker besucht. Entweder war Kultur nicht so wichtig oder die kannten schon alle.
Der Name „Grotten des Catull“ ist in zweierlei Hinsicht irreführend: Es handelt sich nicht um Grotten, sondern um die Überreste einer gigantischen römischen Villa, die der Dichter Catull höchstens in einer frühen Version gesehen hat (wenn überhaupt). Dennoch lohnt es sich, die Stätte und das dazu gehörige Museum zu besuchen. Die Proportionen der Villa sind mehr als beeindruckend und man bekommt einen Einblick in das Ehrfurcht gebietende hohe Niveau, das römische Baukunst schon vor 2000 Jahren erreicht hatte.
Von San Felice bis Verona sind es etwa 60 km und das ist wunderbar mit einem Roller zu bewältigen. Vor allem, wenn man es nicht eilig hat und entspannt über Nebenstrecken fährt. Warmes Wetter, Sonnenschein, zu zweit auf der Vespa durch Italien: Mehr Klischee geht nicht, aber es war schön. Wir fuhren völlig stressfrei bis zur Portoni della Brà, stellten den Roller in einer der dort üblichen Fischgrät-Markierungen für Zweiräder ab und erkundeten die Altstadt auf bewährte Weise: Da wir keinerlei Zeitdruck hatten, liessen wir uns treiben. Es waren dort natürlich ähnlich wie in Bologna viele Touristen wie wir, aber es war nicht so abartig voll wie in Sirmione.
Wir kamen über die Piazza Brà direkt auf die Arena zu. Nachdem wir schon einige römische Arenen gesehen hatte, wollten wir sie nicht besichtigen. Ganz was anderes wäre gewesen, sie in Gebrauch zu sehen, aber so ein Konzertbesuch hätte länger geplant sein müssen (und ich glaube, es war auch gerade Spielpause, etwas Neues wurde vorbereitet). Wir erreichten die Piazza delle Erbe und mussten eine gewisse Reizüberflutung abwehren. Licht, Raum, Renaissance: So viele Eindrücke nur an diesem Ort. Wir lasen uns in die Stadtgeschichte ein und erfuhren, was z.B. der venezianische Löwe dort zu suchen hatte.
Durch enge Gassen kamen wir zur Etsch und folgten ihr, um über die Ponte di Castelvecchio wieder in die Stadt zu gelangen. Gleich „um die Ecke“ war der „Arco dei Gavi“, ein römischer Triumphbogen, der in der Renaissance als Stadttor diente. Auf Geheiss Napoleons wurde er abgerissen und später an dieser Stelle wiederaufgebaut. Gleich nebenan war ein kleines Restaurant abseits der eigentlichen Touristenströme, wo wir in Ruhe (und ausgezeichnet) aßen. Danach orientierten wir uns wieder Richtung Zentrum und stiessen nochmal auf römische Relikte, die Porta Leoni, ein weiteres Stadttor und freigelegte Grundmaueren von „Verona Vecchia“.
Ganz in der Nähe wunderte ich mich über einen Eingang zu einem Innenhof, der sogar von der Polizei „reguliert“ wurde. Dann fiel’s mir ein, es war das „Casa di Giulietta“ und alle strömten in den Hof, um den „Balkon der Julia“ zu sehen. Dass das Ding nicht authentisch ist (2004 angebaut, eigentlich ein Sarkophag) interessiert offenbar keinen, es wird sogar der absolute Blödsinn verbreitet, Shakespeare sei dadurch zu dem Stück inspiriert worden. Auf Google Maps „Casa di Giulietta“ anklicken, und da steht’s. Willkommen in der Welt der Fake-News. Passend zu dem Balkon gibt es eine Hollywood Romantik-Schnulze („Briefe an Julia„), die im modernen Verona spielt und kein Klischee auslässt. Da kommt es bestimmt jedem/r Italiener/in hoch, und nicht nur denen.
Im Slider: Impressionen aus Verona, mit Leica Q3
Irgendwie zog es uns immer wieder auf die Piazza delle Erbe und die Piazza dei Signori zurück. Wir bestiegen den Torre dei Lamberti und blickten über die Dächer von Verona, über die Etsch bis zu den grünen Hügeln mit dem Santuario della Madonna di Lourdes. Danach bewegten wir uns langsam wieder Richtung Portoni della Brà. Es war nicht unser Ziel gewesen, systematisch jede Sehenswürdigkeit „abzuarbeiten“, vielmehr liessen wir (wie schon in Bologna) die Eindrücke und das Ambiente auf uns wirken. Darum gibt es auch einen Grund, zurückzukehren, es gibt immer noch was zu entdecken.
Wir hatten noch ein paar Tage Urlaub und nach dem touristisch stark frequentierten Gardasee brauchten wir etwas, um akut zu kompensieren. Es ist sicher etwas egozentrisch, wenn man selbst Tourist ist und erwartet, nur mit wenigen teilen zu müssen. Andererseits gibt es viele schöne Gegenden, wo nicht alle zwanghaft wie eine Heuschreckenplage biblischen Ausmasses einfallen. Ich geniesse z.B. immer meine Rennradtouren durch beeindruckende Landschaften im Zentralmassiv oder den Cevennen, wo ich auf zig-Kilometer keine Menschenseele treffe. Wir suchten uns darum jedenfalls einen abgelegenen Campingplatz hoch im Trentino, im Val Malene.
Vom Platz aus führten diverse Wanderwege in die umliegenden Berge. Das die Strecke einer Etappe des Giro d’Italia direkt dort vorbeigekommen war, erkannte ich sofort an der rosa Beflaggung, die noch hing. Es ging hoch zum Passo Brocon, ich fuhr die Strecke am nächsten Tag. Nach dem Pass gibt es eine rasante Abfahrt Richtung Castello Tesino, von wo man über Pieve wieder in Val Malene kommt. Leider war das Wetter sehr trüb und es regnete zum Teil, so dass ich die Q3 unterwegs mehr zu dokumentarischen Zwecken aus der Tasche nahm.
Bei wesentlich besserem Wetter machten wir Wanderungen zu Wasserfällen unterhalb der Malga Sorgazza und an einem anderen Tag das Val Tolva hinauf zum Aseni-See. Da war es tatsächlich so, dass wir den See komplett für uns allein hatten. Wie zuvor erwähnt, klingt egozentrisch, aber ist es nicht schön, dass es sowas auch noch gibt? Es herrschte totale Stille, bis auf die Geräusche der Natur. Wir blieben dort eine ganze Weile, zumal wir uns ein Picknick mitgebracht hatten. Es war der letzte Tag unseres Urlaubs, und er war perfekt.
Am nächsten Morgen kurvten wir Richtung Brenner und dann nach Norden. Das Gute war: Dort hatten wir den Sommer noch vor uns.
Alle Bilder scharf von vorne bis hinten und im Falle des ersten Bildes der Serie leider unscharf von vorne bis hinten. Das liegt dann wohl an der nicht mehr zeitgemäßen Scharfstelleinrichtung der M 11 P. Schade, einige Bilder mit selektiver Schärfe hätten der Serie gut getan. Der sehr gut bewältigte hohe Kontrastumfang einiger Bilder hat die Stimmung wunderbar eingefangen.
Ich weiss ehrlich nicht, welches Bild unscharf sein soll? Meinen sie das Beitragsbild? Wird bei der Webauflösung auf dem Desktop vielleicht zu stark „aufgeblasen“ (und ist aus der Leica Q3). Das erste Bild aus der M11-P ist das aus Vinci (vom Ausssichtsturm).
Mit der unzeitgemässen Scharfstelleinrichtung treffen allerdings Welten aufeinander: Eine Frage des persönlichen Geschmacks.
Selektive Schärfe… bei 90% Landschafts- und Stadtbildern kaum angebracht. Aber wenn Sie die suchen, schauen Sie mal in die Beiträge zur Bühnenfotografie. Da sieht man auch gleichzeitig, wie man mit nicht mehr zeitgemäßer Scharfstellung klar kommt… die Webseite heisst „Messsucherwelt“, das muss irgendeinen Grund haben…
Eine wunderbare Reportage! Zum Schmunzeln: der Modus der Zielfindung.
Bella Italia!
Vielen Dank für den aufwendigen Bericht, fürs mitnehmen und für die vielen tollen Fotos!