…oder: Fifty shades of  legal gray

Letzten Sonntag machte ich einen Spaziergang durch die Stadt mit dem Ziel, das Heimatmuseum zu besuchen, dessen Ausstellung neu sortiert und präsentiert worden ist. Das letzte Mal, als ich dort war, hatte es noch den Charme einer Lagerhalle voll Gerümpel, jetzt haben engagierte Mitglieder des Heimatvereins Ordnung ins Chaos gebracht. Eine schöne Sammlung, die Eindrucksvoll Einblicke in die Geschichte Vlothos gibt. Aber davon handelt dieser Beitrag gar nicht.

Sondern, als ich auf dem Weg dorthin den großen Parkplatz unter der Weserbrücke queren wollte, war dort der Flohmarkt, der alle vier Wochen stattfindet. Den hatte ich eigentlich gar nicht auf dem Schirm. Im Schutz der großen Brücke ist diese Veranstaltung recht wetterbeständig. Am Samstag war es mild und gelegentlich sogar sonnig, zwischen den Ständen drängten sich die Besucher, kurz gesagt, es war proppenvoll. Für mich geht von einer solche Ansammlung von Paraphernalia  unterschiedlichster Art von gar keinem bis hohem Gebrauchswert aus allen möglichen Epochen eine gewisse morbide Faszination aus. Ich machte eine Runde an den Ständen vorbei, natürlich immer mit Blick auf alte Kameras. Davon gab es auch einige, aber alle nur schrottreif, nichts Besonderes. Ich rechnete aber auch nicht wirklich damit, plötzlich eine Leica II für fünf Euro zu finden, so ahnungslos sind die professionellen Händler nicht.

Jeder, der ab und zu mal auf diese Seite schaut, weiss, dass ich mich oft und gern auf französischen Märkten herumdrücke, um das Ambiente einzufangen. Auf dem Flohmarkt fragte ich mich folgerichtig: Warum nicht mal Zuhause die Stimmung festhalten? Ich hatte an dem Tag meine persönliche „one camera, one lens“-challenge und war einfach mit der M10 und 35er Summilux unterwegs, aber das war ja zufällig die ideale Besetzung für den Job. Die Q wäre das selbstverständlich auch, die ist bei mir keineswegs in Ungnade gefallen, aber die M10 ist zur Zeit halt angesagt. Die Brennweiten zwischen 24 und 35mm sind für solches Gedränge meiner Meinung nach optimal, 50mm geht noch gerade, ist mir aber schon zu lang, wenn ich die Auswahl habe. Das heisst nicht, dass man nicht mit jeder Brennweite bis vielleicht 75mm zurechtkommt, wenn man sich darauf „einschiesst“.

Street-Fotografie

Ich ging also auf Motivsuche und liess mir Zeit. Das heisst, ich benutzte keinen Zonenfokus bei Blenden zwischen f/5.6 und f/8 oder schoss gar aus der Hüfte, sondern nahm Punkt-Fokus bei Blende f/1.4, die den Charakter des Summilux-Objektivs besonders hervorhebt. Die ein bis zwei Sekunden, die ich vom Hochnehmen der Kamera ans Auge bis zum Auslösen für’s fokussieren brauchte, war mir das wert. Ich wollte auch gar nicht „stealthy“ unterwegs sein. Trotzdem bemerkten die meisten gar nicht, dass ich fotografierte, oder der Formfaktor der Kamera war für sie nichts Bedrohliches. Dass eine Leica-M (egal, ob analog oder digital) für den Job ideal ist, versteht sich von selbst. Wer das wegdiskutieren will, kann sich auch gleich der Trump-Administration anschliessen, die sich auf solche Sachen spezialisiert hat.

Die Lichtverhältnisse waren recht extrem, unter der Brücke sehr schattig, fast dunkel, heller Sonnenschein davor. Die M10 stand auf ISO-Auto, Belichtungsautomatik und Blende f/1.4. Ich musste mich nur um’s fokussieren kümmern. Die resultierenden Fotos liegen alle zwischen 100 und 500 ISO, die dynamische Breite der Dateien mehr als ausreichend. Alle Highlights erhalten, die Schatten kann man ziehen, bis es fast ungesund aussieht. Ein Wort zum Post-Processing: Alle Fotos als DNG in Lightroom importiert, dort lediglich Tonwertkontrolle. Das heisst: Belichtungskorrektur bei Bedarf, meist die Highlights etwas zurück. Weiss- und Schwarzpunkt kontrollieren, Kontrast null, dafür Tonkurve auf „starken Kontrast“. S/W-Konvertierung bei automatischer Schwarzweissmischung der Farbkanäle. Keine Profilkorrektur der Linse oder Rauschunterdrückung (die ist bei den ISO-Werten sowieso blödsinnig, im Gegenteil, ich habe überlegt, ob ich etwas Körnung zufügen soll, entschied mich aber dagegen).

Street-Fotografie

Justitia ist blind und hat deswegen nicht viel für Fotografen übrig…

Noch während ich so beschäftigt über den Flohmarkt schlenderte, kamen mir wieder Bedenken, die ich schon seit längerem habe, wenn ich Fotos von fremden Menschen mache, sei es in Vlotho oder in anderen Städten. Zuhause recherchierte ich die rechtlichen Rahmenbedingungen für das, was im wesentlichen unter „Street“-Fotografie läuft. Das hatte ich schon mal vor ein paar Jahren gemacht und fand keine tiefgreifenden Änderungen. Anmerken sollte ich noch, dass das, was ich hier berichte, für Deutschland gilt, und in anderen Staaten durchaus nicht genauso gelten muss. Im übrigen behalte ich mir vor, kein Vertreter der Rechtswissenschaften zu sein, also meine Interpretation des geltenden Rechts mit Vorsicht zu geniessen ist.

Die eine grosse Erleichterung ist natürlich die „Panoramafreiheit„, die allerdings nicht per se einen Freibrief für Straßenfotografie darstellt. Nur zur Erinnerung: Dieser Paragraf erlaubt das fotografieren von bleibenden Werken an öffentlichen Wegen. Wenn sich zufällig Personen darauf befinden, muss nicht die Einwilligung jedes einzelnen Rechteinhabers eingeholt werden. Aufgepasst: Hilfmittel, andere Blickwinkel oder Perspektiven zu erlangen als von den vorhandenen öffentlichen Wegen möglich, sind nicht erlaubt. Eine Leiter oder ein Teleobjektiv sind z.B.unzulässig. Luftaufnahmen sind auch nicht erlaubt, und ich denke da an die populären Dronen. Genauere Definition und Einschränkungen finden sich hier.

Persönlichkeitsrecht vs KUG

Aber bei der Street-Fotografie lichtet man ja oft kleine Gruppen oder gar einzelne Personen ab, wie sieht es denn da aus? Kurz gesagt, schlecht für den Fotografen. Er muss zwingend das Persönlichkeitsrecht der fotografierten Person(en) beachten. Korrekterweise müsste jeder vor Verwendung der Fotos gefragt werden, ob er damit einverstanden ist, evtl. sogar, bevor überhaupt ein Foto gemacht wird! Jeder, der mal in Städten unterwegs war und Strassenszenen aufgenommen hat, weiss, dass das meistens unrealistisch ist, ja, die Strassenfotografie als Kunstform konterkariert, weil viele Szenen gar nicht erst zustande kommen, fragte man die Beteiligten vorher. Auf der Webseite „Recht am Bild“ fand ich den interessanten Fall eines Berliner Strassenfotografen, der eine gut gekleidete Frau vor dem Berliner Bahnhof Zoo fotografierte, das Foto auf einer Ausstellung präsentierte und dafür eine Klage auf Unterlassung und Schmerzensgeld kassierte, da die Frau sich in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt fühlte.

Der Fotograf entfernte das Bild, vor Gericht wurde das Persönlichkeitsrecht der Frau bestätigt, aber kein Schmerzensgeld verhängt, weil sie in einer normalen Alltagsszene, in keiner Weise herabsetzend oder entwürdigend dargestellt war. Der Fall ist relativ aktuell und geht jetzt in die zweite Instanz. Die Kunstfreiheit steht hier im Konflikt mit dem Persönlichkeitsrecht. Der Fotograf beruft sich zu Recht auf die lange Tradition der Strassenfotografie mit den Ikonen H.C.B. oder Gary Winogrand und die Dokumentation der Zeitgeschichte (wie können sonst künftige Generationen erfahren, wie es 2017 auf den Strassen ausgesehen hat?).

Die haben bestimmt nichts dagegen, abgelichtet zu werden, was nicht unbedingt für den misstrauisch dreinblickenden Herrn hinten rechts gelten muss…

Was folgere ich für mich und meine Flohmarkt-Fotos daraus? Zunächst möchte ich zum wiederholten Male anmerken, dass ich mich nicht als „Street-Fotografen“ sehe. Meine Berichte aus Städten oder von einem solchen Markt verstehe ich als Reportage, die nicht als einzelnes Bild, sondern in ihrer Gesamtheit wirkt. Diese Unterscheidung ist natürlich für die Beachtung des Persönlichkeitsrechts irrelevant. Das bedeutet: Wenn eine der abgebildeten Personen verlangt, das betreffende Foto von der Webseite zu entfernen, werde ich das sofort befolgen. Schlimmere Konsequenzen kann ich hoffentlich mit der Begründung abwenden, dass ich keine Möglichkeit hatte, alle zu fragen. Ausserdem gibt die Reportage als solche den Flohmarkt als (Zeit-)Geschehen wieder, das für Leute informativ ist, die sich für das öffentliche Leben in der Stadt Vlotho  interessieren. Einzeln hervorgehobenen Personen dienen lediglich dazu, den Gesamteindruck der Bilderserie zu vervollständigen. Ausserdem wird selbstverständlich keiner in herabwürdigender Weise dargestellt.

Trotzdem… ein mulmiges Gefühl bleibt immer. Unterm Strich bleibt am Ende: Falls möglich, fragen… oder Daumen drücken, dass es keinem ganz übel aufstösst, auf einem Foto aufzutauchen.

3 Kommentare

  1. Hallo Claus
    Danke für deinen Bericht. Auch hier in der Schweiz könnte es Probleme geben. Aber Thomas Leuthard, einer der bekanntensten „Strassenfotografen“ betont immer, wo kein Kläger, kein Richter. Er hatte aber noch nie solch einen fall uns sonst, halt einfach löschen. Ich empfinde aber gleich, wenn es um Reportagen wie z.B. dein Flohmarkt geht. Ich denke auch immer, wie ein Kriegschauplatzreporter arbeiten würde oder ein Zeitungsreporter, der eine Demo fotografiert, müsste er immer die Leute fragen, ob dies OK sei. Dies nur so am Rande. Ich halte es in der Schweiz so, dass ich diese Bilder so Allgemein wie möglich halte und trotzdem das drauf habe was ich möchte (siehe Beispiel „Bad Omen“ unter meinen Streets, gemacht mit der M10) und, falls wirklich mal jemand nachfragt, das Bild zeigen und anbieten, es per Mail zuschicken. In England hingegen gibt es zum Glück bisher in dieser Richtung keine Einschränkungen. Wie du schön sagst, vorher fragen macht die ganze Szene kaputt.
    Ich denke aber, dass es den meisten Leuten egal ist, sie es gar nicht wahrnehmen. Die Ausnahme bestätigt aber die Regel. Es sind meist eh ein paar verstaubte Politiker, welche sich mein Mikadospiel im Büro beschäftigen und der, der verliert, irgend einen neuen Blödsinn ausdenken darf. Man denke da zum Beispiel an die Reglementieren, wie eine Banane gekrümmt sein muss oder wie lang und gerade eine Gurke sein sollte…..

  2. Zu meinem Zweitgehäuse gab es ein Buch (Leica M, Hohe Schule der Fotografie) dazu. Im ersten Kapitel meint der Verfasser treffend:
    „… Natürlich verlangte die Fotografie auf Tuchfühlung, damals wie heute, eine besonders stark ausgeprägte Persönlichkeit des Fotografen. Schließlich ist er es, der auf sein Motiv zuzugehen hat. Völlig offen, nicht hinterhältig. Er wird weder gerufen, noch läßt er bitten. …“
    „… Die Meßsucher-Kamera drängt den Fotografen, sich quasi aus dem Zentrum heraus zu artikulieren. …“
    Solche Szenen fange ich auch heute noch mit meinem Summicron-M 1:2/35 mm unter Verwendung von höher empfindlichen Filmen (Ilford HP5 Plus oder Kodak Portra 160/800) ein. Alles ohne Stativ und soweit vertretbar mit Blende 8, was einer hyperfokalen Distanz von 5 Metern entspricht und etwa bei einer Distanz von 3 m rechnerisch 519 cm an Schärfentiefe rund um die Fokusebene bei einem Zerstreuungskreis von 30 µm als Puffer bietet. Gerade beim Kleinbildformat bemühe ich mich aus Qualitätsgründen formatfüllend zu belichten, um später Ausschnittsvergrößerungen oder sonstige geometrische Korrekturen bei der Ausbelichtung zu vermeiden.
    Für lebendige Schnappschüsse bleibt die Leica M mit optischem Meßsucher und WW Optik für mich seit über drei Jahrzehnten die erste Wahl …

  3. Hallo Claus,

    was das Post Processing angeht, so gehe ich wie von Dir beschreiben bei solch einer Art der Aufnahmen auch vor. Hier wird relativ wenig an den DNG geändert. Bei Fotografien welche nach anderen Gesichtspunkten – so der künstlerischen Gestaltung – in schwarzweiß umwandle, bediene ich mich durchaus noch dem Silver Efex II wie von Dir mal beschrieben vor. Jedoch findet das bei Bedarf dann in einem Gesamtentwicklungsprozess mit LR und PS statt. Hier geht es mir dann um das Herausarbeiten von Nuancen. Nun diesem Punkt haben wir sicherlich unterschiedliche Sichtweisen und Ansätze, welche beide ihre Berechtigung haben. In allen meiner eigenen Herangehensweisen des Fotografierens stelle ich Überglücklich fest, mit der M-P (240) die richtige Kamera einzusetzen. Sie läßt mich nichts, absolut nichts, vermissen! ☺️

    Und zur Stereofotografie läßt sich wohl wirklich nur raten, vorsichtig mit den Fotos umzugehen. Ich sehe dass wie Du und kenne auch den aktuellen Prozess wie benannt. So passiert es auch relativ selten, dass auf meinen Fotos wie im aktuellen Blogbeitrag Personen zu sehen sind. Hier erfolgte die Zustimmung durch direkten Blickkontakt und einem freundlichen „Abnicken“, gefolgt von einem Obulus.

    Abschliessend muss ich doch ernüchternd feststellen, dass ich wohl entschieden zu wenig fotografiere. Auch zwei Sekunden komme ich noch nich 😉

    Herzliche Grüße,
    Martin

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