Eigentlich sollte dieser Blogeintrag nur ankündigen, dass ich ein Tutorial über Langzeitbelichtungen, das es schon auf der alten Webseite gab, neu formuliert und hier eingestellt habe. Aber als ich das Folgende schrieb, merkte ich plötzlich, dass mehr als nur ein Teaser daraus wird. Darum ist das Beitragsbild auch eine Langzeitbelichtung, und nicht zwangsläufig das, was als “perfektes Foto” gelten würde. Die Frage ist noch, ob ich so etwas überhaupt habe oder wo ich es her bekommen könnte.
Fotografie und Technik – Ansichten eines Zynikers
Es besteht kein Zweifel daran, dass Fotografie einen technischen Aspekt hat. Es besteht allerdings erheblicher Zweifel meinerseits, welchen Stellenwert die angewandte Technik beim Endergebnis – dem Foto – hat. Der Fotograf kann wohl kaum davon ausgehen, das der unbedarfte Betrachter sofort erkennt, unter welch komplizierten technischen Bedingungen ein bestimmtes Foto möglicherweise entstand und darum vor Ehrfurcht in die Knie geht. Es wird für ihn (dem Betrachter) nur dann interessant, wenn es einlädt, näher in Augenschein genommen zu werden. Vielleicht, weil das Motiv, Perspektive oder Licht aussergewöhnlich sind, es eine Geschichte erzählt oder eine Botschaft vermittelt, einen “Wow-Effekt” hat, die Bildelemente raffiniert angeordnet sind… solche Dinge und noch viel mehr sind es, die ein gutes Foto ausmachen.
Die Annahme, ein technisch perfektes Foto als Qualitätsmerkmal allein reicht schon aus, ist ebenso naiv, wie zu glauben, dass das Auswendiglernen des Anatomieatlas einen zum fähigen Chirurgen macht.
Und dennoch wimmelt es auf Foto-Portalen von “perfekten” Fotos, die einem Tränen der Langeweile in die Augen treiben und sie (also, die Portale, nicht die Augen) zumüllen. Nun bin ich selbst nicht frei von der Sünde, solche Ablichtungen produziert zu haben (wer selber ohne Fehl, der werfe… zuerst die Flinte ins Korn… oder so), ein wesentlicher Teil persönlicher Erinnerungen basiert darauf. Aber meistens halte ich mich zurück, anzunehmen, dass sich die gesamte Menschheit verzehrt, meine Katze oder meinen Hund (so wichtig mir selbst das Fellbündel auch ist) in jeder Lebenslage zu zeigen oder den leeren Horizont von meiner Strandliege aus gesehen. So etwas gehört ins Familienalbum oder den privaten Teil des Portals. Möglicherweise hat es noch ein Gutes als Beschäftigungstherapie für den NSA.
Wenn ich zum Beispiel für jedes Foto, dass unter dem irreführenden Titel “Street” ins Netz gestellt wird und einfach nur vorbeieilende Passanten (aus der Menge gepickt) zeigt, einen Euro bekäme, könnte ich meinen Beruf an den Nagel hängen. Davon abgesehen, dass das Veröffentlichen von Bildern einzelner Personen ohne deren Zustimmung einen problematischen rechtlichen Aspekt bekommt, hat das Ganze bestenfalls erkennungsdienstliche Relevanz. Es gibt eine ganze Menge Bilder (ungleich Street) von Menschen auf meiner Webseite, aber entweder wissen die Abgebildeten darum und sind damit einverstanden, oder es fällt unter den Panoramaparagraphen (man braucht nicht jeden, der am Eiffelturm steht, zu fragen, ob man das Bild auf die eigene Webseite setzen darf).
Absurd?
Es mag absurd erscheinen, dass all dies Gezeter über die Unwichtigkeit der Technik ausgerechnet von einem kommt, dessen Webseite eine Ausrüstung glorifiziert, die höchste Perfektion in dieser Hinsicht möglich macht. Aber man darf mich nicht missverstehen: Die Technik, richtig eingesetzt, kann den Prozess der Belichtung leichter machen und uns bei der Erlangung unserer Ziele erheblich weiterbringen. Bei einer Leica M (oder Q, oder SL) tritt der technische Aspekt in den Hintergrund und lenkt nicht von der Bilderstellung ab, weil sie dem alten Designergrundsatz “Form follows Function” beherzigt. Ebenso kann man die von Dieter Rams erstellten Regeln anwenden, unter anderem: “Gutes Design macht ein Produkt verständlich.” Für mich macht das diese Apparate zum idealen Werkzeug. Und aus demselben Grund den überwiegenden Teil der anderen Kameras zu Elektroschrott.
Aber “Einfachheit” möchten viele (vor allem Hobby-) Fotografen gar nicht haben, nein, sie leben erst richtig auf, wenn’s vor allem in der Technik immer komplizierter wird und man den geistig minderbemittelten Rest der Menschheit ob dieser technischen Finessen vor Ehrfurcht erstarrt mit Stummheit schlagen kann. Diesen “Gearheads” ist zu verdanken, das die Industrie deren Verlangen seit den 80er Jahren folgt und es heute Knipskästen gibt, gegen deren Bedienungsanleitungen sich Tolstois “Krieg und Frieden” im Verhältnis wie eine Kurzgeschichte ausnimmt. Dpreview kritisierte die Leica Q, weil sie zu wenig frei belegbare Knöpfe aufweist! Leute, schaut mal genau hin und fragt euch, ob der Kaiser möglicherweise gar keine Kleider anhat?
Falls einer dieser Gearheads in der Lage war, diesem Text bis hierhin zu folgen, ohne dass ihm dabei das Hirn ausgebrannt ist wie einem Sensor, der bei f/1.4 und 30 Sekunden Belichtungszeit direkt auf die Mittagssonne gerichtet wurde… dann sollte er an dieser Stelle aufhören zu lesen, um die letzten paar verbleibenden Nervenzellen zu retten, die dann wenigstens ausreichen, um Kommentare auf Dpreview abzugeben oder als Troll in einem Forum teilzunehmen. Selbst wenn es nicht mehr genug Synapsen sind, zu verhindern, dass er sich jedes Mal bei betätigen des Auslösers in die Hose pinkelt.
Unbedingt sollte er sich, bevor er weiterliest, eine Papiertüte zum Rückatmen bereitlegen, denn das Folgende könnte ihn zu einer fatalen Hyperventilation verleiten: Ein Foto ist nämlich nur von drei Parametern abhängig, die man einstellen muss! Blendenöffnung, Belichtungszeit und Lichtempfindlichkeit des Sensors (ISO) oder Films (ASA). Shocking indeed!
Unfassbar, was Canikonsonysonstwer aus diesem simplen Umstand gemacht hat. Vergleicht man eine Nikon F2 mit den heutigen Spitzenmodellen, ist das wie die Verwandlung von Dr. Jekyll in Mr. Hide.
Jedenfalls ist das mit den Langzeitbelichtungen ein Thema, bei dem auch die Technik-Freaks auf ihre Kosten kommen, strotzt es doch vor technischen Details, die es zu beachten gilt. Wem mein Gefasel über die vermeintlich wichtigeren Aspekte bei Fotos auf die Nerven ging, kann hier akut dekompensieren, denn es geht nur darum, wie man lange den Verschluss aufhält. Was vor der Linse ist, ist sekundär… ausser, man legt Wert darauf, dass andere sich das Ergebnis ansehen wollen.
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