
„Ein gutes Foto entsteht nicht unter Zeitdruck, sondern mit Zeit – und Druck, nur auf den Auslöser.“
Almut Adler
2. Teil von Volker Brockmann
Dieses Zitat passt gut zum Fotografieren mit einer Rolleiflex, denn Reportagen entstehen heute mit anderen Kameras. Es beschreibt treffend, warum ich sehr gerne (aber nicht nur) analog fotografiere – und das am liebsten im Mittelformat. Beginnend mit dem Mamiya M645-System und einer Minolta Autocord I bin ich momentan bei einer Rolleiflex T aus der ersten Serie (ca. 1960 gebaut) angekommen und erfreue mich am 6×6-Format und am Lichtschachtsucher. Eher zufällig haben mein Freund Claus und ich nun beide eine.
Das Prinzip der TLR:

Der Strahlengang in einer Rolleiflex.
Die Idee mit dem Sucherobjektiv: Genial, aber einfach, robust und kompakt. Der Weg zum Weltruhm des Herstellers ganz ohne einen empfindlichen und aufwendigen Schwingspiegel. (Den machte die Nikon F ab 1959 zum Erfolg und in der Folge den TLR’s das Überleben schwer.) In einer Rolleiflex und in den zahlreichen Nachbauten werden beide Objektive auf einem gemeinsamen Schlitten zum Fokussieren verschoben. Der feststehende Spiegel projiziert das Bild des oberen Objektivs auf die Mattscheibe und der Fotograf schaut von oben in den Lichtschacht.

Lichtschacht abgenommen und Mattscheibe hochgeklappt
Vorteile:
- Der Zentralverschluss arbeitet leise und vibrationsarm. Belichtungszeiten von 1/15 s sind frei Hand bei guter Kamerahaltung noch machbar. Da geht mit einem 800er Film bei Low Light schon einiges! Sehr hilfreich bei Schwarz-Weiß-Film in Verbindung mit Filtern. Bei meiner 645er mit 80 mm – Objektiv sollten es mindestens 1/125 s sein. Das macht also drei Blenden Unterschied. Wer mit Blitz arbeitet, freut sich über die Synchronisation aller Verschlusszeiten.
- Das Sucherbild ist wie beim Messsucher stets sichtbar und wird bei der Verwendung von Farbfiltern nicht verfälscht.
- Mit der verbauten „Helleinstellscheibe“ – superhell ist sie für heutige Maßstäbe nicht – lässt sich ordentlich arbeiten und zusammen mit der Sucherlupe präzise fokussieren, sofern kein Streulicht in den Sucher fällt. Dazu später mehr.
Nachteile:
- Voluminöser als ein 6×6 „Klappfalter“.
- Nahaufnahmen sind nur mit Vorsatzlinsen zum Ausgleich des Abstandes zwischen Sucher- und Aufnahmeobjektiv möglich. Bis zum kleinsten Aufnahmeabstand von 0,9 m ohne Zubehör wird das Sichtfeld aber durch ein automatisches Verschieben der Mattscheibe beim Fokussieren korrigiert. Das gab es wohl nur bei Rollei…
- Im Gegensatz zur SLR ist keine visuelle Kontrolle der Schärfentiefezone (durch Abblenden) möglich. Als Zubehör wurde eine einstellbare Irisblende für das Sucherobjektiv angeboten.
- Festbrennweite. Wenn man das als Nachteil werten möchte …
Rolleiflex T und Rolleiflex F – ein rein subjektiver Vergleich
Die „T“ war das meistgebaute Modell. Die Mittelklasse zwischen der günstigen Rolleicord und den legendären F-Modellen mit ihren zusätzlichen feinmechanischen Finessen. Für den Sammler sind die „F’s “ sicherlich erstrebenswert, aber wie groß sind die Unterschiede für den heutigen Benutzer?
In der „T“ ist üblicherweise ein Tessar 3,5/75 von Carl Zeiss verbaut, in der „3,5 F“ und „2,8 F“ sind es Zeiss Planare oder Xenotare von Schneider Kreuznach. Die halbe Blende mehr macht bei der Freistellung von Motiven wenig Unterschied (und wenn die Freistellung extrem sein soll, nehme ich die Mamiya mit dem 1,9/80). Erfahrung mit Planaren und Xenotaren habe ich leider nicht. Das vierlinsige Tessar ist jedenfalls ein tolles Objektiv.
Testbild. Ausgewählt wegen der Lichtsituation, nicht wegen des Motivs.

Portra 800 mit Graufilter und Streulichtblende gegen hartes Gegenlicht zur Mittagszeit. Der Stamm war etwa 4 m entfernt. Schöne Freistellung und Kontrast, Offenblende f3,5
Am anderen Ende der Blendenskala:

Porta 400, f22. Die Vlothoer Eisenbahnbrücke wirkt mit mehr Grün noch deutlich interessanter…
Ein Beispiel für das Auflösungsvermögen

Portra 400, f 9,5

Wo ist eigentlich die Spinne zu den feinen Fäden?
Eine „F“ verfügt über eine Filmabtastung, die das Zählwerk automatisch zurückstellt. Bei der „T“ muß man beim Filmeinlegen die Pfeilmarkierung beachten. Eher ein Vorteil, weil komplexe Mechanik entfällt.
Der „T“ fehlen die eleganten und praktischen Stellrädchen zum separaten Verstellen von Blende und Verschlusszeit. Kein Problem, wenn man Zeit für das Bild hat.
Falls ein Belichtungsmesser verbaut ist, dann in beiden Fällen mit Selen-Zelle und damit nach Jahrzehnten meistens nur noch ein „Schätzeisen“. Dann hilft es auch nichts, dass der Belichtungsmesser der F-Modelle technisch elegant gekuppelt ist, während bei den T-Modellen die Werte von Hand übertragen werden müssen. Für genaue Messungen muss also in beiden Fällen ein Handbelichtungsmesser her.
Ich sehe das nüchtern: Für qualitativ hochwertige Fotos braucht man keine „F“, obwohl sie zweifellos ihren Reiz hat.
Störende Reflexionen im Sucher vermeiden
Die Einstellscheibe ist nur auf Ihrer Unterseite matt. Lichteinfall in den Sucher führt zu Reflexionen auf der „Mattscheibe“. Bei einer tiefen Kameraposition in Bauchhöhe kann man das nicht immer vermeiden. Mit Lupe und Kamera am Auge wird es besser, aber bei Seitenlicht und Gegenlicht oft nicht gut genug, um immer exakt fokussieren zu können.
Abhilfe Stufe 1:
Eine einlegbare Sucherabdeckung hilft. Rezept: Man nehme ein lasergeschnittenes rostfreies Blech mit passender Kontur und beklebe es beidseitig mit „Kameraleder“. Fertig! Die Abdeckung lässt sich problemlos in den Sucher einschieben und fällt bei richtiger Ausführung auch dann nicht herunter, wenn man die Kamera auf den Kopf stellt. Das meiste Störlicht wird abgeschirmt und der Aufwand bleibt gering. Und in die Hosentasche passt das Ding auch …

Mit einlegbarer Sucherabdeckung
Abhilfe Stufe 2:
Hierbei kann es nicht schaden, ein Faible für etwas ungewöhnliche Lösungen zu haben … Das zweite Bild im Teil 1 zeigt es: Irving Penn hatte die Idee, es geht heutzutage aber technisch besser.

Mit einem Lupensucher von Hasselblad und dem passenden Adapter von baierfoto.de mutiert die Rolleiflex zur „Rolleiblad“ und jegliches Störlicht ist garantiert weg …
Der Lichtschachtsucher der Rollei ist abnehmbar und der hochwertige Adapter ist eigentlich für die großen und leider auch schweren Prismensucher von Hasselblad und Kiew gedacht. Der Lupensucher ist kein Schwergewicht und hat einen einstellbaren Dioptrienausgleich. Darin liegt der zweite Vorteil: fotografieren ohne Brille! Mit Brille ist bei mir das Sichtfeld beim Blick in den Sucher immer leicht eingeschränkt und Kratzer auf den Gläsern gab‘s bei Lichtschächten immer mal wieder. Das Ganze funktioniert bis etwa -3,5 Dioptrien ohne Probleme. Den Plus-Bereich kann ich nicht bewerten. Nebenbei gibt es einen positiven Effekt bei langen Belichtungszeiten: Die Kamera kann mit beiden Händen vor der Brust gehalten und mit dem Sucher zusätzlich am Kopf abgestützt werden.
Nachteil: Mit dem aufgesetzten Lupensucher benötigt man eine mittlere Colttasche für die Kamera, weil die Bauhöhe um 85 mm wächst. Das Mehrgewicht liegt bei nur 125 g.

Kleines, aber nützliches Zubehör
Die Minolta Autocord hat auf der linken Seite einen Zubehörschuh, der den Rolleiflex-Kameras fehlt. Für eine Wasserwaage funktioniert auch diese Lösung:

Die Wasserwaage auf ein ausgeschnittenes Aluminiumblech setzen und mit einer Stativplatte am Bodengewinde verschrauben. Sie stört nicht und hilft beim Ausrichten.
Weiter Detailfotos der Kamera im Slider:
Im praktischen Einsatz
Die Rolleiflex erforderte für mich keine Umstellung, da sie nicht meine erste TLR ist. Trotz der oder gerade wegen der Limitierung auf die eine Brennweite irgendwo zwischen Normalobjektiv und leichtem Weitwinkel in Verbindung mit dem quadratischen Format ist die Kamera mein momentaner Favorit. Die Aufnahmen aus Bauch-/Brusthöhe wirken perspektivisch etwas anders als heute gewohnt und das quadratische Format gefällt mir so gut, dass ich sogar meine Fuji XT-2 mit 1,4/23 immer mal wieder auf quadratisch einstelle. Dann hat sie einen fast identischen Bildwinkel wie die „T“, denn die Sensordiagonale liegt dann bei 23 mm und die Brennweite umgerechnet auf Kleinbild beträgt 43mm. Die Bildanmutung bleibt aber „digital“.
Die folgenden Aufnahmen wurden im April auf Portra 400 und 800 mit meiner „Neuen“ gemacht. Ich beginne bei alten Kameras immer mit Farbfilmen, um das Leistungsvermögen zu testen. Die Ergebnisse in Schwarz-Weiß sind im Zweifel besser, weil das Farbwiedergabe-vermögen der alten Objektive dann keine Rolle spielt. Alle Scans (von meinfilmlab) in diesem Beitrag wurden nur minimal nachgearbeitet. Geringfügige Helligkeitsanpassung und ggf. leichte Anpassung von Ausrichtung und Bildausschnitt. Mehr nicht. Die Produktfotos sind mit der Fuji XT-2 und dem Makroobjektiv 2,4/60 entstanden. Filmsimulation Acros + Gelbfilter.
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