Adam Lee’s eigene Leica M3

„If it ain’t broke, don’t fix it“ ist ein englisches Sprichwort, das mahnt, nicht an etwas herumzudoktern, das immer zuverlässig lief. Ich habe danach immer mein Leben ausgerichtet. Ich war auch nicht darauf vorbereitet, ausgerechnet Filmentwicklung betreffend eine Ausnahme zu machen. Die letzten Jahre war ich immer erfolgreich, wenn ich den Vorgaben der Hersteller folgte, das hat mich in meinem heimischen Badezimmer durch die Schwarzweissentwicklung, den C41 und E6 Prozess gebracht. Aber mir fiel auf, dass da ein besonderer Aspekt der (analogen) Film-Fotografie ist, der mich zu so einem eingefleischten Befürworter macht: Die Vielfalt.

Von Wechselobjektiven mal ganz abgesehen ist es möglich, jede Art von Foto mit einem einzigen Kamerabody zu machen, sei es eine Nikon SLR oder eine klassische vollmechanische Leica. Jede Film-Emulsion hat einen einzigartigen Look, eine einzigartige Weise, Schatten, Mitteltöne und Highlights zu zeichnen, sein charakteristisches Filmkorn, seine Art auf Licht zu reagieren.

Filmentwicklung

Unendliche Vielfalt

Man sollte meinen, das Ausprobieren von hundert verschiedenen Filmtypen sollte dieses ständige Verlangen „ich-wüsste-gern-wie-das-wohl-aussieht“ in meinem Oberstübchen langsam stillen. Allerdings gibt es eine unendliche Reihe von Variablen, die damit zu tun haben, wie man einen Film entwickelt, die die Endergebnisse drastisch voneinander abweichen lassen können.

Seit meinem Beginn mit Schwarzweiss-Filmen habe ich mich für Ilfords ID-11 entschieden, nachdem ich mit ein-zwei anderen Entwicklern experimentiert hatte . Er ist in vielerlei Hinsicht Kodaks D-76 ähnlich und hat mich nie im Stich gelassen. Ich hab damit alles entwickelt, von Pan-F bis Delta 3200 – ein Entwickler sehr nachsichtig gegenüber ungenauer Belichtung mit einem guten Gleichgewicht zwischen Schärfe und Filmkorn, nicht aufdringlich aber doch voller Charakter.

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Rodinal zur Rettung!

Vor Jahren kaufte ich eine Flasche Rodinal, ein Entwickler berühmt sowohl für seine Schärfe als auch für das klotzige Korn. Doch viele Fotografen haben darüber berichtet, wie sie Rodinal unkonventionell eingesetzt haben und dabei Bilder mit aussergewöhnlichen Mitteltönen, grosser Schärfe und absolut akzeptablem Korn schufen.

Anders als viele andere Entwickler wird Rodinal oft stark verdünnt, zum Beispiel kommt 1:100 in vielen Anweisungen vor. Diese schwächeren Lösungen erzeugen gewöhnlich grössere Schärfe und feineres Korn, und können zur „stehenden“ Filmentwicklung gut beitragen. Das ist eine Methode, die seit dem späten 19. Jahrhundert angewandt wird, dabei wird der Film ungewöhnlich lange mit minimaler Bewegung  in einem (Filmentwicklungs-)Tank belassen.

Wenn man das mit höheren Konzentrationen versucht, wird das Risiko partieller Überentwicklung viel zu groß und zeigt sich in vertikalen Streifen, weil der Entwickler sich in den Transportlöchern des Films festsetzt und dann quer über den Film nach unten fließt. Das Problem wird durch die Verwendung hoher Verdünnungen minimiert.

Bilder, die „stehend“ entwickelt werden, sind gewöhnlich sehr scharf, mit exzellenten Details in Schatten und Highlights, wenn auch von niedrigem Kontrast. Aber weil ich die Negative sowieso scanne oder in der Dunkelkammer Abzüge mache, bevorzuge ich die große Spanne an Tonwerten, die mit niedrigem Kontrast einhergeht, da ich sie entweder in Lightroom oder mit einem entsprechenden Filter im Vergrösserer regulieren kann.

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Das Experiment

Zeit für mich, das mal selbst auszuprobieren. Nach meinem Foto-Walk mit Mike Evans in der Portobello-Road vor ein paar Wochen entschied ich mich, dorthin zurückzukehren, und zwar letzten Samstag, als dort richtig was los war. Ich belichtete eine Rolle Kodak Tri-X bei (gepullten) 200 ASA und dachte, dass diese Rolle vielleicht der perfekte Kandidat für ein Experiment sei (obwohl ich damit vielleicht einige gute Bilder darauf in Gefahr brachte).

Ein anderes interessantes Detail betreffend „stehender“ Entwicklung ist, dass die Einwirkdauer sich nicht mit der Filmempfindlichkeit verändert. Es gibt eine Menge Berichte über gute Resultate bei Entwicklung von 200 und 800 ASA-Filmen im gleichen Tank.

Obwohl die starke Verdünnung von Rodinal das Risiko von Streifendefekten minimiert, beunruhigte mich der Gedanke daran, dass der Film solange unbewegt im Tank blieb. Ich entschied mich daher für eine „halb-stehende“ Entwicklung, indem ich den Film für eineinviertel Stunde ruhen liess und ihn ganz vorsichtig jede Viertelstunde leicht klopfte und den Tank bewegte. Ich bin total paranoid was Luftbläschen angeht, die sich auf der Filmoberfläche festsetzen. Mit vorsichtiger Bewegung meine ich Schwenken des Tanks für 10-15 Sekunden, nicht umkippen.

Die Lösung meiner Wahl war 1:100. Man beachte auch, dass ich mich für einen Edelstahl-Tank entschied, weil die Plastikspindeln in den neueren Paterson-Systemen angeblich Mikro-Strömungen im Entwickler verursachen, die zu Uneinheitlichkeit und überentwickelten Ecken führen.

Weitere Suche im Web offenbarte einen deutschen Fotografen (dessen Beobachtungen in verstreuten Forum-Postings festgehalten waren), der entdeckt hatte, dass das Entwickeln bei niedrigeren Temperaturen feineres Korn erzeugte. Er schlug vor, 16-18° anstelle der gebräuchlichen 20° zu wählen. Da ich die Temperatur in meinem Tank nach Beginn der Entwicklung nicht mehr regulieren kann, entschied ich mich, mit 14° anzufangen, in der Annahme, das die Temperatur innerhalb der Stunde um 3-4° steigen würde.

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Die Fotografien

Voll auf eine Katastrophe eingestellt und war ich von den Ergebnissen überrascht. Ich hatte Kleinbildfilm benutzt, dazu Tri-X, einen Film berühmt für sein Korn. Ich erwartete überwältigendes, harsches Korn und bekam das genaue Gegenteil. Wunderschön, unaufdringlich und mit aussergewöhnlicher Darstellung der Highlights und der feinen Zeichnung in den Mitteltönen, die für Rodinal typisch sind.

Sogar in Szenen mit eintönig grauem Himmel hatten die Negative alles eingefangen, von den unterschwelligsten Abstufungen in den Wolken bis zu den kleinsten Objekten im Schatten unter den Marktständen. Die Abstufungen des natürlichen Lichts und das Korn  in den Hauttönen waren einfach perfekt, das ist eine meiner liebsten Eigenschaften von Schwarzweissfilm.

Die Bilder sind  Scans von meinem Flachbettscanner. Nach meiner Erfahrung zeigen diese Scans niemals die wahre Schärfe der Fotografie und überakzentuieren das Korn im Vergleich zu einem Dunkelkammer-Abzug. Für jeden, der Zweifel an der traditionellen Methode hat, sei empfohlen, dass er sich mal einen guten Abzug ansieht, um analoge Fotografie in ihrer ganzen Stärke wertzuschätzen. Nichts kommt dem gleich. Eine kühne Behauptung, aber ich stehe dazu.

Genau meine Kragenweite

Ich kann’s kaum erwarten, diese Technik weiter auszuprobieren und damit mehr zu experimentieren. Die bisherigen Ergebnisse waren genau nach meinem Geschmack, ich erwarte kaum, dass ich so schnell zu XTOL oder ID-11 zurückkehre. Also nochmal, ich ermuntere jeden, der das liest und noch analog fotografiert, mal mit seinem Entwickler zu experimentieren, oder überhaupt mal zuhause zu entwickeln und dem örtlichen Fotolabor eine Pause zu gönnen. Es ist wirklich nicht mal annähernd so schwierig, wie man glauben würde.

Übersetzt von Claus Sassenberg.

Editors Note: Das ist Adam Lee’s erster Artikel bei Macfilos und wir freuen uns schon auf weitere in der Zukunft, seine Passion für alte Film-Leicas und Analogfotografie betreffend. Zusätzlich zu seinem Interesse an Fotografie ist Adam ein sehr talentierter Gitarrist. Hier ein Video:

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