Heute vor 70 Jahren endete in Köln eine Messe, die Geschichte schrieb. Denn bei der Photokina 1954 stellte die Firma Leitz eine der wichtigsten Kameras der Nachkriegszeit vor. Die Photokina ist Vergangenheit, aber die Leica M3 lebt weiter.

Es ist ein fast vergessenes Jubiläum. Heute vor genau 70 Jahren, am 11. April 1954, schloss eine Messe ihre Pforten, die in die Geschichte eingehen sollte. Die Photokina 1954 in Köln steht nicht nur für den Wiederaufbauwillen eines zerstörten Landes und für das anbrechende Wirtschaftswunder. Sie steht auch dafür, wie sehr die Welt noch in Ordnung war für die damalige optische Industrie in Deutschland. Wofür diese Photokina vor 70 Jahren aber vor allem in Erinnerung bleiben wird: Erstmals hat Leitz dort die Leica M3 vorgestellt (hier ein schöner zeitgenössischer Bericht in der LFI), die Keimzelle des M-Systems, eine lebende Legende, bis heute fast unverändert gebaut. 

Leica M3, wie sie erstmals bei der Photokina 1954 vorgestellt wurde.
Zeitlose Schönheit: Die Leica M3 begründet das legendäre M-System. Bei der Photokina im April 1954 stellte Leitz sie der Weltöffentlichkeit vor.

Ein Pressefoto von der Photokina 1954 erzählt eine ganze Geschichte

Welche Bedeutung diese Neuvorstellung auf der Photokina 1954 für die gesamte Branche und auch die Kölner Messegesellschaft hatte, zeigt ein zeitgenössisches Pressefoto. Zwei Männer in weißen Arbeitskitteln halten ein Modell der M3 in die Höhe, larger than life. Wo eigentlich die Frontlinse des Summarit f=5 cm 1:1,5 sein sollte, ist ein Spiegel angebracht. In ihm sind Ausstellungsbesucher zu sehen. Ein in jeder Hinsicht ungewöhnliches Bild, das ein bemerkenswertes Ereignis dokumentieren sollte. Und zwar ein Ereignis, schon aus damaliger Sicht eines war. Und das eben nicht nachträglich zum historischen Moment (gemacht) wurde. 

Bei der Photokina 1954 halten Männer, vermutlich Leitz-Mitarbeiter, ein überlebensgroßes Modell der Leica M3 in die Luft.
1954: Die photokina etabliert sich als internationale Leitmesse rund der Foto-Industrie. Und die neue Leica M3 ist auch in XXXXL zu sehen. Bild: koelnmesse, mit freundlicher Genehmigung

Tatsächlich kam die M3 dann erst später im Jahr 1954 zu den Händlern. Mit ihrem hellen, großen Messsucher, mit dem man in einem Arbeitsgang den Ausschnitt wählen und scharfstellen konnte, wurde sie trotz ihres stattlichen Preises unmittelbar zum Erfolg. Und sie wird bis heute heiß und innig geliebt. Bis 1967 wurden rund 227.000 Exemplare hergestellt. Dann stellte Leitz den Nachfolger Leica M4 vor. Viele der M3en dürften, zumeist nach der einen oder anderen Überholung, noch erhalten sein. Das spricht einerseits für die Wertschätzung, die diese Kamera genießt. Es gibt aber auch Zeugnis von der Arbeit der Menschen, die sie herstellten, und damit für die Qualität des Produkts. 

An die Photokina 1954 hat Leica nicht besonders erinnert

Das Photokina-Jubiläum ist eher sang- und klanglos über die Bühne gegangen. Leica hätte einen guten Anlass gehabt, an eine fast unglaubliche Geschichte zu erinnern. Wie vor über 70 Jahren mit viel Mut, Fleiß und Leidenschaft eine neue Kamera entwickelt wurde. Wie der Verzicht auf überhitzte Innovationszyklen für das Unternehmen und das M-System Fluch und Segen zugleich war. Wie nach dem Debakel mit der M5 eine mutige Entscheidung diesem ikonischen System doch eine Zukunft gegönnt wurde. Und dass Leica mit der puristischen M-A, der analogen Kamera ohne jede Elektronik, die M3 im Kern bis heute herstellt. 

Sechs Jahrzehnte liegen zwischen diesen Kameras, sonst hat sich nicht viel geändert. M3, Baujahr 1955, und die bis heute erhältliche M-A, hier eine von 2015.

Aus heutiger Sicht war es damals ein durchaus mutiger Schritt für Leitz, denn das Schraubgewinde-System hatte viele Nutzer und Fans, die auch beträchtlich in entsprechende Objektive investiert hatten. Dass diese mit einem Adapter weiterhin genutzt werden konnten und können, hat sicher viel zum Erfolg des M-Systems beigetragen. Zudem wurden sowohl Objektive als auch Kameras mit LTM (Leica Thread Mount, also Leica Schraubgewinde)-Anschluss noch einige Jahre weiterproduziert. Gleichwohl war und bleibt die M3 ein Meilenstein. 

Nach der Leica M3 kam… erst mal die M2, ist das nicht verrückt?

M steht übrigens für Messsucher, das ist gesichert. Über die Bedeutung der 3 gibt es verschiedene Aussagen. Spielt es auf die drei Bildfeldrahmen (für 50, 90 und 135mm) an? Ist es eine Analogie zum damaligen Schraubgewinde-Spitzenmodell IIIg? Oder war die Idee nochmals eine ganz andere? Jedenfalls kamen die Leica M2 (erstmals direkt kompatibel mit einem 35er ohne umständlichen Sucher-Vorsatz und ansonsten etwas einfacher ausgestattet) und die Leica M1 (ohne Entfernungsmesser im Sucher) erst nach der M3. Verstehe das, wer wolle. Für uns ist ja auch interessanter, dass das System lebt. Bis hin zu so interessanten Neuentwicklungen der Pixii aus Frankreich, die ihrerseits ja in direkter Linie zu der vor genau 70 Jahren vorgestellten Leica M3 steht.

Produktbild zeigt Pixii Messsucherkamera (Modell A2572) mit Leica M3
Fast 70 Jahre liegen dazwischen, aber die Idee ist immer die gleiche geblieben: Die Pixii Messsucherkamera und ihr (hier sei der Begriff erlaubt) ikonischer Urahn namens Leica M3.

Freilich, das Jubiläumsjahr „70 Jahre M-System“ hat eben erst begonnen. Ein paar Überraschungen wird es bereithalten. Wie sehr sich in diesen sieben Jahrzehnten die Welt geändert hat, zeigt uns das Pressebild von der Photokina 1954 in vielfacher Hinsicht. Männer mit weißen Arbeitskitteln und liebevoll gebastelte XXL-Modelle kann man sich heute nur noch schwerlich vorstellen. Selbst die Photokina ist Geschichte. 2018 fand sie letztmals statt. In der Welt der Influencer und Hersteller-Roadshows hat sich das klassische Messe-Konzept offenbar überlebt.

Nur die M3, die wird bis heute wohl jeden Tag irgendwo auf der Welt mit einem Film bestückt, um dann ihren Benutzer oder ihre Benutzerin zu gutem Handwerk und eigener Kreativität anzuspornen. 

6 Kommentare

  1. Jörg-Peter

    Und noch ein Nachtrag: Es lohnt sich, das Pressebild von der Photokina 1954 in Ruhe und genau anzusehen. Im Spiegel wird ein weiterer Herr im weißen Kittel reflektiert, der gerade eine Kamera vor dem Auge hat. Dem Bildwinkel nach bin ich mir aber nicht sicher, ob es der Autor des veröffentlichten Fotos ist. Auf jeden Fall ein interessantes Detail!

  2. Lieber Joerg-Peter.
    Dieser Artikel wirft in mir so einige Fragen auf. Mit jeder Entwicklung, die sich ja irgendwie rasant beschleunigt und vielleicht auf Sichtweite sogar kollabiert, soll das Leben für uns einfacher werden. Soll uns entlasten. Aber gab es je eine bequemere Möglichkeit, Auto zu fahren, zu bauen, zu fotografieren als in der epochalen Hochphase der Leica M?
    Film einlegen. Zeit und Blende einstellen, Film belichten. Film abgeben, Abholen, Einkleben. Fertig. Kein Verlieren in Menüs, Reviews, im Psychodruck nach Neuheiten. Die Freiheit, Samstags und Sonntags den Schaufenstern entlang zu bummeln mit der Gewissheit, dass der ausgezeichnete Preis auch der tatsächliche Preis ist. Kein Selbstdarstellungsdrang in der Masse, sondern gemeinsame Ausflüge, wo einer mit der Kamera die Motive in überschaubarer Anzahl von Bildern die Erlebnisse einfing.

    Heute wird uns genau das alles abgenommen. Und ganz nebenbei wird uns das Denken abgenommen. Wird vehement suggeriert, dass uns all das von Vorteil ist, wir mehr Zeit für andere Dinge haben und uns das Leben einfacher wird. Dabei verschwinden soziale Plattformen der Vielfalt wie auch die Photokina. Selbst das Denken verschwindet. Wir sollen es heute Maschinen überlassen, deren Abläufe wir nicht mehr nachvollziehen können und auch nicht mehr wollen… Heute gibt es Hausmessen. Blasen in allen Bereichen des Miteinander, in denen kein Wettbewerb, nur noch Verdrängung stattfindet. Heute gibt es so viele Psychokranke selbst schon im Kindesalter. Uns wird keine Ruhe mehr gegönnt, Bilder müssen schon in Sekunden in Massen entstehen. Bilder, die man sich nicht mehr gemeinsam anschaut…. Umweltfreundlicher ist die Entwicklung auch nicht geworden. Nur wird der Schmutz unsichtbarer. Wohlstand konzentriert sich auf immer weniger Menschen. Empathie, Sehnsucht, Wunsch, tauscht sich gegen innere Zwänge.

    Dein Artikel ist wie eine Rückbesinnung auf das Wesentliche. Vielleicht zeigt es die Sehnsucht nach einer Welt der Einfachheit. Nach Geräten, die wir verstehen und auch bedienen können anstatt den Geräten zu dienen. Nach einem Miteinander. Wenn wir Zukunft gestalten wollen, sollten wir die Vergangenheit verstehen und achten. Bescheidener werden in dem was wir brauchen und damit freier, zu denken, zu handeln, zu leben…. Und wieder Zeit zu gewinnen für ein Miteinander. Vielleicht ist es auch genau das, was mich immer wieder zur Messsucherwelt zieht. Vielen Dank dafür.

    p.s. Lustig ist, dass ich mich gerade mit dem Model vor der M3 beschäftige…

    • Hallo Kai!

      Das klingt für mich nach einem leicht defätistischem Blick auf die Welt. Ich sehe es einfach so, dass die heutige Welt und auch die Kameratechnik mir ein Angebot macht. Ich kann es annehmen oder sein lassen. Das bedeutet aber nicht, dass ich alle Entwicklungen kritiklos hinnehme oder ignoriere. Es ist meine persönliche Wahl wie ich mich dazu positioniere, wie ich mit dem Wissen aus der Vergangenheit die derzeitige Entwicklung einordne.

      Das gilt auch für die M3. Das Ur-Meter der M Reihe, wenn man es so bezeichnen möchte. Es ist ein Privileg solche eine „Zeitmaschine“ zu besitzen, um auch einzuschätzen auf welchem Kurs sich Leica derzeit befindet. So sehr auch eine moderne digitale M eine Erleichterung sein mag, um so mehr wächst die Bewunderung für die Ingenieurskunst der M3. Es gibt doch nichts besseres als ab und zu mal die M3 aus dem Schrank zu holen um sich fotografisch zu erden. Trotzdem bin ich froh, auch die Möglichkeiten der digitalen Errungenschaften zu nutzen. Es ist doch schön heutzutage die Wahl zu haben.

      In diesem Sinne,

      liebe Grüße.

    • Jörg-Peter

      Lieber Kai, vielen Dank für Deinen Kommentar, der doch sehr zum Nachdenken anregt. Auch wenn ich Deinen Gedankengang gut nachvollziehen kann und ich es manchmal auch so empfinde, sehe ich die Sache generell etwas optimistischer. Der Fortschritt in der Automobiltechnologie hat bei ständig steigendem Verkehr die Zahl der Todesopfer auf unter ein Drittel gesenkt. Moderne Häuser bieten mehr Komfort bei weniger Energieverbrauch (jedenfalls im Betrieb). Und moderne Kameras müssten eigentlich dafür sorgen, dass kein einziges falsch belichtetes, unscharfes oder verwackeltes Foto mehr kursiert. Sie müssten, und es ist mir ein Rätsel, warum immer noch so viele handwerklich miserable Bilder im Umlauf sind. Ich spreche hier nicht von Kunst, sondern einfach von den ganzen Gebrauchs-Bildern.

      Ansonsten steht es uns ja doch in einigermaßen großen Teilen frei, unser Leben so zu gestalten, dass wir uns auf das konzentrieren können, was wir für das Wesentliche halten. Für die eine ist es, möglichst viele schöne gefilterte Bilder bei Instagram zu posten, für den anderen das Familienalbum mit eingeklebten Bildern. Kann man beides im Jahr 2024 machen, und keiner zwingt einen, wie man das halten möchte. Ich habe den Eindruck, da hast Du für Dich schon einen guten Weg gefunden. Das freut mich ehrlich für Dich, und da hast Du sicher auch vielen etwas voraus.

      Und das mit der Einfachheit? Eine interessante Frage. Ich habe dazu bei Macfilos auf einen Leserkommentar so geantwortet:

      Meine Meinung dazu ist: Die ganze „Das Wesentliche“-Geschichte ist im Kern eine Marketingstrategie. Vielleicht sogar nichts anderes als ein Versuch, die Innovationsdefizite der M-Kameras rückwirkend zu veredeln. Nach dem Desaster mit der M5 wurde Leica bekanntlich sehr konservativ, und sie haben in Wetzlar/Solms herausgefunden, dass diese Nische groß genug ist, um zu überleben. Und Strategen sind darin sogar so gut, dass einige (ansonsten aufgeklärte) Verbraucher bereit sind, mehr zu zahlen, um weniger zu bekommen.

      Und was die M3 angeht: Als sie 1954 auf den Markt kam, war sie sicherlich kein Produkt, das bewusst auf das Wesentliche reduziert wurde. Sie war einfach die beste und modernste Messsucherkamera, die Leitz entwickeln und – wichtiger noch – produzieren konnte. Wenn sie es geschafft hätten, hätten sie sicherlich einen Belichtungsmesser oder sogar eine Belichtungsautomatik eingebaut. Das große Zaudern, gute Ideen tatsächlich auch auf den Markt zu bringen, kam für Leitz erst später, als sie ihr Autofokussystem an Minolta verkauften, aber das ist eine andere Geschichte.

      Ich denke: Es geht hier ein bisschen auch um Heiligenlegenden. Und wir sind alle ein Teil davon. Auch dieser kleine Artikel und unsere Diskussion hier. Wir sollten jedoch im Hinterkopf behalten: Was wir in einer „ikonischen“ Leica M3, einer „epochalen“ Nikkormat, einer „wunderschönen“ OM-2, einer „bahnbrechenden“ EOS-650 oder einer „klassischen“ Rolleiflex sehen, ist nicht das, was beabsichtigt war, als diese Kameras neu waren. Sie alle spiegeln das wider, was zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte Stand der Technik war. Alles andere sind unsere Narrative. Zuschreibungen, zu denen wir alles Recht haben, die aber nichts über die Intentionen von damals aussagen.

      So weit der philosophische Exkurs. Vielleicht mal ein Thema für einen ganzen Artikel.

      Herzlich, Jörg-Peter

  3. Dietmar Grünter

    Hallo Herr Rau,

    auch ich hätte etwas anderes auf der aktuellen Homepage von Leica erwartet!
    Das neue Smartphone für den Japanischen Markt schon mal gar nicht!
    Aber es wird bestimmt noch was in der Pipeline sein für 2024.
    Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf….;)
    LG D. Grünter

    • Jörg-Peter

      Ja , komisch, nicht wahr? Sonst reiten sie in Wetzlar so auf ihrer Geschichte herum, und dann lassen sie so ein dankbares Datum einfach verstreichen… Nun, wir werden sehen. Grüße, Jörg-Peter Rau

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