Die Leica M EV1

Von Jonothan Slack

Einleitung

Los geht’s! Ich habe mich schon sehr lange darauf gefreut, diesen Artikel zu schreiben. Das Konzept einer „M“-Kamera mit EVF hat in den Leica-Internetforen echte Leidenschaft ausgelöst. Vielleicht sind die Diskussionen heute nicht mehr ganz so hitzig wie vor fünf Jahren, aber die Thematik erzeugt eine starke Polarisation.

Ich war schon immer ein Befürworter dieses Konzepts – natürlich nicht als Ersatz für die bestehende M-Messsucherkamera, sondern als weitere Möglichkeit, M-Objektive zu verwenden. Bei Leica haben sich die Haltung dazu im Laufe der Jahre geändert, und indem man diese Kamera zu einem neuen Zweig für die Leica M11-Kameraserie gemacht hat, betrachtet man sie sehr vernünftig als einen ersten Versuch. Wenn sie kein Erfolg wird, kann man einen Schlussstrich darunter ziehen.

Leica M EV1
Leitz Cafe Leica M EV1 with 35 APO Summicron

Sie befindet sich seit langer Zeit in der Beta-Testphase mit verschiedenen Firmware-Iterationen, und die Testforen sind voll von interessanten Beobachtungen, sowohl für als auch gegen die Kamera. Dieser Artikel ist zu einem großen Teil das Ergebnis dieser Diskussionen und Erkenntnisse, daher ein großes Dankeschön an alle (ihr wisst, wer ihr seid!). Ich habe das Gefühl, dass wir, wenn wir nicht schon Freunde waren, nach den sechs Monaten des Testens Freunde geworden sind.‍

Wegen der Leica M EV1 habe ich viel darüber nachgegrübelt, wie man eine Kamera bedient. Analoges und digitales Fokussieren und auch die dafür notwendige symbolische oder repräsentative Information. Ich bin mir nicht sicher, ob das einen großen Einfluss auf die tatsächlichen Fotos hat, aber es ist ein interessantes Thema, besonders heute, wo man sich so sehr auf die Nutzererfahrung in Bezug auf das Interface konzentriert.

Leica M EV1
Stormy Weather Leica M EV1 with 35 APO Summicron

Diejenigen, die sich für eine solche Kamera eingesetzt haben, waren der Meinung, dass sie für langjährige M-Nutzer, deren Sehkraft nicht mehr so gut ist und für die die optische E-Messer Fokussierung problematisch wird, von großem Wert wäre.

Vielleicht gibt es auch einen potenziellen Markt für jüngere Fotografen, die sich in das ikonische Bild der M-Kameras verliebt haben… aber die, mit einem Messsucher konfrontiert, eher zurückschrecken.

Leica M EV1
Vase Leica M EV1 with 35 Summilux FLE

Obwohl ich in diesem Artikel alle Aspekte behandeln möchte, handelt es sich weniger um einen direkten Review als vielmehr um eine Diskussion über die Idee einer EVF-basierten M, wie sie zu bedienen ist und für wen sie eigentlich gedacht ist.

Hinweis: Wenn ich „Sucher” sage, meine ich die M EV1, und wenn ich „Entfernungsmesser” sage, dann spreche ich vom traditionellen M-Entfernungsmesser (zumindest ist das meine Absicht!).

Leica M EV1
Vanishing Point Leica M EV1 with 50mm F1.2 Noctilux at f1.2

Was steckt hinter dem Namen?

Wenn man danach googelt, wird man feststellen, dass M für „Messsucher” steht, was die deutsche Bezeichnung für einen Entfernungsmesser im Sucherfenster ist. Das ist vermutlich historisch korrekt (obwohl Leica sich diesbezüglich immer bedeckt gehalten hat), aber es könnte sich genauso gut auf den M-Anschluss beziehen.

Wie dem auch sei, die Zeiten ändern sich. Man musste überlegen, wie dieses neue Modell heißen sollte. Es gab Gerüchte, dass sie M11-V heißen sollte, nicht M EV1. Persönlich fand ich E11 gut, ein Name, der die Traditionalisten vielleicht nicht ganz so sehr verärgert hätte. Andererseits würde er die Kamera eher von der M-Geschichte trennen, was natürlich schlecht wäre. Vielleicht ist M EV1 also ein guter Name – er deutet darauf hin, dass es sich um die erste Kamera einer neuen M-Reihe handelt, und hoffen wir, dass dies auch der Fall ist.

Leica M EV1
Summer Blues Leica M EV1 with 35 APO Summicron

Apropos Name: Der Prototyp der M EV1 hieß Elsie, nach Elsie Kuhn-Leitz (1903–1985), der Tochter von Ernst Leitz II. Sie wurde von der Gestapo verhaftet, nachdem sie dabei erwischt worden war, wie sie jüdischen Frauen bei der Flucht in die Schweiz half. Nach einem brutalen Verhör wurde sie freigelassen, geriet aber später im Krieg erneut in Schwierigkeiten mit den Behörden, weil sie sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen von etwa 700 ukrainischen Zwangsarbeitern einsetzte, die in den 1940er Jahren in der Fabrik arbeiten mussten.

Leica M EV1
Oranges and Lemons Leica M EV1 with 35mm Summilux FLE

Mehr noch (oder vielleicht auch weniger!): Elsie war der Name meiner Großmutter väterlicherseits. Leider kann ich mich nicht an sie erinnern, aber sie war eine starke und sehr beliebte Frau mit einer Menge lockigem rotem Haar. Es ist schön, an sie erinnert zu werden, wenn ich die Kamera in die Hand nehme.

Leica M EV1
Giorgio Leica M EV1 with 35 APO Summicron

Worum geht es?

Seit der Markteinführung der Q im Juni 2015 gab es Gerüchte über eine Leica Q mit M-Bajonett, aber im Gehäuse der Q ist einfach kein Platz für einen Verschluss (die Q verwendet einen Zentralverschluss im Objektiv) und der Flanschabstand für das M-System würde  einen sehr prominenten Objektivanschluss erzeugen!

Es handelt sich also nicht um eine Q mit M-Bajonett, sondern um eine M-Kamera mit einem EVF anstelle des Entfernungsmessers. Bis auf das ist sie identisch mit einer Standard-M11.

Leica hat sich dagegen entschieden, ein Imitat für einen Sucher oder ein Logo oder irgendetwas anderes anzubringen. Die Stelle, an der sich das Sucherfenster auf der Vorderseite einer M11 befindet, ist schlicht leer. Darüber hinaus musste aufgrund des Platzbedarfs für den EVF das ISO-Einstellrad eingespart werden, was einige Leute vielleicht verärgern wird. Das ISO-Einstellrad sieht in seiner Anlehnung an den Rückspulknopf analoger M’s zwar nett aus, aber in der Praxis ist automatische ISO meist die beste Wahl, wodurch das Einstellrad ziemlich überflüssig wird – und wenn man alles manuell einstellen möchte, dann ist die Einstellung der ISO im Schnellmenü, ja, …eben schnell! Zusätzlich könnte man optional die ISO mit dem Daumenrad einstellen.

Leica M EV1
Yellow Leica M EV1 with 75 APO Summicron

Die Kamera wiegt etwa 45 Gramm weniger als eine schwarze M11 in Standardausführung, da EVFs deutlich leichter sind als Entfernungsmesser. Das ist zwar kein großer Unterschied, aber spürbar. Dabei fühlt sich sich die Kamera wie alle M-Kameras nach wie vor solide und gut verarbeitet an.

Ich finde sie sehr schick – schlicht und rein. Alle, mit denen ich darüber gesprochen habe, stimmen zu. Die leere Vorderseite befremdet zunächst, sieht aber auf den zweiten Blick sehr gut aus. Es gibt den roten Punkt, das runde Fenster zur Schätzung der Blende und die quadratische rote Anzeige für den Selbstauslöser.

Der einzige weitere Unterschied ist der Bildfeldwähler, der zu einem Gerät mit Doppelfunktion umgebaut wurde. Dieser kann für Fokus-Peaking, Vergrößerung oder Digitalzoom konfiguriert oder ausgeschaltet werden. Wie bei den anderen Funktionen kann man durch längeres Drücken auswählen, welche der verfügbaren Optionen als Standard festgelegt werden soll. Dies kann auch in den Benutzerprofilen gespeichert werden.

Die Leica M EV1 hat die gleichen technischen Daten wie die Leica M11-P, ähnelt aber ansonsten eher der Standard-M11, mit 64 GB internem Speicher und einem normalen, mit Gorilla-Glas gehärteten Rückbildschirm (der mir ziemlich robust erscheint, denn nach sechs Monaten Gebrauch gibt es keine Kratzer oder Abnutzungsspuren auf dem Bildschirm).

Leica M EV1
Classic and Modern Leica SL3 with 28-70 f2.8 Vario Elmarit Asph

Wenn man weitere Informationen zur M11 im Allgemeinen wünscht, empfehle ich meinen Artikel vom Januar 2022:

https://www.slack.co.uk/leica-m11.html

Weitere Informationen zu Content Credentials in meinem Artikel zur M11-P hier:

https://www.slack.co.uk/articles/the-leica-m11-p.html

Leica M EV1
M EV1 with the 35 Steel Rim reissue and the Perfect Rock & Roll strap Leica SL3 with 28-70 f2.8 Vario Elmarit Asph

Der EVF

Der Visoflex 2 verfügt über einen OLED-Monitor mit 3,68 Millionen Bildpunkten und einer 0,73-fachen Vergrößerung, während der EVF der Leica M EV1 5,76 Millionen Bildpunkte und eine 0,76-fache Vergrößerung bietet. Die Bildwiederholfrequenz beträgt 60 fps.

Die Spezifikationen des elektronischen Suchers lassen vermuten, dass es sich um denselben handelt, der auch in der Q3 zu finden ist. Abgesehen von der Neigbarkeit des Visoflex 2 ist der Sucher der M EV1 in jeder Hinsicht besser.

Das Sucherfenster und der Dioptrieneinstellknopf/-regler sehen aus wie bei der Q3, allerdings musste das Gehäuse an die M-Kamera angepasst werden. Das Einstellrad springt zum Einstellen heraus, wenn man es drückt. Es hat einen Bereich von -4 bis +2 und ist eine sehr willkommene Ergänzung für Brillenträger.

Leica M EV1
Rückansicht mit Leica thumb grip Leica SL3 with 28-70 f2.8 Vario Elmarit Asph

Neu in der Firmware 2.6.0

Die M EV1 wird mit der Firmware-Version 2.6.0 ausgeliefert. Dieses Update betrifft nicht nur die M EV1, sondern wird heute in einem Firmware-Update für alle M11-Varianten verfügbar sein.

Diese Firmware enthält eine Reihe von Fehlerbehebungen, die hauptsächlich die Stabilität betreffen. Darüber hinaus gibt es drei wichtige Änderungen:

Staubschutz über die Leica FOTOS App

Dies ist eine Funktion, die nun über FOTOS aktiviert werden kann und von einer Reihe von Nutzern, insbesondere denen, die die M11-D verwenden, gewünscht wurde.

Leica M EV1
A Storm in the Mountains Leica M EV1 with 35 APO Summicron

Bearbeiten der Objektivliste

Man kann nun die Objektivliste bearbeiten, auch wenn ein codiertes Objektiv angebracht ist (was zuvor nicht möglich war).

Darüber hinaus ist die bearbeitete Objektivliste für alle Profile verfügbar. Dies warf einige Fragen auf, da die meisten Kameraeinstellungen individuell zu Profilen zugewiesen werden können. (So dass man jedem Profil eine andere Liste zuweisen kann). Das Problem war, dass es etwas mühsam ist, wenn man ein neues Objektiv hinzufügt und alle Profile aktualisieren muss – daher hat Leica (zu Recht) entschieden, dass man alle nicht codierten Objektive in allen Voreinstellungen verfügbar haben möchte. Besser noch: Wenn man die Benutzerprofile auf der Festplatte speichert, werden auch die Objektivprofile gespeichert.

Leica M EV1
New Arrivals Leica M EV1 with 35 APO Summicron

Einen grauen Himmel in einen blauen verwandeln

(oder einen magentafarbenen Himmel in einen grünen oder gelben!)

Es gab einige Beschwerden über den magenta-lastigen Farbton bei allen M11-Varianten: Ich hätte nicht geglaubt, dass man die Farbe einer Kamera einfach drei Jahre nach ihrer Markteinführung ändern kann, aber das Problem wurde gelöst.

Die meisten Fotografen (auch wenn sie sich zunächst orientieren mussten) haben einen Workflow entwickelt, um die Farben zu bekommen, die ihnen gefallen. Ich persönlich bin mit den Farben sehr zufrieden – ich akzeptiere, dass der graue Himmel mehr Magenta enthält als bei Konkurrenzmodellen üblich. Für mich ist Leica näher an der Realität und andere Kameras neigen zu sehr nach Cyan!

Leica hat eine elegante Lösung für dieses Problem gefunden. Der Weißabgleich der Kamera ändert sich nicht… es sei denn, man entscheidet sich dafür!

Im Menü „Weißabgleich” gibt es zwei neue Optionen:

Weißabgleich-Anpassung … ein/aus

Weißabgleich-Anpassung

Leica M EV1
Sailing Away Leica M EV1 with 35 APO Summicron

Wenn man die zweite Option auswählt und die erste aktiviert ist, kann man auf der vertikalen Achse zwischen Grün und Magenta und auf der horizontalen Achse zwischen Gelb und Blau wechseln (entsprechend der Option „Farbton” in Lightroom). Man kann den Touchscreen verwenden, um die Schieberegler zu bewegen, und durch doppeltes Antippen wird er wieder zentriert.

Bei Tageslicht (sonnig) und einer Änderung des Weißabgleichs um 15 Klicks in Richtung Grün (von Magenta) ändert sich der Farbtonwert in Lightroom von +22 auf +15.

Diese Änderung wird sowohl auf feste Weißabgleiche (z. B. Tageslicht) als auch auf den automatischen Weißabgleich angewendet. Besser noch, man kann spezifische Änderungen für verschiedene Benutzerprofile vornehmen. Ich habe eines für Landschaftsaufnahmen und eines für Porträts (wo die ursprünglichen Basis-Weißabgleichwerte exzellent sind).

Natürlich kann man damit auch eigene Farbprofile erstellen, die in DNG und Lightroom übertragen werden, egal ob man lebendige oder eher gedämpfte Farben (oder was ganz verrücktes) wünscht. Man kann sogar verschiedene Profilsätze für unterschiedliche Situationen speichern, sie auf die Festplatte exportieren und bei Bedarf wieder importieren.

Leica M EV1
Autumn in Bier Lane Leica M EV1 with 50mm f1.2 Noctilux at f8

Da der ursprüngliche Anstoß für diese Änderung möglicherweise die Unzufriedenheit der Benutzer mit dem Magentastich war, hat Leica dies ernst genommen und eine nützliche neue Funktion entwickelt.

Die Weißabgleichseinstellung wird auch über FOTOS verfügbar sein.

Fokussieren mit einem EVF im Vergleich zu einem Entfernungsmesser

Das ist wirklich der Knackpunkt! Sicher ist, dass die verschiedenen Methoden unterschiedliche Vor- oder Nachteile haben.

Symbolisch (indirekt) oder repräsentativ (direkt)?

Den traditionellen Entfernungsmesser würde man als „analog” bezeichnen. Die Fokussierung erfolgt durch Triangulation, Spiegel und mechanische Übertragung und ist somit symbolisch, d.h. es gibt die Stellung der Linsen indirekt wieder. Er liefert immer ein genaues Ergebnis, mit jedem Objektiv, jedoch ohne Bezug zur Blende.

Leica M EV1
The Long and Winding Road – Don’t Slip! Leica M EV1 with the 75 APO Summicron

Der Entfernungsmesser

Obwohl seine Genauigkeit fast schon wundersam erscheint, kann die Verwendung eines Entfernungsmessers bei sehr lichtstarken Objektiven mit weit geöffneter Blende (z. B. beim Noctilux) zu einer Herausforderung werden. Im Allgemeinen wird die Fehlerquote beim  Entfernungsmesser umso geringer, je mehr man die Blende schließt und je größer daher die Schärfentiefe wird.

Ein weiteres Problem sind Weitwinkelobjektive, bei denen der optische Sucher nicht den gesamten Bildbereich zeigen kann, und Teleobjektive, bei denen das Bild nur einen winzigen Rahmen im Sucher ausmacht. Andererseits kann man bei längeren Brennweiten natürlich auch Bereiche außerhalb des Bildausschnitts sehen und was dort passiert.

Der EVF

Der EVF hingegen zeigt genau, was scharfgestellt ist und was nicht. Darüber hinaus zeigt er exakt, was man im endgültigen Bild erhalten wird. Man hat eine genaue Darstellung der Belichtung und auch der Schärfentiefe (im Gegensatz zu den meisten spiegellosen Kameras gibt es bei der Leica M EV1 eine Belichtungsmessung bei jeder Blendenöffnung).

Außerdem gibt es die Fokussierhilfen: Fokus-Peaking und Lupe. Wenn man für einen kleinen Verlust an Megapixeln „um das Motiv herumsehen“ möchte, kann man den Digitalzoom verwenden, um Bildrahmen in den Sucher einzublenden. Für Brillenträger gibt es eine Dioptrieneinstellung am Sucher.

Vollbild: 60 MP

1,3-facher Ausschnitt: 39 MP

1,8-facher Ausschnitt: 18 MP

Vorteile des EVF

  1. Das gesamte Bild sehen
  2. Die Schärfentiefe sehen
  3. Sehen, was scharfgestellt ist
  4. Die Belichtung sehen
  5. Dioptrieneinstellung
  6. Möglichkeit, Rahmenlinien im Crop-Modus zu verwenden
  7. Fokus-Peaking
  8. Vergrößerung (Lupe)
  9. Genaue Fokussierung bei voller Blendenöffnung
  10. Das Gleiche gilt für alle M-Mount-Objektive

Vorteile des Entfernungsmessers

  1. Sicht um das Motiv herum
  2. Schnelle, einfache Fokussierungskontrolle
  3. Sicht auf das natürliche Licht
  4. Traditionelle Methode

Das Ende des Entfernungsmessers?

Angesichts all dessen könnte man fast glauben, dass sich alle M-Nutzer schnell eine M EV1-Kamera zulegen werden und dass dies der Anfang vom Ende des traditionellen Entfernungsmessers sein wird.

Werden diejenigen in den Foren, die sich so vehement gegen eine EV M aussprechen, schnell umgestimmt werden?

Natürlich ist es, wie bei den meisten Dingen, nicht so einfach. Der Grund, warum der Entfernungsmesser nach fast 75 Jahren immer noch beliebt ist, liegt nicht nur in Nostalgie oder dem Wunsch nach schönen Objekten, sondern in seinem unschätzbaren praktischen Wert.

Leica M EV1
The Long and Winding Road Leica M EV1 with 90mm f2.8 Elmarit M

Um die Kamera herum sehen

Genau das ist es: Mit einem Entfernungsmesser sieht man um die Kamera herum, nicht durch sie hindurch. Manche würden es wohl als „die Kamera aus dem Weg nehmen” bezeichnen. Mit einem Entfernungsmesser M fühlt man sich mit dem Motiv verbunden, nicht mit der Kamera.

Vor der M EV1 hätte ich mir vorgestellt, dass das daran liegt, dass sich das Sucherfenster oben links befindet, sodass man (wenn man „rechtsäugig” ist) das Motiv mit dem linken Auge betrachten kann, was mit beiden Kameras tatsächlich möglich ist. Aber es ist nicht dasselbe – mit einem Auge durch ein vergrößertes (oder verkleinertes) Bild in der M EV1 zu schauen und mit dem anderen die Welt zu betrachten, funktioniert einfach nicht.

Geschwindigkeit der Fokussierung

Es gibt noch mehr zu sagen:

Während es mit dem elektronischen Sucher einfacher ist, bei voller Blendenöffnung eine genaue Fokussierung zu erzielen, muss man in der Regel zoomen (mit einem Tastendruck), um die Feineinstellung zu prüfen. In vielen Situationen ist das kein allzu großes Problem, aber es ist nicht schnell und irritiert den Teil des Gehirns, der für die Bildkomposition zuständig ist.

Das gilt bei voller Blendenöffnung – wenn man mit der M EV1 etwas abblendet, wird es zunehmend schwieriger, zu erkennen, was scharfgestellt ist und was nicht, während dies mit den symbolischen Rechtecken des Entfernungsmessers immer noch genauso schnell und einfach ist.

Tatsächlich ist die Fokussierung mit dem Entfernungsmesser immer schneller. Dies gilt insbesondere für Weitwinkelobjektive mit großer Schärfentiefe, bei denen es mit dem EVF wirklich mühsam ist, den optimalen Fokuspunkt zu erkennen, aber auch für Standardobjektive, insbesondere wenn man die Blende etwas schließt.

Natürlich kann man mit beiden Kameras immer Zonenfokussierung verwenden. Interessanterweise mache ich das mit dem traditionellen Entfernungsmesser nie (ich finde es immer einfacher, es „richtig” zu machen), aber ich habe festgestellt, dass ich es mit der M EV1 ein wenig benutze. Wahrscheinlich weil es schwierig ist, zu fokussieren, wenn das Objektiv abgeblendet ist.

Leica M EV1
The Lovely Ladies of Brane Moor Leica M EV1 with the 35 Summilux FLE

Durch das Testen der Elsie und die Gespräche mit den anderen Testern habe ich wirklich verstanden, wie praktisch ein optischer Entfernungsmesser ist: Er ist schnell, bezieht einen in das Motiv ein und nimmt die Kamera aus dem Weg. Mit einem EVF kann man zwar in bestimmten Situationen genauer fokussieren, aber das dauert länger und beeinträchtigt die Spontaneität.

Kurios, dass Spiegelreflexkameras, die in den 1960er Jahren die Messsucher-Kameras schnell verdrängt haben, fast vollständig verschwunden sind, seit gute spiegellose Kameras auf den Markt kamen. Dabei bin ich mir sicher, dass der optische Entfernungsmesser bestehen bleiben wird.

Leica M EV1
Beer and Bikes Leica M EV1 with the 35 Summilux FLE

Wie sieht es also mit der M EV1 aus?

Also, tatsächlich ist sie eine hervorragende Kamera mit vielen Vorzügen, aber eines ist sie nicht: ein vollwertiger Ersatz für eine Messsucherkamera.

Ich glaube nicht, dass sie die richtige Kamera für Straßenfotografie oder Fotojournalismus ist, also Situationen, in denen sich alles schnell abspielt und sich das Motiv bewegt.

Wenn hingegen nichts schnell passiert und man Zeit hat, die Fokusassistenz-Funktionen zu nutzen, dann spielt die M EV1 ihre Stärken voll aus.

Ich habe sie viel mit dem WATE (Wide Angle Tri-Elmar 16-18-20), dem 35 mm APO Summicron und meinem 90 mm f2.8 Elmarit M verwendet. Das ist eine übersichtliche Zusammenstellung, die alle Bereiche abdeckt – und natürlich füllt das Bild den Sucher unabhängig von der Brennweite aus.

Leica M EV1
Faster Faster Leica M EV1 with 35 APO Summicron For what it’s worth! This is a composite of 2 photographs rather than post processing blur.

Fotografieren in der Praxis mit der M EV1

Bei unserem letzten Besuch auf Kreta habe ich fast ausschließlich mit der M EV1 fotografiert und dabei das WATE, das 35 APO Summicron und mein absolutes Lieblingsobjektiv, das 75 mm APO Summicron, verwendet.

Es war eine gute Erfahrung und für diese Art von Aufnahmen besser als die M11, trotz meiner langjährigen Praxis mit Messsucherkameras. Ich habe das 75er häufig für Nahaufnahmen und auch für Personen in Restaurants und Bars verwendet. Da man mit 60 MP ohne weiteres croppen kann, hatte ich effektiv einen Brennweitenbereich von 16 mm bis 135 mm bei drei Objektiven.

Ich habe die M EV1 bei einer Hochzeit und für einige Familiengruppenfotos verwendet, und es hat in beiden Fällen gut funktioniert (obwohl es Situationen mit schnellen Bewegungen gab, in denen eine M11 sicherlich besser gewesen wäre).

Ich habe sie auch für Nahaufnahmen verwendet, insbesondere mit dem schönen 35 APO Summicron, bei dem der Entfernungsmesser der M11 auf 0,7 Meter begrenzt ist und das Objektiv auf 0,3 Meter fokussiert.

Leica M EV1
Aghios Pavlos Leica M EV1 with Wide Angle Tri-Elmar at 16mm

Elsie und die SL3 für M-Objektive

Ich habe ein Wochenende damit verbracht, mit der SL3 und M-Objektiven zu fotografieren, um zu sehen, wie sie im Vergleich zu Elsie abschneidet.

Natürlich ist die SL3 fast 400 Gramm schwerer als die M EV1, was sicherlich nicht unerheblich ist (fast doppelt so schwer). Die Möglichkeit, den Joystick zu verwenden, ist ein Vorteil. Durch den Einblick des Suchers erscheint das Bild größer als bei der M EV1. … man kann jederzeit ein AF-Objektiv aufsetzen… und spart dabei auch noch ein paar Tausend Euro!

Die SL3 verfügt im Gegensatz zu den M-Kameras über eine Bildstabilisierung, aber ich habe damit weder bei der M11 noch bei der M EV1 jemals Probleme gehabt. Wenn doch einmal Verwackelungs-Gefahr besteht, verwende ich Auto-ISO, Blendenpriorität und stelle die Verschlusszeitengrenze auf 1/(4f) ein, sodass sie das Vierfache der Brennweite beträgt. Damit gibt’s dann keine Schwierigkeiten.

Ich benutze die SL3 ziemlich oft, aber ehrlich gesagt verwende ich unter normalen Umständen fast nie M-Objektive, weil… ja, warum? Es gibt so viele gute Autofokus-Objektive für das SL-System.

Das war ein interessantes Experiment, aber es hat meine Meinung über die M EV1 nicht geändert, die ich trotzdem für eine gute Idee halte und die viele Leute bevorzugen werden.

Also – für wen ist sie gedacht?

Vor ein paar Jahren habe ich Leica eine Notiz über die Möglichkeit einer Leica mit EVF geschrieben: Ich habe zwei Zielgruppen herausgestellt. Die offensichtlichen Gruppen waren ältere Menschen (wie ich), die die Fokussierung mit einem Entfernungsmesser schwierig finden (ich noch nicht!), und jüngere Fotografen, die sich für eine M interessieren, aber dem arbeiten mit einem Entfernungsmesser kritisch gegenüberstehen.

Nach sechs Monaten konme ich zu dem Schluss, dass es viel komplizierter ist. Ich bin mir zwar immer noch sicher, dass sie bei neuen Leica-Nutzern beliebt sein wird, die keine Lust haben, den Umgang mit einem Entfernungsmesser zu lernen.

Leica M EV1
Blowing up a tempest Leica M EV1 with 35 APO Summicron

Ich bin mir hingegen nicht mehr so sicher, ob es die richtige Lösung für diejenigen ist, denen die Fokussierung mit einem Entfernungsmesser schwerfällt. Wenn diese das mit dem Visoflex 2 einfacher finden, dann ist die M EV1 wohl eher noch besser, aber ich bin nicht so überzeugt, dass es eine Möglichkeit gibt, die manuelle Fokussierung bei schlechter Sehkraft zu vereinfachen. Vielleicht ist es an der Zeit, eine Q3 zu kaufen? Oder besser noch eine Q3 43.

Andererseits glaube ich, dass es eine wunderbare Kamera für Reisen mit verschiedenen M-Objektiven ist. Fantastisch für Porträts und vielleicht auch für Hochzeitsfotografie als Ergänzung zur M11.

Leica M EV1
Family Gathering Leica M EV1 with 35 APO Summicron

Die Zukunft

Dies ist eindeutig ein erster Schritt: Leica hat bestehende Technologie genutzt und eine neue Kamera entwickelt. Sie ist viel mehr als nur eine M-Mount-Kamera mit EVF, und wie man hoffentlich aus all dem Geschwafel herausgelesen hat, unterscheidet sie sich fundamental von einer traditionellen M-Kamera.

Es gibt viele Dinge, die in Zukunft in eine solche Kamera integriert werden könnten, darunter natürlich auch eine Form der Fokussierungsbestätigung. Die Technologie dafür ist sicherlich vorhanden, aber die Umsetzung ist sehr kompliziert. Vielleicht ein rechteckiger Ausschnitt wie beim bestehenden Entfernungsmesser, oder vielleicht eine Bestätigungsleuchte oder Pfeile.

Ich hoffe, dass es weitere Leica M EV-Kameras geben wird, aber ich hoffe auch, dass sie den Entfernungsmesser-Versionen nahe genug bleiben, um als ergänzende Kameras und nicht als Konkurrenzprodukte eingesetzt werden zu können.

Eins ist sicher – wie Stefan Daniel in dem Interview bei „Chats and Bill“ (Link unten) sagt:

„Leica arbeitet derzeit an der Weiterentwicklung des optomechanischen Entfernungsmessers. Wir hören unseren Kunden zu und reagieren darauf, aber wir werden niemals die siebzigjährige Geschichte der Leica M aufgeben. Niemand muss befürchten, dass uns das aufs Glatteis führt!“

Leica M EV1
Beach Muscovies Leica M EV1 with 35 APO Summicron

Das Gleiche… aber anders

Die Verwendung der M EV1 unterscheidet sich deutlich von der Verwendung einer normalen M, darum sie ist in anderen Situationen nützlich. Natürlich sind die Bildqualität und die Menüs identisch, daher liegt es nahe, sowohl eine M11 als auch eine M EV1 zu haben!

Das klingt vielleicht schnell dahingesagt, aber ich bin der Meinung, dass die M EV1 vor allem als Zweitkamera neben einer M11 mit Weitwinkel- und Teleobjektiven eingesetzt werden sollte.

Auf jeden Fall handelt es sich um ein weiteres mutiges Experiment von Leica.

Christoph Mueller, der Produktmanager für die M-Serie, erklärte mir, dass „es kein Experiment ist, sondern um eine mutige und wohl überlegte Entscheidung, das M-Erlebnis zu erweitern”. Dem kann man kaum widersprechen!

Leica M EV1
Sfakian skies Leica M EV1 with 35 APO Summicron

Die Elsie ist eine Kamera, die von vielen Reisefotografen als Hauptkamera und von noch mehr Leica-Fotografen als Zweitkamera ins Herz geschlossen werden wird.

Sie ist eine gute Ergänzung des M-Portfolios und ein neues Kapitel in der Geschichte der M, aber natürlich wird der Entfernungsmesser immer das Herzstück des M-Systems bleiben, egal was passiert.

Erfreulicherweise ist sie auch etwas günstiger als eine M11.

Leica M EV1
Back to the English weather! Leica M EV1 with 35 APO Summicron

Danksagungen

Zunächst einmal den vielen großartigen Persönlichkeiten, die in den letzten sechs Monaten über die M EV1 diskutiert und gescherzt haben – es hat Spaß gemacht, und Sie alle haben auf die eine oder andere Weise zu diesem Artikel beigetragen:

Elmar Streyl, Alex Uehlinger, Huw John, Siegfried Günther, Olivier Touron, Samuel Gillilan, Milan Swolfs und natürlich Leon Baumgardt, der immer der beste Moderator ist!

Leica M EV1
Fishing Tackle Leica M EV1 with 75 APO Summicron

Bei Leica war Stefan Daniel wie immer wunderbar hilfsbereit und enthusiastisch. Christoph Mueller hat so viel Mühe und Aufmerksamkeit in dieses Projekt gesteckt, und wenn es ein Erfolg wird, dann ist das sein Verdienst!

Mein Dank gilt auch Marke Gilbert, der mir geholfen hat, nicht wie KI zu klingen!

Am wichtigsten ist Emma, die nicht nur meine Kameratests und meine Mäkeleien darüber erträgt, sondern auch meine Artikel Korrektur liest, wertvolle Kommentare abgibt und meine wirren Gedanken in etwas Sinnvolles verwandelt.

Leica M EV1
Tackle Leica M EV1 with 75 APO Summicron

Links

Elmar Streyl wird seinen eigenen Bericht im Leica User Forum veröffentlichen.

Chats Chaterjee und Bill Rosauer haben Stefan Daniel interviewt, den Artikel findet man hier:

Leica M EV1 Viewpoint mit Stefan Daniel

Mein alter Freund Sean Reid wird ebenfalls mindestens einen Artikel über die M EV1 auf https://www.reidreviews.com/veröffentlichen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert