Leica M10-M: Architektur, modern und antik

Vorhang auf für die Leica M10-M im zweiten Teil des Berichts aus den Alpilles. Hier kommt die monochrome Erholung für diejenigen, die sich ob der extrem bunten Bilder des letzten Beitrags kühlende Kompressen auf die entzündeten Augen legen mussten. Im Fotojargon sprechen wir bei sowas ja auch von „Augenkrebs“. Eigentlich müsste ich dem letzten Beitrag einen Disclaimer voranstellen, dass das Risiko von Linsentrübung, Uveitis oder Netzhautablösung auf eigene Gefahr besteht. Aber wer hört schon auf gutgemeinte Warnungen.

Leica M10-M
Am Felsplateau von Les Baux. Leica M10-M mit 35mm Ultron bei f/2.8 1/125s ISO 3200 Filter RG715

Lob der Kompaktheit

Die Leica M10-M hatte ich oft parallel zur M11-P oder Q3 dabei, wenn ich mit dem E-Bike Sightseeing war. Als bekennender Equipment-Minimalist muss ich dafür immer über meinen Schatten springen, aber wer schluckt nicht gern mal für einen guten Zweck die eine oder andere Kröte. Meine absolute Schmerzgrenze in der Hinsicht ist erreicht, wenn die kleine Hadley-Digital-Tasche von Billingham nicht mehr ausreicht (ich rede nicht von der „Hadley small“, die paradoxerweise deutlich größer ist, mir zu groß). Was auch immer unbedingt mit soll, es muss da hineinpassen. Aber das ist auch nicht wenig: Zwei M-Kameras (oder eine davon die Q) übereinander. Da sind schon mal zwei Objektive drauf (wenn es keine „Klopper“ sind). Dann passt entweder ein langes (sagen wir das 75er Apo-Summicron) oder zwei kurze (so etwa Ultron-Größe) übereinander in ein schmales Fach daneben, natürlich alles gut gegeneinander gepolstert. Filter, ggf. Ersatzakku, Lenspen, Mikrofasertuch, Aufstecksucher, Ministativ und anderer Kleinkram kommen in das vordere Fach der Tasche. (Ganz am Ende dieses Beitrags ist diese Pack-Technik bebildert)

Das ist nach wie vor ungeschlagen am M-System: Alles ist klein und trotzdem gibt es keine Abstriche bei der Bildqualität.

Die Vorteile der Leica M10-M

Leica M10-M
Aqueduc de Barbegal. Leica M10-M mit 35mm Ultron bei f/2.8 1/125s ISO 1600 Filter RG715

Die Leica M10-M hat ein paar Tugenden aufzuweisen, die ich bei der M11 schmerzlich vermisse: Die Belichtungsmessung über die Messzelle im Gehäuse auf die reflektierenden Lamellen des Verschlusses. Damit einhergehend zwei entscheidende Vorteile: 1. Der leise Verschluss, der mit einer M3 konkurrieren kann. 2. Der Verschluss wird im „Messsuchermodus“ (also nicht in Live-View) für jedes Foto nur einmal geöffnet. Mehr als einmal habe ich ernsthaft in Erwägung gezogen, allein deswegen von der M11 wieder zu einer M10 zurück zu kehren. Sicher ist, dass ich nicht zu einer M11-Monochrom upgrade, schon allein, weil die Leica M10-M was Auflösung oder Dynamik betrifft, für mich nichts zu wünschen übrig lässt. Warum sollte ich mir da den dämlichen Verschluss der M11-M antun?

Leica M10-M
Aqueduc. Leica M10-M mit 35mm Ultron bei f/2.8 1/125s ISO 1600 Filter RG715
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Am Canal de la Valée des Baux.Leica M10-M mit 35mm Ultron bei f/2.8 1/60s ISO 1600 Filter RG715

Wenn ich auf meinen Fahrten durch die Alpilles Landschaftsbilder mit der M10-M gemacht habe, dann immer mit Infrarot-Durchlassfilter. Auch das ist wieder mal reine Geschmacksache, aber ich finde den „infraroten“ Blick auf die Landschaft spannender, irgendwie surreal wegen des Wood-Effektes auf die Vegetation und dramatischer, weil der Himmel von Dunst freigefegt und der Wolkenkontrast extrem gesteigert ist. Das RG715-Filter ist der „sweet spot“, weil stark genug, um die genannten Effekte handgehalten mit der M10-M zu erzeugen. Im allgemeinen kommt man bei Sonnenschein (und sonst macht die IR-Fotografie sowieso keinen Sinn) z.B. mit 1/125s bei f/2.8 und ISO 1600 oder 3200 locker aus.

Leica M10-M
Arles. Leica M10-M mit 35mm Ultron bei f/2.8 1/60s ISO 1600 Filter RG715

Das Luma

Wenn man nach Arles fährt, hat man normalerweise die Altstadt mit Theater, Arena, Kryptoportiques und Thermen im Blick, aber nur ein paar hundert Meter vom Stadtkern entfernt befindet sich der „Parc des Ateliers“. Neben interessanten Veranstaltungen und Ausstellungen eine Oase der Ruhe. Und die Stadt Arles hat sich hier noch was gegönnt, nämlich das „Luma“, ein Turm, von keinem geringeren Architekten als Frank Gehry konstruiert. Von dem können wir in unserer Gegend auch berichten, das „Marta“ in Herford und das Energieforum in Bad Oeynhausen sind ebenfalls von ihm. In Paris war ich schon im „Fondation Louis Vuitton“, und seine Handschrift ist immer unverkennbar.

Diesen Turm wollte ich mal genauer in Augenschein nehmen. Man sieht ihn schon weithin, wenn man mit dem Fahrrad die Nebenstrecke von Maussane über Paradou, am Aqueduc vorbei die Route de Barbegal nimmt. Für S/W Architekturaufnahmen ist ein Rot-Filter der Klassiker, aber Infrarot ist auch gut geeignet. Für beides ist der Visoflex obligatorisch, der Messsucher (E-Messer) ist bei Infrarot falsch (weil auf sichtbares Licht) justiert, und der Rotfilter „Dunkel“ von B+W stimmt auch nicht genau.

Allerdings je nach verwendeten Objektiv. Bei dem 35er Ultron war da eine deutliche Diskrepanz zwischen Messsucher und EVF. Der Messsucher ist da unbrauchbar, ähnlich wie bei IR-Licht. Beim 50er Summicron (mein „normales“, nicht-Apo) stimmen EVF und E-Messer auch nicht.  Bei dem 35er Apo-Summicron ist kein Unterschied zwischen EVF und E-Messer oder er ist so gering, dass es keine praktische Bedeutung hat. Das passt zu den Eigenschaften eines echt apochromatischen Objektivs, da es alle Lichtfarben gleichartig brechen soll. Selbst mit dem IR-Durchlassfilter ist die Lichtbrechung des Apo nur marginal anders.

Das spielt bei Orange- oder Gelbfilter zum Glück keine Rolle, ohne Visoflex ist die Kamera schlanker und ich finde das fokussieren über das Messfeld des E-Messers praktischer.

Für die Aufnahmen am und im Turm benutzte ich das 35mm Ultron und das 21mm Color-Skopar, mit Infrarot(-Durchlass)-, Rot- und Orange-Filter. Wenn keine besonderen Veranstaltungen sind, ist der Einlass in den Turm kostenlos und man darf die meisten Ebenen betreten bis auf einige, die für die Verwaltung bestimmt sind. Ganz oben gibt es eine Aussichtsplattform über die Stadt im Westen, der Ebene bis zu den Etangs im Süden und den Alpilles im Norden. Die unteren drei Stockwerke sind nach innen offen, eine verschlungene Rutsche ist für den Spieltrieb und eine raffinierte Wendeltreppe mit einem rotierenden Spiegel darüber sorgt für ein lohnendes Motiv. Das sind übrigens Kunst-Installationen. Begründung für den architektonischen Ansatz laut Frank Gehry: „Wir wollten die lokale Verankerung von Van Goghs „Sternennacht“ bis hin zu den Felsblöcken der Alpilles hervorheben. Die Rotunde ihrerseits ist ein Echo der römischen Arena.“

Leica M10-M
Der Kammweg nach Glanum. Leica M10-M mit 35mm Ultron bei f/2.8 1/60s ISO 1600 Filter RG715

Glanum

Ich hab ’ne Schwäche für Ruinen, speziell römische. Bei uns in Ostwestfalen hat ja Arminius verhindert, dass die Römer lukrative Publikumsmagneten dieser Art zurückliessen. Ein Schaden für den Tourismus, für den man ihn leider nicht mehr belangen kann. Im Fall von Glanum kann man die Cleverness antiker Stadtplanung bewundern, z.B. mit Frisch- und Abwassersystem, während man noch tausend Jahre später in den mittelalterlichen Städten buchstäblich in der Sch… watete, kein Wunder, dass die Pestilenz einzog.

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Glanum, Unterstadt. Leica M10-M mit 35mm Ultron bei f/2.8 1/90s ISO 1000 Filter RG715

Ich machte mich gleich morgens mit dem Fahrrad auf den Weg. Es führt nämlich vom Pass des Val D’Enfer oberhalb von Les Baux ein Schotterweg mit schönen Aussichtspunkten über den Kamm bis zu dem Pass der D5, die Maussane direkt mit Saint Remy verbindet. Morgens ist ausserdem einfach an den touristischen Hotspots meist bis 11.00 Uhr noch nicht soviel los. Kurz vor dem Ort liegt Glanum (und St. Mausole) rechts der Strasse. Durch ein kleines Besucherzentrum mit Museum kommt man zur Ausgrabungsstätte und kann sich dort beliebig ergehen. Es gibt einen Aussichtspunkt, von dem aus man das Gelände und darüber hinaus Saint Remy erfassen kann. Führungen sind meist in Französisch, aber Audio-Guides sind auch vorhanden. Ich bevorzuge die kleine Broschüre mit nummerierten Informationen zu den Ausgrabungen, die man an der Anmeldung bekommt.

Ich fotografierte zunächst mit dem 35mm Ultron und wechselte zwischen IR-Durchlass und Rotfilter, dann kam das 50mm Summicron mit einem Orange-Filter vor die Kamera, um den Aufstecksucher zu vermeiden. Fall sich jemand nochmals über die unterschiedlichen Filtertypen bei S/W-Fotografie informieren will: Es ist noch nicht lang her, dass ich darüber ausführlich geschrieben habe.

S/W-Fotografie war der kleinste Teil von dem, was ich in der Woche abgelichtet habe. Nicht, weil es an Motiven mangelte. Aber meistens hatte ich eher die Q3 oder die M11 dabei und wollte keine weitere Kamera mitnehmen. Der Hauptzweck meines Besuchs in den Alpilles war ja auch nicht, jede Menge Fotos zu machen, sondern die Gegend zu geniessen und vor allem Rennrad zu fahren. Wenn zufällig Fotos für die Webseite zu gebrauchen sind, prima, ansonsten setze ich mich deswegen nicht unter Druck, denn da bleibt der Spassfaktor bei Fotografieren auf der Strecke.

6 Kommentare

  1. Johannes Geenen

    Schöne Bilder, nette Story wie immer. Die SW-Bilder sind sehr schön ausgearbeitet, das gelingt manch anderem Monochrom-Besitzer leider nicht immer.

    Nur den „dämlichen M11 Verschluss“ muss ich noch mal anmerken: mitnichten ist es notwendig, dass die M11 den Verschluss zweimal öffnen muss. Tatschlich reicht es aus, das Rollo Nr1 nach einer Belichtung einfach offen zu lassen und erst direkt vor der Belichtung wieder zu schließen. Es reichen also bei jeder M (seit der M3) genau 2×2 Rollobewegungen aus – nur der Startpunkt (Rollo 1 zu bzw. auf) ist ein anderer. Wenn die M11 wirklich lauter sein sollte als eine M10P bzw. M (sie ist jedenfalls nicht lauter als eine M10 Standard, das kann ich vergleichen), dann liegt es am Verschluss bzw. dessen Dämpfung.

    • Claus Sassenberg

      Hallo Johannes,

      gut zu wissen, aber ist das so bei der M11? Jedenfalls ist die M11 (oder die „normale“ M10) deutlich lauter als die M10-P, die fast leiser als eine M3 war.

      Viele Grüße,

      Claus

  2. Stefano Strampelli

    Hallo Claus,
    besten Dank für die SW-Bilder, die ich mir immer gerne anschaue. Bei mir hat es sich mittlerweile so entwickelt, dass die Monochrome meine Hauptkamera geworden ist. Die „Farb-M“ nehme ich nur, wenn ich denke, dass die Farben einen Mehrwert liefern oder wenn ich nicht nur für mich fotografiere. Die meisten Mitmenschen finden es ja meistens befremdlich, wenn es nur SW-Bilder gibt.

    Zum Verschluss: hier sind wir im Bereich der Meinungen. Um fair der M11-Familiie gegenüber zu sein, würde ich allerdings erwähnen, dass die Belichtungsmethode der M11 auch Vorteile hat, weil die Belichtung dadurch zuverlässiger ist. Ja, man kann sich mit der Belichtungsmethode der älteren Leica M’s wunderbar arrangieren. Es ist aber etwas umständlicher: Bereich anmessen, ggf. Belichtungskorrektur einstellen, Kamera schwenken und dann abdrücken. Manchmal (selten zum Glück) sind mir Bilder dadurch entgangen. Mal abgesehen davon, dass es im Bereich, wo ich die Belichtung angemessen habe, manchmal eine winzig kleine Lichtquelle im Hintergrund gab, die ich komplett übersehen habe. Das Ergebnis war eine Unterbelichtung um 5-6 Stufen. Auf dem Weihnachtsmarkt zwar selten aber auch kein absoluter Einzelfall.

    Zur Lautstärke des Auslösers kann ich nichts sagen. Ich hatte die „Basis“ M-10 und der Verschluss hatte zwar einen anderen Klang als der der M11, war aber weder leiser noch lauter. Hier hat sich für mich einfach nichts geändert.

    • Claus Sassenberg

      Hallo Stefano,

      der Verschluss der M10-P war deutlich leiser als der der „normalen“ M10 (ich hatte ja beide). Und das kriegt man bei der M11 so nicht mehr hin.

      viele Grüße,

      Claus

  3. Dr. Thomas Fischer

    Hallo Claus. Danke für einen weiteren tollen Monochrom-Artikel. Ich bin vor einiger Zeit auch endlich im Olymp der Leica-M Fotografie angekommen. Neben meiner M10P (welche nach deiner Kritik über den Verschluss und den Berichten über ständige Freezes im Netz der M11) auch bleiben wird, hat sich eine gebrauchte M10M Leitz Edition gesellt. Besonders bei der Bühnenfotografie mit dem APO75 gefällt mir die Monochrom extrem gut. Ansonsten nutze ich die Brennweiten 21, 35 und 50mm und bin damit zur Zeit wunschlos glücklich. Beste kollegiale Grüße aus Thüringen. Thomas

    • Claus Sassenberg

      Hallo Thomas,

      ich kann nur sagen: Halt die M10-P fest. Die Freezes sind nicht so schlimm (und die gab’s seit der M9 bei jedem Modell, ist Tradition 😉 ), aber obwohl ich jetzt nicht wirklich Lust habe, wieder downzugraden (der Sensor der M11 ist schon Super!), war ich mit der M10-P so zufrieden, dass ich ein bisschen bereue, nicht einfach dabei geblieben zu sein. Aber das ist Schnee von gestern. Die M11-P, die ich jetzt habe, ist wirklich ein Schmuckstück und sie funktioniert tadellos. Nochmals: Sie friert nicht dauernd ein. Es kommt vor, aber selten, und dann ist das leicht zu lösen.
      Bald ist auch bei mir wieder ein bisschen Bühnenfotografie mit der M10-M geplant (Ende Juni), da ist sie in ihrem Element.

      Viele Grüße,

      Claus

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