Es ist eine pragmatische Wahl – da sind wir uns wohl alle einig, wenn es um Voigtländer-Objektive geht. Nun hat Voigtländer/Cosina zwei Objektive in beliebten Brennweiten herausgebracht, die diesen Pragmatismus auf die Spitze zu treiben scheinen. Das Duo Voigtländer Color-Skopar 2,8/28 und Ultron 1,9/75 ist klein, leicht und preiswert. Was könnte man mehr wollen?

Der Innovationsmotor bei Voigtländer/Cosina scheint zu schnurren. Jedes Jahr bringt das Unternehmen ein paar neue M-Mount-Objektive auf den Markt. Viele davon scheinen sich an Leute zu richten, die tatsächlich fotografieren. Nicht mehr so die Renommierdaten, kaum mehr krasse Exoten, eher Mainstream. 

Das Voigtländer Color-Skopar 2,8/28 und das Ultron 1,9/75 mögen als zwei perfekte Beispiele für diesen Ansatz durchgehen. Sie sind nicht super lichtstark, und sie haben auch sonst nichts Spektakuläres an sich. Aber zu einem moderaten Preis decken sie die Bedürfnisse vieler Messsucher- und anderer Fotografen ab, die Leica mit seiner zunehmenden Positionierung im Luxussegment nicht mehr so richtig bedienen kann.

Voigtländer Color-Skopar 2,8/28 und Ultron 1,9/75 – eine interessante Kombination

Ich habe beide Objektive über einen längeren Zeitraum verwendet, hauptsächlich als Duo. Das 28er ist in meinen Augen die vielseitigste „halbwegs weite“ Brennweite in der Messsucherfotografie – ich bin kein so großer Fan von externen Suchern und noch weniger von Fotografieren mit Live View am ausgestreckten Arm. Das 75er deckt für mich eine spannende Lücke ab als leicht längeres Normalobjektiv, und mit Lichtstärke 1,9 bietet es wahrlich genug Spielraum für selektive Schärfe. Was die Brennweiten angeht, bilden das 75er und das 28er auf jeden Fall schon mal ein gutes Team (das 28-70er Zoom war lange Zeit aus gutem Grund ein Standard).

In gewisser Weise erinnert das Kit ein wenig an die Voigtländer-Kombination aus 1,4/21 und 1,5/75, die ich in Folge 20 der M-Files besprochen habe. Zugegeben, ein 21er spielt in einer anderen Liga als ein 28er, und die „bezahlbaren Summiluxe“ sind natürlich wesentlich größer, schwerer und teurer als ihre lichtschwächeren Geschwister. Aber der Ansatz ist ähnlich, finde ich. Ich habe das Voigtländer Color-Skopar 2,8/28 und das Ultron 1,9/75 hauptsächlich mit der M10 und der M10 Monochrom verwendet, wobei letztere meine Referenzkamera für die Auflösung war. Für einige zusätzliche Tests habe ich auch die SL2 verwendet. Alle Fotos wurden ohne kamera-interne Korrekturprofile aufgenommen.

Zwei Brennweiten, die nun auch schon lange M-Standards sind…

Das Voigtländer Color-Skopar 2,8/28 und das Ultron 1,9/75 können eine beeindruckende Ahnenreihe vorweisen. Beide Brennweiten können heute mit Fug und Recht als Messsucher-Klassiker durchgehen: Die Leica M4-P aus dem Jahr 1980 war die erste Kamera mit Rahmenlinien für diese beiden Brennweiten, und diese Ausstattung sollte dann auch bis heute Standard bleiben. Leica hat überdies seit der Einführung des Summilux 75 im Jahr 1980 kontinuierlich mindestens ein 75-mm-Objektiv im Programm. Die 28-mm-Brennweite hat eine noch längere Geschichte in der Leica-Welt. Laut Erwin Puts kam das erste 28er, ein Hektor, bereits 1935 auf den Markt.


Voigtländer Color-Skopar 2,8/28 

Technische Daten, Lieferumfang, Preis und Verfügbarkeit

Das Voigtländer Color-Skopar 28mm F2,8 – so der vollständige, vorne eingravierte Name – kam im Juli 2023 auf den Markt und ist in sechs verschiedenen Varianten erhältlich. Typ I hat ein eher nostalgisches Aussehen, ähnlich dem Heliar 40/2.8, ist aus Messing gefertigt und in schwarzem Glanzlack oder in Silber erhältlich. Außer mit M-Bajonett ist dieser Typ auch mit M39-Schraubgewinde erhältlich. Der Typ II ist moderner und besteht aus Aluminium. Das Gewicht gibt Voigtländer mit 143 Gramm für Version I und nur 106 Gramm für Version II an. In meiner Tasche, also mit der mitgelieferten Gegenlichtblende und den vorderen und hinteren Deckeln, habe ich für mein Objektiv der Version II immer noch sehr leichte 130 Gramm gemessen.

Danke, Voigtländer, für den Lieferumfang…

Das Objektiv wird mit einem Kunststoff-Schnapp-Frontdeckel geliefert, der aber nur ohne Gegenlichtblende verwendet werden kann. Wenn man die Streulichtblende anbringt, muss man den ebenfalls mitgelieferten Metalldeckel benutzen. Die Blende selbst ist nicht viel mehr als ein kleiner Ring (bei der kurzen Brennweite kommt es doch schnell zu Vignettierung), aber es ist trotzdem schön, dass Voigtländer sie ohne Aufpreis beilegt. Positiver Nebeneffekt: Das Objektiv hat nicht den glänzenden und bisweilen ungut glänzenden silbernen Bajonettring für die üblichen Voigtländer-Streulichtblenden. 

Das Voigtländer Color-Skopar 2,8/28 Typ II wird mit Standard-E39-Filtern verwendet, wie sie ja auch bei Leica-Objektiven weit verbreitet sind. In diesem Fall wird erst der Filter aufgeschraubt und dann die Streulichtblende obendrauf. Also unbedingt einen „slim“-Filter nehmen. Oder man lässt die Streulichtblende ganz weg und genießt die Kleinheit dieses Objektivs. Es ist gerade mal 24 mm lang (Außenlänge, Gesamtlänge: 32 mm) bei einem Durchmesser von 51 mm. 

Das erst 2023 eingeführte Voigtländer Color-Skopar 2,8/28 ist in den beschriebenen Ausführungen für 649 € neu erhältlich. Dieses bemerkenswert kompakte Objektiv (in der Tat eines der kleinsten M- -Objektive, die jemals hergestellt wurden) schien zunächst nicht ganz leicht zu bekommen sein, aber inzwischen man wird schon fündig. Das Objektiv kommt ohne Köcher. Wer einen braucht: Der OP/TECH Fold-Over Pouch 251 aus Neopren ist perfekt.

Voigtländer Color-Skopar 2,8/28: Optik und Abbildungsleistung

Aufbau

Das Voigtländer Color-Skopar 2,8/28 ist komplexer konstruiert, als man angesichts der geringen Größe erwarten würde. Das Objektiv besteht aus acht Elementen in fünf Gruppen. Es hat eine doppelseitige asphärische Linse und zwei Linsen, die Voigtländer mit „atypischer Teildispersion“ charakterisiert. Wie viele neuere Voigtländer-Objektive fokussiert es runter bis auf 0,5 m und reicht damit über die Messsucher-Grenze von 0,7 m hinaus. Da hatte man offensichtlich Anwender im Blick, die das Color-Skopar via Adapter auf eine spiegellose Kamera mit elektronischem Sucher setzen.

Farbabweichungen und Vignettierung

Der Begriff colour drift bezieht sich auf das Phänomen, dass bestimmte Objektive, vor allem Weitwinkelobjektive, seitliche Farbstiche (oft rot auf der einen und grün auf der anderen Seite, daher auch „italian flag“) erzeugen können. Dieser wird dadurch verursacht, dass die Lichtstrahlen in einem sehr steilen Winkel auf den Sensor treffen. Die weit von der Bildmitte entfernten Pixelsensoren werden in diesem Fall nicht richtig ausgeleuchtet. Das Voigtländer Color-Skopar 2,8/28 leistet sich in dieser Hinsicht keine Schwächen. Und das ist auch gut so, denn solche Farbverschiebungen lassen sich nur mühsam korrigieren. Vignettierung ist in einem digitalen Workflow viel einfacher zu beheben. Das Color-Skopar weist bei offener Blende eine gewisse Vignettierung auf, die aber nicht dramatisch ist. 

Chromatische Aberration

In der Schärfeebene konnte ich so gut wie nichts von CAs entdecken und nur relativ wenig in unscharfen Bereichen. Das Color-Skopar ist tatsächlich ziemlich gut korrigiert. Damit tritt es den Beweis dafür an, dass eine moderate Lichtstärke, eine geringe Größe und ein erschwinglicher Preis in einem Objektiv durchaus erreicht werden können.

Schärfe

Auch hier gibt es nichts zu beanstanden. Das Color-Skopar hat eine sehr gute Schärfeleistung schon bei Offenblende und verbessert sich beim Abblenden auf 4 noch ein wenig. Selbst feinste Strukturen werden gut aufgelöst, auch wenn die Motive nicht so viel Kontrast bieten. Okay, bei den Schwarz-Weiß-Bildern könnte die Verwendung des Gelbfilters zu einer kontrastreicheren Darstellung und damit einem guten Schärfeeindruck durchaus beigetragen haben. Aber auch an der 47 Megapixel auflösenden SL-2 macht das kleine Voigtländer tatsächlich eine sehr gute Figur.

Bokeh und Streulicht

Ein 28-mm-Objektiv mit einer maximalen Blendenöffnung von 2,8 kann schon aus optischen Gründen kein Bokeh-Wunder sein, denn es bietet in den meisten Fällen eine große Schärfentiefe. Im Nahbereich und bei offener Blende jedoch kann man durchaus ein wenig mit selektiver Schärfe spielen. In solchen Fällen ist das Hintergrund-Bokeh in meinen Augen echt schön. Streulicht kann durch die Sonne oder eine andere Lichtquelle im oder kurz vor dem Bild entstehen. Meist packt das Color-Skopar super weg, in anderen Fällen kann meist schon eine kleine Änderung des Standpunkts des Fotografen Abhilfe schaffen (ein elektronischer Sucher ist in solchen Fällen sehr hilfreich!). Die mitgelieferte Streulichtblende kann in solchen speziellen Fällen nützlich sein.

Mein Fazit, Optik

Das Voigtländer Color-Skopar ist ein exzellentes Objektiv mit sehr guter Auflösung und Schärfe, besonders leicht abgeblendet, und hervorragendem Streulichtverhalten (für ein 28er ziemlich wichtig!). Auch unter schwierigen Bedingungen kann man sich auf scharfe und kontrastreiche Ergebnisse verlassen. Chromatische Aberrationen treten moderat auf und müssen ggfs. nachbearbeitet werden.

Voigtländer Color-Skopar 2,8/28: Mechanik und Handhabung

Erster Eindruck

Ich wiederhole mich, aber dieses Objektiv ist klein. Sehr klein sogar, es ist eines der kleinsten Vollformat-Objektive, die ich je gesehen habe. Mit der aufschraubbaren Gegenlichtblende legt es ein wenig an Größe zu, aber die Kompaktheit bleibt erstaunlich. Sowohl der Fokussier-Fingergriff als auch der geriffelte Blendenring sind sehr hilfreich für die Ergonomie. Obwohl der Platz sehr knapp bemessen ist, sind alle Beschriftungen gut lesbar und die Gravuren sind präzise in Weiß ausgelegt (Fuß-Skala in recht dunklem Rot).

Verarbeitung

Alles ist aus Metall und Glas, wie von Voigtländer gewohnt. Die einzigen Kunststoffteile sind der eine Frontdeckel, der Rückdeckel und der rote Indexknopf für die korrekte Montage. Das Voigtländer Color-Skopar 2,8/28 scheint den Objektiven von Leica das Wasser reichen zu können, aber vielleicht sieht man nach ein paar Jahrzehnten intensiver Nutzung doch einen Unterschied. Auf jeden Fall ist es ein schön gemachtes, offensichtlich robustes Objektiv.

Scharfeinstellung

Der Fokussierring lässt sich um etwa 120 Grad drehen und funktioniert sehr gut, nicht zu schwergängig und nicht zu locker. Die Sechs-Uhr-Position ist bei einer Entfernungseinstellung von etwa 1,1 Metern, was für Messsucherobjektive eine Art Standard ist. In Anbetracht der optisch vorgegebenen, systemimmanenten Schärfentiefe eines 2,8/28-Objektivs ist der Fokussierweg großzügig, aber auf der kurzen Seite, man bedenke die 0,5-Meter-Naheinstellgrenze, das ist praktisch. Der Fingergriff aka Fokussierlasche hilft bei dem schnellen Scharfstellen.

Sucher

Bei Unendlich und ohne Streulichtblende ist der Sucher nur minimal verdeckt. Im Nahbereich und mit aufgesetzter Streulichtblende wird die untere rechte Ecke etwas blockiert, aber nie in einem kritischen Ausmaß. Wer mit dem Messsucher Erfahrung hat und weiß, wie man ein 28-mm-Objektiv mit dem Kamerasucher handhabt, dürfte keine Probleme bekommen. Schwerer wiegt die Tatsache, dass Brillenträger oft Schwierigkeiten haben, die 28-mm-Rahmenlinien im Sucher überhaupt zu erkennen. Aber das ist natürlich ein allgemeines Problem und hat nichts mit diesem speziellen Objektiv zu tun.

Mein Fazit, Handhabung

Wer mit 28-mm-Objektiven an der Messsucherkamera zurechtkommt und für die eigene Arbeitsweise kein lichtstärkeres Objektiv braucht, hat mit dem Voigtländer Color-Skopar 2,8/28 ein wunderbares Objektiv, das man schnell ins Herz schließen kann. Und für seine geringe Größe ist seine Ergonomie erstaunlich.

Voigtländer Color-Skopar 2,8/28: Alternativen

Mehrere Firmen haben im Laufe der Jahrzehnte eine enorme Anzahl von mittel-lichtstarken 28-mm-Objektiven für die M-Bajonett auf den Markt gebracht. Leicas Elmarit 2,8/28 gab es in der Vor-ASPH.-Ära in vier Versionen, und jetzt ist es bereits in der zweiten ASPH-Iteration. Konica bot ein 2,8/28 für das Hexar mit dem sogenannten KM-Anschluss an (siehe Folge 3 der M Files). Minolta hat auch ein 28er für die CLE hergestellt, das im puncto Kleinheit fast mit dem Color-Skopar konkurrieren kann (Bericht in Teil 8 der M Files). Eine weitere Option ist das Zeiss Biogon 2,8/28. Das ist ein etwas größeres, aber sehr leistungsstarkes Objektiv (ebenfalls hier in der Messsucherwelt besprochen). 

Das Color-Skopar ist aufgrund seiner winzigen Größe und seines geringen Gewichts ziemlich einzigartig im M-Mount-Universum (und darüber hinaus), und sein Preis ist wirklich attraktiv. Wer nicht viel in Innenräumen fotografieren muss oder eine Digitalkamera mit guter ISO-Leistung hat, trifft mit dem 2,8/28 von Voigtländer eine sehr gute Wahl.

Natürlich gibt es auch lichtstärkere 28-mm-Objektive. Das Summicron von Leica hat einen fantastischen Ruf für Schärfe und Auflösung. Voigtländer bietet, nicht sehr viel teurer als das 2,8er, ein 2,0/28 Ultron an, das sehr gelobt wird. Außerdem hat Voigtländer gerade ein bemerkenswert kompaktes Nokton 1,5/28 herausgebracht, von dem ich aber noch nicht so viel gehört habe. Die chinesische Firma 7Artisan hat ebenfalls ein 28/1,4 im Programm.

Voigtländer Color-Skopar 2,8/28: Das letzte Wort

Wer ein leistungsstarkes und unkompliziert zu benutzendes 28-mm-Objektiv im Pancake-Stil sucht und wem die 2,8er Lichtstärke ausreicht, kann die Suche hiermit einstellen. Einfach das Voigtländer Color-Skopar kaufen und dann überallhin mitnehmen, dafür ist dieses Objektiv wie geschaffen.


Voigtländer Ultron 1,9/75

Technische Daten, Lieferumfang, Preis und Verfügbarkeit

Voigtländer und seine Nomenklatur! Sie ist so fast so uneinheitlich wie das äußere Design der Objektive. Das 75er heißt, mit vollem Namen, Voigtländer Ultron 75mm F1.9 MC. Letzteres deutet auf die verschiedenen Vergütungsvarianten hin, die für dieses Objektiv angeboten werden: MC für eine moderne Mehrfachvergütung und SC für eine eher „klassische“ Einfachvergütung. Beide Versionen sind nur in mattem Schwarz erhältlich.

Das Ultron 75 ist recht kompakt und wiegt 290 Gramm (318 Gramm mit beiden Deckeln und Streulichtblende). Die Länge beträgt 54 mm (außen, Gesamtlänge 62 mm) bei einem Durchmesser von 57 mm. Das vordere Element hat ein Schraubgewinde für 49-mm-Filter, das ist ein wenig exotisch in der Leica-Welt (zumindest am APO-Summicron 75 und am Summilux 28 aber vorhanden), doch ansonsten sehr weit verbreitet. 

Das Ultron 75 ist ein weiteres Objektiv, das mit einer einschraubbaren Streulichtblende ausgeliefert wird, und mit einer zusätzlichen Länge von 14 mm ist diese Blende sogar recht effektiv. Auch hier gibt es kein Bajonett für eine andere Streulichtblenden, so dass das Objektiv ganz in Schwarz gehalten ist. Der Kunststoff-Schnappdeckel funktioniert auch hier nur ohne aufgesetzte Blende. Für die Verwendung mit der Gegenlichtblende legt Voigtländer einen zweite, ganz aus Metall gefertigten Stülpdeckel. Er funktioniert aber auch mit dem nackten Objektiv, was tatsächlich ganz clever ist.

Voigtländer brachte das Ultron 1,9/75 als eine Art Nachfolger des früheren 1,8/75 im Januar 2023 heraus. Beide Versionen scheinen problemlos lieferbar zu sein. In Deutschland beträgt die UVP 749 €. Wer einen Köcher haben will (ich zum Beispiel mag das ganz gern) findet in der OP/TECH 253 aus Neopren die perfekte Größe. Das Etui bietet hervorragenden Schutz und hat keine scheuernden Teile.

Voigtländer Ultron 1,9/75: Optik und Abbildungsleistung

Beispielbild zeigt Abbildungsleistung des Voigtländer Ultron 1,9/75 VM
Aussichtspunkt. Greenwich Village, mit Blick auf Canary Wharf. Voigtländer Color-Skopar 2,8/28, Gelbfilter, Leica M10 Monochrom, f/4, 1/1000 sec, ISO 200

Aufbau

Das Voigtländer 1,9/75 gehört zur Ultron-Serie, und diese bietet laut Hersteller „eine durchweg sehr gute Schärfeleistung mit einem ausdrucksstarken Bild Look, der bei manchen Anwendern Reminiszenzen an die frühe Farbfilmfotografie weckt“. Die sieben Elemente sind in fünf Gruppen angeordnet. Nicht weniger als drei Elemente sind aus Teildispersionsglas gefertigt. Anders als beim APO-Summicron-M 2,0/75 von Leica sind aber keine Floating Elements oder Asphären vorhanden.

Farbabweichungen und Vignettierung

Ich habe oben erklärt, was ich mit colour drift meine. Das Voigtländer Ultron 1,9/75 zeigt keine solchen Fehler, was man bei einem neu konstruierten 75mm-Objektiv freilich auch erwarten kann. Aber es ist trotzdem schön. Die Vignettierung ist beträchtlich, vielleicht wegen des für die Lichtstärke doch eher knappen Durchmessers der Frontlinse. Lightroom hat (noch) kein Profil für dieses Objektiv, aber die Vignettierung ist leicht manuell zu korrigieren.

Chromatische Aberration

Das Voigtländer Ultron 1,9/75 ist in der Schärfeebene gut korrigiert. Das Ausmaß der CA ist hier tatsächlich minimal, was für ein Objektiv dieser Klasse eine beachtliche Leistung ist. Im unscharfen Bereich können jedoch schon ordentlich chromatische Aberrationen auftreten. Wer sich daran stört oder keine Lust hat, das in der Nachbearbeitung zu korrigieren, könnte mit dem Ultron 75 vielleicht tatsächlich nicht ganz glücklich werden.

Schärfe

Voigtländer behauptet, dass die Objektive der Ultron-Serie einen „klassischen“ Look haben. Wenn damit gemeint ist, dass das Objektiv bei voller Blende ein wenig weich ist, kann ich dem zustimmen. Selbst wenn man bei Blende 1,9 und aus der Nahdistanz die Schärfe trifft, glaubte ich häufig eine gewisse Weichheit festzustellen. Das bedeutet nicht, dass man keine ordentlich scharfen Bilder bekommen kann. Doch insbesondere bei der SL2 habe ich einen bemerkenswerten Unterschied zum APO-Summicron-SL 75 festgestellt. Aber vielleicht ist das auch kein fairer Vergleich.

Bokeh und Streulicht

Auch ohne die kleine Streulichtblende meistert das Voigtländer Ultron 1,9/75 selbst sehr komplizierte Lichtverhältnisse mit Bravour. Ich habe viel ausprobiert, aber es ist mir kaum gelungen, Schleier oder andere Fehler zu verursachen. Wer mit Flares liebäugelt, sollte also zur einfach vergüteten Version greifen. Das Bokeh ist sicherlich Geschmackssache. Mir würde es besser gefallen, wenn es ein bisschen cremiger wäre. Geometrische Strukturen in unscharfen Bereichen können etwas unruhig wirken. Lichtpunkte am Bildrand erscheinen katzenaugenförmig, ein weiterer Preis für die kompakte Bauform bei dieser beträchtlichen Lichtstärke. 

Mein Fazit, Optik

Das Voigtländer Ultron 1,9/75 ist ein leistungsstarkes Objektiv für viele Einsatzzwecke. Eine gewisse Weichheit bei Offenblende könnte für Porträts willkommen sein, und etwas abgeblendet zeichnet es schön scharf. Das Streulichtverhalten ist sehr beeindruckend, und die restlichen chromatischen Aberrationen können im digitalen Workflow korrigiert werden.

Voigtländer Ultron 1,9/75: Mechanik und Handhabung

Erster Eindruck

Das Voigtländer Ultron 1,9/75 ist ein kompaktes Vollformatobjektiv mit einem charakteristischen, leicht nach außen gewölbten Fokusring. An der länglichen Form erkennt man, dass es sich um ein kurzes Teleobjektiv und nicht um eine normale 50-mm-Optik handeln muss. Die mattschwarze Beschichtung (oder Farbe?) verleiht dem Objektiv für meinen Geschmack ein recht elegantes Aussehen. Wie beim 2,8/28 sind alle Beschriftungen tadellos. 

Qualität der Verarbeitung

Das Objektiv scheint sehr gut verarbeitet zu sein. Sowohl der Blenden- als auch der Fokussierring haben kein Spiel und sind angenehm zu bedienen. Der Bajonettanschluss entspricht dem gewohnt hohen Voigtländer-Standard. Da ist auf jeden Fall ein langlebiges Objektiv ohne Kunststoffelemente, das sich radikal von dem unterscheidet, was die Branche sonst auf den Markt wirft. Und es ist schwer, den sechsmal höheren Preis des APO-Summicron 75 von Leica allein mit der Fertigungsqualität zu rechtfertigen.

Scharfeinstellung

Der Fokus rotiert um etwa 100 Grad von 0,5 m bis unendlich. Auch hier denkt Voigtländer offensichtlich an andere Nutzer als an eingefleischte Leica-Messsucherkamera-Besitzer. Im Nahbereich ist ein guter elektronischer Sucher unabdingbar (abgesehen von einer ruhigen Hand). Eine Fokussierlasche gibt es nicht, aber es sind auch so alle Bedienelemente leicht zu finden, auch ohne sie zu sehen.

Sucher

Wenn man mit einem 75-mm-Objektiv an einer Messsucherkamera arbeitet, nutzt man ja nur einen sehr kleinen Teil des Suchers. Wenn ich durch meine M10 schaue, besteht der 75-mm-Rahmen eigentlich nur aus den vier Ecken. Mit dem Ultron 75 wird das Sucherbild bei unendlich gar nicht und auch bei voller Naheinstellung nur wenig verdeckt. Wichtiger ist ohnehin, daran zu denken, dass mit diesem Objektiv auf der Kamera nicht die viel markanteren 50-mm-Rahmenlinien maßgeblich sind. Nachdem ich zuletzt eine gewisse 75er-Pause hatte, war ich mehr als einmal überrascht, „so wenig in meinen Bildern“ zu finden…

Mein Fazit, Handhabung

Das Voigtländer Ultron 1,9/75 ist einfach zu handhaben und macht Spaß. Die Ergonomie ist toll, das Gewicht für meinen Geschmack genau richtig. Der Blendenring klickt, wie bei Voigtländer üblich, deutlich wahrnehmbare bei halben Werten. Allerdings sind die Abstände zwischen den einzelnen Rastungen nicht ganz konstant und werden kleiner, je weiter man die Blende schließt.

Voigtländer Ultron 1,9/75: Alternativen

Die 75-mm-Brennweite hat für M-Mount ja schon eine gewisse Tradition. Leica hat sie mit dem damals spektakulären Summilux begründet, und die Lichtstärke 1,4 ist immer noch ein Statement. Inzwischen gibt es ein gewaltiges f/1.25 Noctilux. Und das immer noch aktuelle APO-Summicron 75 mit seiner Ausgangsblende 2 ist bei vielen seiner Besitzer sehr beliebt, so auch bei Blog-Gastgeber Claus Sassenberg. Und nicht zu vergessen die schönen Summarit-Objektive, mit Lichtstärke 2,5 in der ersten und 2,4 in der zweiten Version. 

Voigtländer hat die 75er-Brennweite bisher mit Lichtstärke 1,8 (Heliar Classic) und 2,5 (Color Heliar) Objektiven abgedeckt, im aktuellen Programm gibt es neben dem Ultron auch ein Objektiv mit Ausgangsblende 1,5. Dieses Voigtländer Nokton 1,5/75 habe ich in Folge 20 der M-Files vorgestellt. Unter all den 75mm-Optionen nimmt das 2023 Ultron insofern eine Sonderstellung ein, als es kleine Abmessungen mit hoher Lichtstärke zu einem vernünftigen Preis kombiniert. Wenn ein kleines Plus an Größe und Preis in Ordnung geht, wäre das ebenfalls gute Nokton 1,5/75 also eine Überlegung wert. 

Voigtländer Ultron 1,9/75: Das letzte Wort

Das Voigtländer Ultron 1,9/75 verspricht (schon mit seinem Namen) ultimative Bildqualität. Obwohl es eine gute Leistung abliefert, ist es nicht perfekt. Bei Offenblende tritt etwas sphärische Aberration auf (laut Voigtländer absichtlich), und es verfügt nicht über die perfekte apochromatische Korrektur anderer kurzer Teleobjektive. Dennoch ist es eine gute Wahl für Porträts und, etwas abgeblendet, auch für Landschaft und Architektur bestens geeignet.


Voigtländer Color-Skopar 2,8/28 und Ultron 1,9/75: Meine Schlussfolgerungen

Natürlich kann nur jede und jeder selbst wissen, ob eine 28/75er-Kombination das Richtige für sie oder ihn ist. Objektiv gesehen handelt es sich um ein sehr vielseitiges Duo, das innerhalb der Grenzen des Messsucher-Prinzips viel bietet. Das 28er ist das weiteste Objektiv, das sich ohne zusätzliches Zubehör verwenden lässt, und das 75er ist ein guter Kompromiss aus noch gut schaffbarer Scharfeinstellung und erkennbarer Telewirkung. Und unter allen 28/75er-Kombinationen sind das Voigtländer Color-Skopar 2,8/28 und das Ultron 1,9/75 eine empfehlenswerte Wahl. Sie sind kompakt und erschwinglich und liefern eine hervorragende Bildqualität. Nur zur Erinnerung: Das Paket kosten rund 1400 Euro – weit weniger als das günstigste Leica Objektiv allein.

Mit dem Voigtänder-28 wird die M fast zur (Mantel-) Taschenkamera

Das Voigtländer Color-Skopar 2,8/28 ist vor allem wegen seiner geringen Größe interessant. Es macht eine M-Kamera fast taschentauglich, wenn man die Streulichtblende weglässt (die ohnehin keinen großen Nutzen hat). Für seine geringe Größe und seinen Preis bietet es eine hervorragende Wiedergabe. In dieser Hinsicht ist es ein M-Mount-Objektiv wie aus dem Lehrbuch und kommt jenen Werten nahe, für die Leica einst so berühmt wurde. Das Ultron 1,9/75 ist ebenfalls ein sehr gutes Objektiv, aber man muss einige Kompromisse eingehen, wenn es um Schärfe, Vignettierung und chromatische Aberration geht. Etwas Abblenden scheint zu helfen (auch, um zu fokussieren – bei Offenblende hat man nicht viel Schärfentiefe).

Ich werde weiterhin beide Objektive verwenden, aber für Reisen werde ich wohl eher ein gutes 50er zum Voigtländer Color-Skopar 2,8/28 dazunehmen, und vielleicht dann doch ein 90er, um alle Optionen zu haben. Das Voigtländer Ultron 1,9/75 wird mehr für Porträts verwendet werden, aber es wird mich doch immer daran erinnern, dass das Leica APO-Summicron-M 75 da doch nochmals andere Qualitäten hat.


Die M-Files: M-Mount-Objektive, -Kameras und passendes Zubehör jenseits von Leica M

Die M-Files sind ein Langzeit-Projekt. Es konzentriert sich auf Foto-Ausrüstungsteile mit oder für Leica M-Bajonett, die von anderen Firmen als Leica hergestellt werden/wurden oder die sonstwie nicht zum M-System von Leica gehören. Es verfolgt einen mehr oder weniger enzyklopädischen Ansatz, ohne wissenschaftlich zu sein. Der Schwerpunkt liegt immer auf der praktischen Nutzung von Kameras, Objektiven und anderen Produkten. Zu den in den M-Files besprochenen Ausrüstungsteilen gehören Kameras, Objektive, Sucher, Belichtungsmesser und mehr. Einige der Marken auf der wachsenden Liste sind Billingham, Contax, Gossen, Konica, Minolta, Rollei, Sekonic, Voigtländer und Zeiss.

Hier geht es zum M-Files Navigator, der einen einfachen Zugang zu allen Artikeln auf Deutsch und Englisch und Reviews nach Produkttyp und Marke ermöglicht.

Find out more about the project and get access to all English versions of the M Files episodes (including this article in English) on www.macfilos.com.

Ein Kommentar

  1. Lieber Joerg-Peter.
    Auf diesen Artikel habe ich gewartet- er war ja mit Ankündigung.
    Es ist eigentlich von der Brennweite her die Kombi. mit der ich auch in der Reisefotografie 95 Prozent abdecke.
    Was die Anfangsöffnungen betrifft, ich bin weg von der maximalen Blendenöffnung. Denn wie will ich eine Geschichte erzählen, wenn sich der Kontext eines Bildes in wohlfeiler Creme auflöst.
    Seit dem ich die 75er Brennweite für mich entdeckt habe, vermisse ich weder 50mm noch 90mm. Letztere ist gerade mal 15mm vom 75er entfernt.
    Vor allem gefällt mir, dass ich mit dem 75er sehr nah sein kann und für Messsucherwelten damit schon in den Sphären des Makro bin. So habe ich mit diesen beiden Brennweiten leichtes Gepäck und bin für alle Eventualitäten gerüstet. In der Tat spiele ich sogar mit dem Gedanken, 21 und 135er wieder abzustoßen, um mir das Leben einfach leichter zu machen. Portraits mache ich noch noch mit 75mm. Museen, Konzerte oder Oldtimer ebenso. Reise fast nur 28mm, mit passenden Nahaufnahmen eines 75er.
    Liebe Grüße in den Süden.
    Kai

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