Sehnsucht nach Osttirol
Am besten wäre es vielleicht, gar nicht über das Defereggental zu schreiben, denn mir ist es ganz lieb, dass es viele nicht auf dem Schirm haben. Der Tourismus dort ist recht sanft, man merkt direkt den Unterschied, wenn man über den Staller Sattel (den Pass) in das benachbarte Südtirol fährt.

St. Jakob ist der Hauptort und ich war vor vielen Jahren das erste mal dort, zum Skilaufen. Seither immer wieder, und es gibt einige Blog-Beiträge (meist im Zusammenhang mit Leica Q), in der das Skigebiet eine prominente Rolle spielt. Unvergesslich für mich ist eine Touring-Ski Tour am Staller Sattel im Licht des Vollmonds, die ich mit der Leica Q festhielt. Aber in den letzten Jahren war ich auch im Sommer oder Herbst im Tal. Wandern und Mountainbiken kann man selbst nach eigenem Vermögen dosieren, ich nehme sogar das Rennrad mit. Selbst wenn die Streckenauswahl dafür begrenzt ist, ist das z.B. eine „Challenge“, von Huben (Eingang des Tals) bis zum Staller Sattel zu fahren. Oder nach St. Veit hoch, denn Steigungsprozente von 16-18% können einen ganz schön fertig machen. Naja, Rennradfahrer müssen halt leidenswillig sein. An Höhenmetern herrscht kein Mangel.
Im Slider: Bilder vom Staller Sattel, wenn ich mit dem Rennrad oben war oder eine leichte Wanderung um den See machte
Hintergrundinfo

Bekanntermassen ist das Leben kein Wunschkonzert, denn einige Wochen vor dem geplanten Urlaub stellte sich heraus, das außer mir überhaupt keiner aus der Familie weg konnte. Meine Frau wusste, dass ich immer noch (trotz der Ardèche-Woche) mega-urlaubsreif war und schickte mich los.
In der Praxis wird es immer verrückter, aber nicht wegen meiner Patienten, eher wegen der vor Fehlplanung strotzenden sogenannten „Digitalisierung“ und der absolut überkandidelten Bürokratie, die einem das Mark aus den Knochen saugt. Meine eigentliche Arbeit (was ich mal studiert habe) tue ich immer noch gerne. Zum anderen: In meinem sozialen Umfeld gab es wochenlang Stress, weil das Kreiskirchenamt gerne die Stelle unserer Kirchenmusikerin einsparen wollte. Als Vorsitzender des Fördervereins (für die Kirchenmusik) war ich in der Opposition. Tatsächlich konnte diese Abwicklung eines ganzen Kulturzweigs unserer Stadt abgewendet werden. Das ist eine längere Geschichte und involviert den Einsatz diverser sachkundiger Menschen, einer Unterschriftenaktion, eines Flashmobs und mehrerer offener Briefe, bis es (O Wunder!) zu einem Einsehen und Kompromiss kam.
Das Urlaubsziel hatte ich mir selbst ausgesucht: Ich wählte die sprichwörtliche Einsamkeit der Berge, um meinen „sozialen Akku“ wieder zu laden. Allein mit mir zu sein ist kein Problem für mich, es bedeutet sogar eine gewisse Freiheit, denn ich war immer ein Eigenbrödler. „Einsam“ fühlte ich mich aber nicht, Telefon oder Facetime mit den meinen waren jeden Tag angesagt. Wirklich einsam ist man nur, wenn man niemanden mehr hat, zu dem man zurückkehren kann.

Boxenstopp für die Leica Q3 43

Kurz nach der Ardèche-Fahrt war mir aufgefallen, dass an einer Stelle auf jedem DNG der Q3 43 ein „Cluster“ von toten Pixeln war. Betrachtete man das Bild als Ganzes, war das kaum (oder gar nicht) wahrzunehmen. Ich verfolgte das Phänomen mehrere Wochen zurück, wo sich das Problem langsam eingeschlichen hatte. Aber jeder mit Systemkamera kennt das: Hat man erst mal einen Sensorfleck entdeckt, sieht man den auf jedem Bild. Ein Telefongespräch mit einem sehr netten Mitarbeiter vom Customer Care ergab, die Kamera zur Prüfung einzusenden. Tja… und das Ende vom Lied war, dass der Sensor komplett getauscht wurde. Inklusive Service der Kamera ergab sich ein Kostenfaktor von 2000 Euro, die aber unter Garantie fielen, denn das gute Stück war ja erst ein halbes Jahr alt. Ein Lob für den Customer Care: Da gab es keine Diskussion und ausserdem war die Kamera innerhalb von zwei Wochen wieder da, sie wartete schon, als ich aus den Bergen zurückkam.

Genug Equipment

Das die Q ausser Gefecht wat, liess mich ziemlich kalt, denn digital war da ja meine Leica M11-P und die M10-M, ausserdem würde ich ohne Skrupel auch komplette Urlaube mit der analogen Leica M6 ablichten, ging ja früher auch. Und die drei Modelle nahm ich auch mit, um mir alle Optionen offen zu halten. Gerade weil ich allein war, hatte ich mehr Zeit und Gelegenheit zum fotografieren. Jeder, der mit Familie zusammen unterwegs ist und fotografische Ambitionen hat, weiss, was ich meine. Ich wich diesmal auch von meiner oft bevorzugten Taktik „one lens, one camera“ ab. Ich hatte Platz im Rucksack und so kam es eher zu „three lenses, two cameras“. Grundsätzlich kommt man in solchen Gegenden schon mal mit Brennweiten von 35 oder 28mm bestens klar, aber es gab genug Situationen, wo ich froh war, auf 21 oder 90mm zurückgreifen zu können.
Im Slider: beim Abstieg von der Reichenberger Hütte kam es zum Fotoshooting. Ich erstarrte und wechselte ohne Hast auf das griffbereite 90mm Macro-Elmar. So oft hat man nicht Gelegenheit, diese scheuen Tiere in Ruhe abzulichten. Meist sieht man sie, dann sind sie auch schon weg.
Meist stellte sich das so dar: Die M11-P (oder M6) bequem mit einem Arm durch den Tragegurt seitlich am Rippenbogen anliegend störte weder beim Wandern noch beim Radfahren. Im Rucksack herrschte der Trend zur Zweitkamera… ein Wechselobjektiv in einer Seitentasche war schnell und leicht zu greifen, ohne ihn extra abzunehmen. Die Kompaktheit des M-Systems (im Vollformat-Bereich) ist immer noch ungeschlagen. Das ich eigentlich (für mich) ungewöhnlich viel Equipment dabei hatte, konnte keiner sehen.

Fast alle machen Handy-Fotos. Viele sind nach meiner Ansicht für die Tonne: Keine erkennbare Bildkomposition, ohne Rücksicht auf Lichtverhältnisse etc. Häufig wird auch jeder Sch… fotografiert. Wer will sich den Quatsch später noch ansehen? Aber selbst, wer fotografieren kann (der kann es natürlich auch damit): Qualitativ liegen Welten zwischen hochwertigen Handy-Kameras (ich habe seit einiger Zeit ein iPhone 16, aber es mag bessere Handy-Kameras geben) und einer Leica Optik gepaart mit Vollformat Sensor. Der Vergleich entspricht nicht Äpfeln mit Birnen, eher Äpfeln mit Runkelrüben. Trotzdem: Die beste Kamera ist natürlich die, die man dabei hat.

Motive

Es ist eigentlich jedesmal so, dass ich nicht mit dem Anspruch losfahre „Content“ für die Webseite zu schaffen. Nach der Zeit an der Ardèche, wo es von Motiven nur so wimmelte, erwartete ich von meinen Wanderungen in den Bergen eigentlich nicht mehr als Fotos für meine persönliche Erinnerung. Und doch wird jetzt ein Beitrag daraus: Zum einen, weil einige Fotos das Vermögen hochwertiger Optiken demonstrieren, zum anderen, weil die Schönheit der Landschaft sehenswert ist. An Lokalkolorit mangelt es auch nicht: An Fronleichnam war der ganze Ort auf den Beinen und ich mittendrin. Fotos von der Prozession zu machen war ok, sehr viele machten auch Handyfotos. Ich unterhielt mich mit der Frau von der Kirchengemeinde, die genau diesen Job hatte (Fotos zu machen). Das hatten wir gemeinsam, denn zuhause bei uns bin natürlich ich zuständig für die Dokumentation des Gemeindelebens. Auch als Protestant habe ich Respekt vor den Ritualen der anderen Konfession und nahm an den Andachten teil.
Eindrücke von der Prozession, bis auf das erste Bild mit 35mm Apo-Summicron ausnahmslos mit 50mm Summicron gemacht. Ich finde es bemerkenswert, wie alle Altersklassen vertreten sind und traditionelle Werte pflegen, wie jede Gruppe der Dorfgemeinschaft vertreten ist und auch die Trachten von jung und alt getragen werden. Besonders beeindruckt hat mich die Musikkapelle, sehr stark besetzt (für so ein kleines Einzugsgebiet) und vor allem klanglich sehr gut.
Auch die Leica M10-M kam zum Einsatz, alle Bilder mit 50mm Summicron
Statt -zig Bilder von diversen Wanderungen und Radtouren zu zeigen, wähle ich mal zwei aus, die man verfolgen kann: Der Auf- und Abstieg zum Geigensee und die Fahrrad (Mountainbike) Runde übers Klammljoch nach Südtirol und zurück über den Staller Sattel. Was Mountainbike betrifft: Ich nehme dazu mein Cube Trekking-Rad (ein E-Bike), das zu entsprechenden Mountainbikes den identischen Rahmen, Schaltung und Bereifung hat, mit dem Bonus eines Gepäckträgers. Da ich keine extremen Single-Trails fahre, komme ich damit bestens auf den normalen Wegen im Gebirge klar. Mein normales Mountainbike (ein Simplon Gravity) liess ich zuhause (obwohl ich das zwischendurch bereute), weil mir die Mitnahme von drei Fahrrädern „over the top“ erschien. Das E-Bike war gesetzt, weil ich es auch als Transportmittel brauchte (wenn es nicht um Sport ging), denn das Auto bleibt fast immer stehen, wenn ich in Urlaub bin.
Der Geigensee und Chat GPT

Den Geigensee kann man, glaube ich, als „Geheimtipp“ bezeichnen. Ich wäre nicht auf den gestoßen, hätte ich nicht zufällig auf die Webseite meiner Stamm-Pension geschaut (wo wir immer im Winter wohnen, diesmal hatte ich eine kleine, sehr schöne Ferienwohnung gemietet). Dort war ein herbstliches Foto von einem wunderschönen Bergsee als Hintergrund abgebildet, allerdings ohne Hinweis, um welchen es sich handelt (oder ob der überhaupt in der Gegend war). Trotzdem, das nahm ich erst mal an und weil es schon später am Abend war und ich Yvonne (unsere Winter-Gastgeberin) nicht um die Zeit anrufen wollte, versuchte ich es mit… Chat GPT. Ein Screenshot hochgeladen mit der Frage: „Wo ist der See?“ Das war natürlich ziemlich frech. Chat GPT, immer diplomatisch, antwortete mit einer genauen Beschreibung des Bildes und dass es ein See in den Alpen sein könne (clever!), ich solle doch die Suchkriterien verfeinern. Ok, Superhirn, „der See soll in Osttirol sein!“ Chat GPT wieder: Sicher der Bergersee in der Lasörlinggruppe. Mit dem Argument, dass da auch eine Hütte sei. Dazu Bilder von vier verschiedenen Seen mit vier unterschiedlichen Hütten, die alle der Bergersee sein sollten. So ging das nicht weiter. Ich musste mir doch selbst mehr Mühe geben.

Erst mal prüfte ich auf Komoot die Theorie vom Bergersee. Die eingestellten Fotos hatten nichts mit meinem Screenshot vom Geigensee zu tun. Die Anzahl an Seen im Defereggental ist noch überschaubar und schliesslich fand ich auf Komoot (gelobt sei die App) selbst den passenden See, nämlich eben jenen Geigensee oberhalb Hopfgartens (das ist ein Ort noch ziemlich am Eingang des Tals). Ausserdem gingen bei mir diverse Magnesium-Blitzbirnen an: Klar! Die kleine Brauerei „Geigenseer“ in Hopfgarten, das Bier erfreut sich seit ein paar Jahren im Tal großer Popularität. Affirmativ: Die Brauerei-Webseite zeigte den richtigen See, passend zum Screenshot.
Ich zurück zu Chat GPT (aus purer Schadenfreude): „Es ist der Geigensee“ (zwischen den Zeilen zu lesen: du Depp!). Chat GPT: Danke für den Hinweis… das ist also der Geigensee! (Schlaumeier) In der Folge biederte sich Chat GPT an, indem es Wandervorschläge dahin machte. Vom Parkplatz Trogach aus seien es 1,5-2 Stunden Wanderung zum See. Ich checkte Komoot. Der Parkplatz liegt oberhalb St. Jakob und ist in Wahrheit der Startpunkt für Wanderungen zum Oberseitsee (wo ich auch war). Ich wieder zu Chat GPT, angefressen bis amüsiert: „Der Parkplatz ist 25km von Hopfgarten entfernt!“ Die Antwort: Ganz genau! Dazu eine Wegbeschreibung nach St. Jakob und (wider alle Logik) die identische Wanderung zum Geigensee, natürlich von dem 25km entfernten Parkplatz. Dauerte allerdings nur 1,5 Stunden. Ich schrie innerlich: Kakao!
Mein persönlicher Rat: Niemals Wandervorschläge von Chat GPT ohne genaue Prüfung akzeptieren. Oder überhaupt irgendwas. Nicht, dass ich mir das Programm nicht auch zunutze mache, aber man muss aufpassen. Mal sehen, wie lange noch.

Die Wanderung dorthin
Den Aufstieg zum Geigensee beginnt man am besten (in Wirklichkeit) an der Bloshütte oberhalb Hopfgarten. Aber: Der Ziehweg dorthin ist für (Nichtanlieger-)Autos gesperrt. Wenn man nicht mit dem Fahrrad hoch fährt (wie ich es gemacht habe), gibt es im Ort eine Art Taxidienst dafür. Von Hopfgarten bis zur Hütte sind es immerhin knapp 6km und 600 Höhenmeter. Von dort beginnt der „richtige“ Weg zum Geigensee (620 Höhenmeter) und das ist in größeren Abschnitten eher ein Steig. Auf halber Höhe der ersten zu überwindenden Felsstufe ist ein imposanter Wasserfall. Ich war so früh dort (8.30 Uhr), dass die Sonne ihn noch nicht erreicht hatte. Ich machte ein Date für den Rückweg. Hat man die erste Stufe überwunden, gibt es oben einen kurzen Abschnitt mit Stahlseilen an der Wand, aber ist halb so wild. Schwindelfreiheit vorausgesetzt. Man befindet sich oberhalb einer Klamm, durch den der Bach fliesst, der den Wasserfall speist.
Der Aufstieg zum Geigensee im Slider

Dann folgt man dem Bach über ein flaches Stück durch lieblich begrüntes Gelände. Es wird allmählich wieder steiler und man erreicht den letzten Steig zum See, der nochmal steil wird. Die Bäume hat man inzwischen hinter sich gelassen und es gibt nur niedrige Vegetation. Auf halber Höhe muss man den Bach kreuzen, ich konnte ihn trockene Fusses auf Steinen überqueren, aber das scheint je nach Jahreszeit und Wasserstand auch zu erfordern, sich der Wanderschuhe kurz zu entledigen. Nochmal eine Stelle mit Seilen (aber man braucht sie eigentlich nicht). Dann kommt man zum See (ich brauchte 1,5 Stunden). Das frühmorgendliche Licht hatte bereits die Motive am Weg sehr plastisch gemacht, aber der See toppte das alles. Der Weg hatte sich gelohnt. Ich setzte mich und liess die Szenerie auf mich wirken. Kein Geräusch der Zivilisation drang an mein Ohr (auch mal kein Verkehrsflieger im Himmel). Das ist der wahre Luxus: Stille.

Eine knappe halbe Stunde später trafen ein Mann und ein junges Mädchen am See ein. Es stellte sich heraus, das sie die Besitzer der kleinen Schutzhütte waren und diese die für den Sommer fit machen wollten. In der Hütte darf jeder Wanderer übernachten, es gibt einen Gaskocher, Utensilien und sogar Vorräte, eine echt soziale Einrichtung. Ich unterhielt mich angeregt mit den beiden. Die Tochter studierte erst mal das Gästebuch, dann begannen sie aufzuräumen und kleine Reparaturen an der Hütte vorzunehmen. Ich trollte mich derweil und macht Fotos rund um den See. Und von einer Perspektive her verstand man, warum er Geigensee heisst: Der Korpus einer Geige springt sofort ins Auge.

Ein schöner Ort. Ich hielt mich eine Weile auf, trank klares Quellwasser und ass die mitgebrachten Brote. Dann kamen tatsächlich weitere Wanderer (viel los da… ironisch gemeint) und ich machte mich auf den Rückweg. Der Abstieg war natürlich weniger anstrengend und schneller. Das Licht hatte sich geändert, vor allem: Der Wasserfall bekam Sonne ab und das brachte ihn richtig zur Geltung. Die 25km zurück nach St. Jakob mit dem Fahrrad waren keine Bürde. Man muss auch nicht die ganze Zeit auf der Hauptstrasse fahren, es gibt einige Parallelwege. Das Tal ist auch schön.
Bilder vom Abstieg im Slider

Die Bike-Tour
Hinter Erlsbach zweigt eine mautpflichtige Strasse (für Autos) ins hintere Defereggental ab, immer entlang der rauschenden Schwarzach. Sie endet an der Oberhausalm, von dort kann man weiter das Arvental hoch wandern. Der Weg steigt nur leicht an und führt über die Seebachalm zu den Jagdhausalmen (eine schon im 13. Jahrhundert erwähnte Siedlung), von dort bis zum Klammljoch, dem Übergang nach Südtirol.
Ich startete direkt von meiner Wohnung mit dem Fahrrad. Die Strasse brauchte ich gar nicht, denn eine Forststrasse führt entlang der Schwarzach bis Erlsbach, wo man nur die Hauptstrasse kreuzen muss, um die Schranke ins Naturschutzgebiet zu passieren. Aber vorher kommt man noch am „Frattentümpfel“ vorbei, wo die Schwarzach mit einem donnernden Wasserfall eine Felsstufe überwindet. Gäbe es sowas bei uns, würden Leute von weither kommen, den zu sehen. Hier ist das normal.

Der Weg das Tal hoch bis zum Klammljoch ist eine populäre Mountainbikstrecke und leicht zu fahren. Nach dem Klammljoch geht es über eine Serpentinenstrecke recht steil 400 Höhenmeter bergab bis zur Knuttenhütte auf italienischer Seite. Dort legte ich die erste Pause ein, auch logistisch notwendig, denn die insgesamt 2200 Höhenmeter bei der 110km-Runde kann man nicht mit einer Akku-Ladung schaffen. Ich fahre eigentlich sehr selten die höheren Unterstützungen und trete ordentlich Watt dazu, aber dennoch. Lieber wäre ich sowieso mit meinem ganz „normalen“ Mountainbike gefahren (da hätte ich mir nämlich die blöde Logistik sparen können), aber ich wollte nicht drei Fahrräder mitnehmen. Alle hat seine Grenzen… drei Kameras reichen schon.
Bei der Knuttenhütte kann man sehr gut essen und es gibt netterweise Steckdosen am Fahrradständer, man muss aber sein Ladegerät mitbringen. Das lief leider nicht wie gewünscht. Irgendein Vollpfosten stiess (während ich auf der Terrasse sass) mein Fahrrad um und unterbrach den Ladevorgang. Ausserdem brach der rechte Bremshebel ab, zum Glück nur zur Hälfte, ich konnte ihn noch benutzen. Besagter unidentifzierter Vollpfosten fand das offenbar nicht der Erwähnung wert und beging Fahrradflucht. Ich merkte das alles erst, als ich weiterfahren wollte. Nun hatte ich noch nicht so viel verbraucht, irgendwie würde ich noch unterwegs ein paar Elektronen auftreiben, ich fuhr also weiter.

Nächstes Ziel waren die Reinbach-Fälle bei Taufers, nochmal 1200 Höhenmeter tiefer (praktisch für den Akku, aber irgendwann muss man das alles wieder hoch). Ich besuchte zwei der drei Fälle und die sind schon beeindruckend. Entsprechend war da ein ziemlicher Touristenrummel. Aber wer soll sich beschweren, ich war ja selber einer („die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche“). Den oberen Fall erreichte ich zuerst, er donnert in die Klamm und erzeugt einen gewaltigen Spray-Nebel, auf der Aussichtsplattform ist man innerhalb von Sekunden klitschnass. Auch eine Challenge fürs Fotografieren. Frontlinse (den Filter davor) trocken wischen, blitzschnell Bildkomposition wählen und auslösen. Maximal 5 Sekunden Zeit! Gut, dass die Kamera regendicht ist. Ausserdem war ich froh über das 21mm Super-Elmar, denn mit einer längeren Brennweite hätte ich nicht viel drauf bekommen.
Den mittleren Fall liess ich aus, beim unteren hatte man beim Ansehen nicht so ein nasses Vergnügen. Da waren mehr Leute, er ist vom nah gelegenen Parkplatz leicht zu erreichen. Da tauchen dann die (wir sagen immer despektierlich:) FlipFlop-Touristen auf. Trotzdem: Ein schönes Spektakel.

Bei Sand ist man schon im Tal und kann einem gemütlichen Fahrradweg an der Ahr entlang nach Bruneck folgen. Es war heiss in Bruneck, mein Thermometer zeigte 37° Celsius. Die Stadt war ziemlich leer, offenbar hatten sich die meisten an kühlere Orte verkrochen. Aber auf dem Rathausplatz stiess ich auf ein Etappenziel der „Vino Miglia„, ganz klar ein Ableger der „Mille Miglia“. Das ist eine „Ausfahrt“ für Classic Cars aller Kategorien. Der Platz war voll mit Oldtimern: Autos und deren Besitzer. Erinnerte an ein Leica-Treffen. Ups, sorry. Aber da waren schon schöne Stücke zu sehen. Da ich direkt nach der Schule eigentlich erst Ingenieur werden wollte und eine Autoschlosser-Lehre gemacht habe, dabei hauptsächlich Chevrolet, Cadillac, Buick und Oldsmobile reparierte, schlägt meine Herz beim Anblick eines Chevy-Corvette doch höher. Von den elektronischen Plastikbombern, die heute die Strassen bevölkern, wird es kein einziges „Classic Car“ geben. Ist so ähnlich wie mit den Kameras.

Ausserdem war in Bruneck eine E-Bike Ladestation am Ende der Fussgängerzone (Oberragen), denn irgendwie musste ich später noch das Antholzer Tal bis zum Staller Sattel hochkommen, schlappe 1300 Höhenmeter. Was das fahren anging, hatte ich konditionell kein Problem, auf dem Rennrad mache ich nicht selten Runden zwischen 80 und 120 km. Aber das Kampfgewicht des E-Bikes konnte ich nicht ohne Hilfe von Bosch die Berge hoch bringen. Am Antholzer See lag die Akku-Ladung bei 30% und das reichte für die 400 letzten Höhenmeter die Serpentinestrecke zum Staller Sattel hoch, der für Autos im Sommer im Wechsel (alle halbe Stunde 15 Minuten) einspurig befahrbar ist. Als ich oben war, hatte ich 20% verbraucht, genau auf dem Pass regelte die Unterstützung ab, denn die restlichen 10% braucht das Fahrrad für die Grundfunktion des Computers und Licht. War mir aber egal, denn von nun an ging’s bergab (im positiven Sinn). Die letzten 14km schaffte ich locker ohne Bosch. 8.40 Uhr war ich losgefahren, 10,5 Stunden später wieder zurück. Die eigentliche Fahrzeit war 5 Stunden. Es war ein erfüllter Tag, aber ich war nicht „ausgepowert“. Ein Geigenseer Bier kam jedoch recht gut.
Fazit
An Wanderungen jeder Schwierigkeits-Kategorie mangelt es im Defereggental nicht, auch wenn ich ausschliesslich die mehr fordernden Wege gemacht habe. Ich bin froh, dass mein Fitness-Level das zur Zeit hergibt, denn ich habe gelernt, wie schnell sich das ändern kann. Für mich ist das Tal inzwischen ein Ort mit vielen Erinnerungen und ich kehre immer wieder gern zurück. Aber jetzt ist es auch ok, wieder in den Praxisalltag zurückzukehren. Es ist ja nicht so, dass ich meine eigentliche Arbeit nicht mag.