Ein Plädoyer für Zurückhaltung beim Postprocessing
Eigentlich wollte ich das Pfingstwochenende nutzen, einen Artikel über eine Serie von Fotos zu schreiben, die ich “parallel” mit Leica M240 und M6 gemacht habe, dass sich analoge und digitale Bilder durchaus ergänzen können. Aber die Entwicklung der Farbbilder dauert wegen der vielen Feiertage im Mai länger als erwartet, so muss dieses Thema nach hinten gestellt werden.
“De Gustibus non est disputandum”, über Geschmack lässt sich nicht streiten, ist eine Wahrheit so alt wie die Menschheit selber. Unser Empfinden für Farben, Formen, Musik, Gerüche und überhaupt allen Schnickschnack variiert bei jedem Menschen abhängig von ethnischer Prägung, Bildungsstand, Alter und Geschlecht, um nur einige Kriterien zu nennen, es gibt sicher viel mehr.
Aber es gibt auch Standards, die zumindest für eine gewisse Zeit Geltung haben.
Nehmen wir mal an, ich bin in einem guten Restaurant und habe eine Flasche Wein bestellt. Der abgerissen gekleidete Sommelier zückt verbindlich lächelnd (ein Frontzahn fehlt) ein Tetra-Pak mit lieblichem Lambrusco (Marke “Mal di Testa dolorosa”) und macht grosses Gewese darum, wie er es mit der rostigen Schere, die er um seinen Hals hängen hat, öffnet. Der Probeschluck, den er in ein Senfkristall-Glas kippt, lässt meine Zunge am Gaumen festkleben. Als ich sie mit einem saugenden Geräusch wieder losbekomme, bedanke ich mich stammelnd und verlasse fluchtartig das Restaurant. Man könnte sagen, hier sind einige Standards verletzt worden.
Aber gibt es so etwas überhaupt in der Fotografie, wie wir sie jetzt kennen? Und wenn ja, wer legt die Standards fest? Was ist “guter”, was “schlechter” Geschmack?
Ich maße mir nicht an, darüber zu entscheiden, aber habe meine eigenen Schlüsse gezogen.

Leica M9, Lightroom

Leica M9, Silver Efex

Leica M9, 50mm Summicron
Fast alle Bilder in diesem Beitrag gibt es dreimal:
- Zum einen die Farbige Datei, die Tonwerte in Lightroom eingestellt, verändert wurden nur: “Belichtung”, “Lichter” (moderat!), “Weiss”, “Schwarz”. Mehr nicht!
- Eine Version des Bildes aus Silver Efex, die Einstellungen des DNG in Lightroom wurden übernommen. In Silver Efex Veränderung nur: Filmsimulation Agfa APX Pro 100 (mit leichter Körnung), Slider Weiss +14%, Slider Schwarz +42%
- Eine Version des Bildes konvertiert in Lightroom, Tonwerte ähnlich wie bei der Farbdatei, Tonwertkurve mittlerer Kontrast, Standard-Schwarzweissmischung
Welches Bild man jeweils bevorzugt, hängt von den persönlichen Präferenzen ab. Interessant ist, dass es so gut wie unmöglich ist, die Schwarzweissdateien aus Lightroom und Silver Efex identisch hinzubekommen. Irgendetwas ist immer anders: Entweder die Grauwerte, der Kontrast oder der Helligkeitsverlauf im ganzen Bild. Schon die Wahl des Programms entscheidet also über das Endergebnis.

Leica M240, S/W aus Lightroom

Leica M240, Silver Efex

Leica M240, 28mm Elmarit
Nachdem ich mich in letzter Zeit wieder intensiver mit analoger Fotografie auseinandergesetzt habe, machte mir das klar, was für ungeheure Möglichkeiten uns digitale Bilddateien heutzutage liefern. Ein analoges, eingescanntes Bild hat auch als TIFF-Datei (natürlich auch abhängig von der Qualität des Scans) nur eingeschränkte Möglichkeiten. Man kann die Tonwerte in einem engen Rahmen korrigieren, aber das Bild sollte nach Möglichkeit halbwegs korrekt belichtet sein, sonst ist das Ergebnis der Nachbearbeitung, nennen wir es mal vorsichtig, “suboptimal”.
RAW-Dateien aus fast allen modernen Kameras dagegen weisen eine Flexibilität auf, die nicht weit vom Quecksilberzustand des “Terminators” entfernt ist. Das ist selbstverständlich erst mal eine gute Sache, wer kann nicht die Dynamik gebrauchen, die dem innewohnt. Oft genug bin ich froh, wenn ich eine Datei eine oder sogar zwei Blendenstufen hochziehen kann, weil ich zu faul war, die Belichtungsparameter genau zu prüfen und mir die Kameraautomatik das zu dunkle Bild “verkauft” hatte. Aber bei der Korrektur der Helligkeit bleibt es ja oft nicht.
Nun beginne ich, dünnes Eis zu betreten. Denn wer selber ohne Fehl, der werfe den ersten Stein. Seit 2001 fotografiere ich digital, und in der Zeit habe ich alle Sünden begangen, die man mit Fotos begehen kann. Gäbe es diesbezüglich eine Inquisition, würde ich lustig auf diversen Scheiterhaufen brennen, mit den Worten “ich widerrufe” auf den gesprungenen Lippen. Noch zur Zeit von Lightroom 1 und 2 (die ich auch hatte) benutzte ich oft DxO Optics Pro und darin konnte man Highlight-Recovery betreiben, bis der Arzt kommt (obwohl der ja schon da war). Wenn ich mir heute meine Bearbeitungsergebnisse von damals ansehe, die ich gut fand, schüttle ich den Kopf und bin froh, dass ich sehr früh begonnen hatte, RAW-Dateien zu machen. Keines der Fotos aus der Zeit verwende ich heute, ohne es neu zu bearbeiten.
Dann gab es eine Phase, in der ich mich mit HDR-Technik beschäftigte. Auch da liess ich mich eine Weile von der dunklen Seite der Macht verführen, eine heisere Stimme flüsterte mir ein: “Gib dich der Macht (Röchel) der Belichtungsreihen hin!” Irgendwann kam ich zum Glück wieder zur Besinnung. Gegen Ende dieser Ära wenigsten war es mein Ziel, HDR-Bilder zu machen, denen man das nicht ansah. Kurz danach waren die Sensoren in der dynamischen Breite soweit fortgeschritten, das ich HDR für meine Bedürfnisse für überflüssig erklärte.
Wie ich schon sagte: Dünnes Eis. Denn gerade in dem Bereich ist alles pure Geschmacksache. Wer gern HDR macht, soll es tun, ohne von mir deshalb schräg angeguckt zu werden.

Leica M9 und 50mm Summicron: Farbdatei, Silver Efex, S/W aus Lightroom
Ich schätze meine M9-Fotos heute immer noch sehr. Sie haben etwas Besonderes. Die M9 landete im DxO-Sensor-Ranking weit unten. Seither weiss ich, wieviel das über eine Kamera aussagt. Nämlich gar nichts.
Jetzt habe ich mir wohl ausreichend auf die Brust geschlagen und es muss gesagt werden, dass ich im Jahr 2010, als ich auf die M9 stiess, schon sehr viele meiner Exzesse hinter mir gelassen hatte. Freilich fällt man hin und wieder zurück, so auch, als ich die ersten Versuche mit Silver Efex machte. Berauscht von den Möglichkeiten des Programms übertrieb ich es einfach. Die Ergebnisse sind Schwarzweissbilder von so eklatant digitaler Signatur, dass mir heute davon die Augen tränen. Wer nur weit genug in meinem Blog auf der alten Webseite zurückgeht, stösst auf solche. Aber ich schreibe die Geschichte nicht um, ich stehe zu meinen geschmacklichen Abberationen. Vielleicht muss sogar jeder mal da durch. Bei mir war es ein Lernprozess, der noch anhält.
Doch die DNG’s aus der M9 brachten mich wieder dem näher, was ich vorher aus dem Auge verloren hatte: Ein Look, der an analogen Film erinnerte. Ich stellte bald fest, dass die Bilder dann am besten waren, wenn man sie möglichst in Ruhe liess. Natürlich musste ich auch da mein Lehrgeld zahlen. Und als die M240 kam, mit völlig anderen DNG-Dateien, musste ich nochmal neue Kriterien anlegen. Die M240 DNG’S sind “flacher”, darum brauchen sie etwas mehr Tonwertkontrolle. Aber auch da muss man die Kirche im Dorf lassen.
Nachdem ich schon mehrfach im Text dunkle Andeutungen gemacht habe, lasse ich jetzt mal die Katze aus dem Sack: Wenn das fertig bearbeitete Foto so aussieht, als könnte es, zumindest unter idealen Bedingungen, auch mit einer analogen Kamera aufgenommen worden sein, bin ich damit zufrieden. Bevor jetzt ein Lynch-Kommando von Analog-Fetischisten (zum Teil bin ich ja auch einer) mit Fackeln, Dreschflegeln und Mistgabeln mein Haus umstellt, sei gesagt: Niemals sieht eine digitale Datei wirklich aus wie Film. Aber man kann sich nähern.



Serie von “Cellissimo”-Porträts mit M240 und 50er Summilux bei f/1.4. In der Schwarzweiss-Version gebe ich hier Silver Efex (in der Mitte) den Vorzug. Es ist leichter, auch bei einfachen Einstellungen mehr Grauwerte zu behalten.
Wo liegen die Hauptsünden der digitalen Bearbeitungswut? Wie werden die Bilder so fremd, so weit entfernt von dem, was ein analoger Film hergibt? Der eklatanteste Unterschied ist schon mal die sowieso schon vorhandene Schärfe der digitalen Dateien. Daran haben wir uns alle gewöhnt, wir wissen das zu schätzen. Aber warum muss man das dann durch nachschärfen oder ziehen am Mikrokontrast (“Klarheit”) ins Groteske treiben?
Der nächste Punkt: Die Dynamik (nicht zu verwechseln mit dem Dynamik-Slider in Lightroom, der eine Sonderform der Sättigung darstellt), vor allem in Highlights und Tiefen. Analoger Film hat eine Unzahl subtiler Abstufungen in beidem, aber er haut uns das nicht um die Ohren wie eine RAW-Datei, die, mit dem Tiefen Slider auf 100%, plötzlich keine wirklichen Schatten mehr hat und einen ungewollten Pseudo-HDR-Look bekommt.
An der Sättigung herumzuspielen galt schon immer als schlechter Geschmack, aber Fälle von “Augenkrebs” kommen häufig vor.
Bis auf die Sättigungssache gilt das im wesentlichen auch für digitale Schwarzweissbilder.

S/W aus Lightroom

Silver Efex

Leica M240, 50mm Summicron

S/W aus Lightroom

Silver Efex

Leica M240, 50mm Summicron

S/W aus Lightroom

Silver Efex

Leica M240, 50mm Summicron
Bei dieser Bildserie finde ich die Schwarzweiss-Version aus Lightroom besser als Silver-Efex. Sie hat mehr “Punch”. Die stärkeren Grauabstufungen in Silver Efex flachen die Bilder ab. Das ist übrigens nicht einfach eine Frage der Erhöhung des Kontrastes in Silver Efex, um die Bilder anzugleichen!
Eben auch durch die Beschäftigung mit der analogen Fotografie konvertiere ich mittlerweile die Farbbilder auch oft in Lightroom. Ich empfinde die Ergebnisse (davon abgesehen, dass ich mir den Umweg über Silver Efex spare) manchmal “authentischer”, besonders bei Menschen. Nichts gegen Silver Efex! Es ist einfach eine Frage, wie man die Slider bewegt. In Lightroom finde ich den Gebrauch der Farbkanäle z.B. ziemlich defizitär, das funktioniert in Silver Efex viel besser. Umgekehrt kommt man in Silver Efex schneller zu Artefakten, wenn man zu viel hin- und herzieht. Am Ende sei gesagt, dass die Frage Silver Efex versus Lightroom keine eindeutige Antwort hat, beides hat seine Stärken und Schwächen.

Leica Q

Silver Efex

S/W aus Lightroom

Leica Q

Silver Efex

S/W aus Lightroom

S/W aus Lightroom

Silver Efex

Leica Q
Serie mit der Leica Q aus dem Erzbergwerk Kleinenbremen. Hier gebe ich bei den Schwarzweissen Bildern leicht Silver Efex den Vorzug.
Man kann sogar überlegen, wieviel Nachbearbeitung Schwarzweiss-Fotos überhaupt brauchen. Nicole Struppert z.B. stellt ihre Leica Q-JPG’s auf Schwarzweiss mit den Parametern: Kontrast “Hoch”, Schärfe “Mittel” und nimmt die Dateien aus der Kamera. Das ist ein erfrischend einfacher Ansatz und eine, nebenbei bemerkt, typisch weibliche Lösung, und zwar im positiven Sinn. Ein Mann würde sich über Verluste gegenüber der bearbeiteten RAW-Datei selbst zerfleischen, dabei spielt das für die Bildwirkung speziell bei Street nicht die geringste Rolle.
JPG’s aus der Kamera sind allerdings für mich ansonsten speziell bei der M240 keine Option (man kann ruhig zugeben, dass die JPG-Engine der 240 einfach nicht gut ist), bei Fuji bin ich mir da nicht so sicher.
Meine derzeitige Einstellung zu der ganzen Postprozessing-Geschichte: Gottseidank, dass es RAW-Bilder gibt, um meine Unzulänglichkeiten bei der Belichtung ausgleichen zu können. Aber ich bleibe dabei im Bereich der Tonwerte. Zwar drücke ich oft versuchsweise den Button “Autom:”, den Lightroom praktischerweise bietet, stelle aber fast sofort die Tiefen wieder zurück, die von der Automatik immer viel zu stark angehoben werden. Ansonsten ist das meist ein guter Ausgangspunkt, ausser bei Low-Light-Fotos, die das Programm nicht versteht. Dann werden nämlich nicht nur die Tiefen angehoben, nein, das ganze Bild wird zwei, drei EV hochgezogen, um es auf Tageslichtniveau zu bringen. Völliger Blödsinn also.
“Klarheit”, wie schon zuvor ausgeführt, ein sehr gefährlicher Slider. Ich gehe nie höher als bis zum Wert 14, meist lasse ich die Finger davon, gelegentlich gehe ich in den negativen Bereich. “Dynamik” auch nur ganz wenig oder gar nicht, hängt aber von der Kamera ab. Bei Fuji z.B. wähle ich eher ganz unten unter “Profil” ein eingebettetes Farbprofil, z.B. Provia, das intensiver ist als das Adobe-Standard-Profil. Den Slider “Sättigung” brauche ich überhaupt nicht.
Die Tonwertkurve stelle ich gern auf “Mittleren Kontrast”, dafür lasse ich den Kontrast im Tonwertbereich oben aber bei Null.
Und das war’s, was globale Änderungen betrifft.
Natürlich schlage ich nicht alle Korrekturmöglichkeiten in den Wind, den ein so fortgeschrittenes Programm wie z.B. Lightroom bietet. Weissabgleich ändern, Staubflecken entfernen oder Distortion abschwächen, Rauschunterdrückung oder Abwedeln bestimmter Bildbereiche kommt in Einzelfällen vor. Aber das normale “run-of-the-mill” DNG erfordert nicht mehr als 20 Sekunden für die Nachbearbeitung.

Leica Q, Blick von der Burg Vlotho am letzten Wochenende. DNG wurde nur im Bereich der Tonwerte geändert. Man kann sich streiten, ob das Bild noch etwas mehr Kontrast oder Sättigung vertragen könnte, aber weniger ist im Allgemeinen mehr.
Und all das ist kein Dogma, nur ist das im Augenblick meine persönliche Sicht der Dinge. Das heisst ja gar nicht, das man nicht mal ein bisschen herumspielen darf, mit Filmemulationen oder Sonderfiltern. Aber wenn, dann auch so, dass es deutlich wird. Ausserdem sollte das Genre und Motiv irgendwie passend sein. Ein Street-Foto mit offenen Schatten ist irgendwie nicht das Wahre.

Spielerei: M240, 50mm Summilux, Foto in DxO-Filmpack mit Filmlook versehen und auf “alt” getrimmt.
Mir ist bewusst, dass ich mich weit aus dem Fenster lehne, wenn ich all das von mir gebe. Vermutlich kann man auf meinen Seiten sofort Bilder finden und mit dem Finger darauf zeigen: “Da, er befolgt seine eigenen Grundsätze nicht!” Aber mein Punkt ist: “Panta rhei”, alles fliesst, auch meine Wahrnehmung, wie Fotos auszusehen haben. Was ich hier darlegte, ist mein derzeitiger Stand. Mal sehen, wie es in zwei Jahren aussieht.
Dieser Beitrag erschien auch in englischer Fassung auf Macfilos
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